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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Beppo jauchzte grimmig auf, als er sich davon überzeugte. „Heißa!“ schrie er, von einem Felsen zum andern hüpfend, „das soll donnern, das soll an Dein Haus klopfen, Cavig von Surley, daß Du vor Angst laut zu heulen anfängst! Und dann: drauf! drauf! Thüren und Mauern brechen, und immer höher steigen die Wellen und nehmen ihn mit, Deinen gottverfluchten Reichthum, alles, alles – bis Du ein Bettler geworden bist wie der arme Beppo, den Du so tief verachtest! – Und Aninia –“ er hielt zögernd inne, es war, als streife ein Lichtstrahl seine verwilderte Seele beim Gedanken an ihr warnendes, frommes Gesicht, aber dann flammte sein Zorn neu auf: „Hat er sie nicht auch elend gemacht, der Unmensch, sie, die früher weich gebettet war und nun auf dem harten Strohlager der Büssin liegen muß? Thue ich nicht recht, wenn ich ihn strafe, wie er es verdient? Das Geld, der Reichthum!“ schrie er wild auf, „sie kommen vom Teufel, sie machen alle schlecht, den Cavig, den Franzosen-Peider – alle! Es soll niemand mehr reich sein in diesem Thal, das Wasser soll alles mitnehmen, fort – hinunter – in den See hinein –“ seine Stimme brach in heiserem Flüstern und er stierte wie ein Wahnsinniger vor sich hin.

Von da an, mit den ersten Wochen des neuen Jahres 1791, begann in der Fuorcla da Surley ein unheimliches Treiben. Ueber die weiße Schneedecke huschte die in dicke zottige Felle gekleidete Gestalt Beppos, eher einem wilden Thiere als einem Menschen ähnlich, wie auch der Ausdruck seiner glühenden Augen jedem, der ihm während seiner seltsamen Hantierung begegnet wäre, Schrecken hätte einflößen müssen. In der Hütte am Crestalta hatte er die roh gearbeiteten Werkzeuge gefunden, welche von Fra Battista lange benützt worden waren: eine schwere eiserne Haue, eine Schaufel und eine Säge. Dies alles hatte Beppo nach der Surleyalpe geschleppt und dort unter dem Felsstücke verborgen, das vordem der Schäferkarre Paolos als Schutzwehr gedient hatte. Arven und Rothtannen sägte er am Boden ab und zerrte sie in die Fuorcla hinab, dorthin, wo der Felsenspalt sich öffnete, der dem Surleywasser im Frühjahr den Durchlaß nach dem Silvaplanaer See gewährte. Hier schichtete er in wochenlanger, angestrengter Arbeit, die ihm trotz der Kälte unter seinen dicken Fellen den Schweiß aus allen Poren hervortrieb, eine förmliche Balken- und Felsenwand auf. Die gefällten Bäume mit zahllosen Aesten, kleinere und größere Steine und Erde bildeten einen Verhau, der diesen Durchlaß vollständig sperrte. Trat jetzt ein rasches Thauwetter ein, so mußte die Wassermenge in der That eine ganz gewaltige werden und nicht minder gewaltig die schon dadurch verursachte Zerstörung.

Doch so weit dachte Beppo nicht mehr: er mußte die Ueberschwemmung zuwege bringen, die Madulani zu Grunde richten sollte, alles andere spielte in seinen Gedanken, die sich nur um den einen Punkt drehten, keine Rolle.

Tag für Tag hatte er mit schier übermenschlicher Anstrengung hantiert, bis er endlich erlahmte und eines Morgens nicht mehr imstande war, seine Klause zu verlassen. Da fand ihn Clo, der Beppo auch in dessen Abwesenheit mit Nahrungsmitteln versorgte. Selten hatte er Beppo getroffen, der stets vor hellem Tag den Crestalta verließ. „Wo steckst Du denn eigentlich, was treibst Du?“ fragte er den Einsamen neugierig. „Komme ich in der Früh, bist Du auf und davon geflogen, und komme ich am Abend, bist Du noch nicht zurück – und bei diesem Wetter, dieser Kälte!“

„Am Abend warte ich die rechte Zeit ab, wo ich mich in das Haus Deiner Mutter zu Aninia schleichen kann,“ antwortete Beppo verlegen, „und am Tage – gehe ich nach Campfèr. Dort ist es in der Herberge wärmer als hier.“

„Daß Du abends dann und wann bei Deinem Weibe bist, das weiß ich, auch daß Deine Schwieger den Büttel, der besser ist als – sein Herr, vermocht hat, ein Auge zuzudrücken, wenn er Dich etwa bemerken sollte. Mache nur, daß der Cavig nichts davon erfährt – es könnte sonst böse Zeit für Dich anbrechen. Daß Du Deine Tage in Campfèr zubringst, hast Du mir schon einmal gesagt, aber als ich jüngst dort in der Herberge einkehrte, wußte man mir nichts von Dir, noch von irgend einem andern Bergamasker zu berichten. Ich fürchte, Beppo, Du gehst auf bösen Wegen!“

„War ich nicht in Campfèr, so war ich in San Maurizio, bei dem Mönche, der dort haust – oder anderswo!“ warf Beppo recht ungebärdig hin. „Warte es ab, Du wirst es erfahren.“

Clo sah ihn scharf von der Seite an, doch sagte er nichts und dachte sich: „Ich werde es erfahren, jawohl, und ohne Deine Erlaubniß!“

Wie Clo es eben schilderte, so verhielt es sich. Des Cavigs Befehl war von dem Büttel im Anfang streng, dann aber nur scheinbar streng ausgeführt worden. Beppo hatte nach der Weisung von Aninias Mutter das Haus der Büssin nicht mehr betreten. Als die gute Barbla jedoch das Leid ihres Kindes, seine Thränen und Klagen nicht länger ertragen konnte, da hatte sie sich an den alten Mann gemacht, der die Stelle des Büttels und zugleich die des Nachtwächters der Gemeinde innehatte und sein hartes Amt nur deshalb so pünktlich ausführte, weil er eine heillose Angst vor dem Zorn des strengen Cavigs hatte. Der Mann ließ mit sich reden, und es wurde ausgemacht, daß, wenn er nächtens als Wächter in die Nähe des Hauses der Büssin käme und dort an einem bestimmten Fenster ein Lichtchen bemerkte, daß er dann einen andern Weg einschlagen und den Beppo nicht sehen sollte, selbst wenn dieser dicht an ihm vorüberliefe. So war es denn gekommen, daß trotz Madulanis Befehl und Willen Beppo manche Stunde an der Seite seines jungen Weibes weilen durfte, das seines leidenden Zustandes halber die meiste Zeit im Bette zubringen mußte. Es waren für die beiden Hartgeprüften nur kurze Augenblicke eines Glückes, das nicht mehr in heller Freudigkeit aufleben wollte. Beppo hoffte, doch Aninia trug eine Ahnung in sich, als ob ihr Schicksal sich nimmermehr zum Besseren wenden würde.

Mittlerweile war das erste Viertel des Jahres vergangen, und der nahende Frühling kündete sich durch wärmeren Sonnenschein und ein langsames Aufthauen der glänzenden Schneekrusten an. Da trat eines frühen Morgens – es war kaum hell geworden – Clo in das Gewölbe, wo Beppo noch immer fest schlief. Er rüttelte kräftig den Schlaftrunkenen, und als dieser sich endlich aus seinen Fellen herausschälte und sich die Augen reibend aufrichtete, da sprach der lange Clo mit einer sichtlich freudigen Theilnahme:

„Steh auf, Du Faulpelz! Heute kannst Du scheint’s schlafen, statt Dich schon in der Frühe draußen herumzutreiben! Ich bringe Dir Neues und Angenehmes, will Dich von hier, aus diesem elenden Steinloche fort und mit mir nehmen. Seit zwei Tagen suche ich Dich überall vergeblich und deshalb komme ich heute noch bei halber Nacht zu Dir.“

„Was ist’s mit Aninia?“ stieß Beppo, aufspringend, noch schlaftrunken heraus; „es ist doch nichts Schlimmes geschehen?“

„Nein, dort ist noch alles beim alten,“ entgegnete Clo, „wiewohl meine Mutter sagt, jede Stunde könne Euer Kindlein bringen. Doch handelt es sich in diesem Augenblick nicht um einen Eintritt ins Leben, sondern um einen Abschied auf Nimmerwiederkehr. Meine Schwieger, die alte Cadruvi, ist vor zwei Tagen gestorben – sanft eingeschlafen – und gestern haben wir sie begraben. Zugleich sind wir, meine Frau und ich, aus den Dachkammern in das Gelaß der Hausleute gezogen, wie sich dies gehört. Deshalb konnte ich Dich nicht in der Fuorcla aufsuchen, wo ich Dich endlich vom Dorfe aus erspäht habe. Nun sollst Du in den Dachkammern, die gar nicht übel sind, wohnen, wie später, wenn alles glücklich vorüber ist, auch Dein Weib, die Aninia dort einziehen wird – oder der alte Bär, der Cavig, müßte denn sein Knurren und Brummen einstellen und Euch das Thor seines Palazzos aufthun. Wir alle wollen hoffen, daß es geschieht; aber einstweilen ziehst Du zu mir. Komm!“

„Du guter Clo!“ sagte Beppo mit nassen Augen, zugleich die Arme dem Langen um den Hals legend. „Für mich, den armen, wie ein Wild gehetzten Beppo, willst Du Dir den Zorn des Cavigs aufladen?“

„Oho!“ rief der andere langgedehnt und mit trotzigem Ton: „In meinem Hause bin ich jetzt Herr und Gebieter so gut wie der Madulani in dem seinigen und wie ein jeder andere Häusler in unserem Bündnerlande, und ich kann in meinem Hause beherbergen, wen ich will, das ist mein gutes Recht. Er wird sich hüten, mir nur ein Wort dagegen zu sagen, mich nur mit einem Blick merken zu lassen, daß ihn Dein Aufenthalt bei mir wurmt. War ich bis vorgestern auch noch abhängig von meiner Schwieger, so bin ich heute ein freier, eingesessener Mann wie der Madulani und in meinem Hause meine eigne Obrigkeit. – Nur eines hast Du Dir zu merken: Laß Dich bei Tag nicht in den Gassen sehen! – Erkennt Dich der Büttel abends, dann geht er wie bisher einen andern Weg; doch trifft er Dich am Tage, dann muß er zugreifen,

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