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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

allem auf das Hab und Gut des reichsten Mannes von Surley abgesehen hätten; denn nun kam auch das Furchtbarste heran. Das Knattern der vom Wasser dahergeschwemmten Felsblöcke hatte sich plötzlich durch das Zusammenbrechen der Mauern und Dächer einzelner Häuser, die den Fluthen und Felsen im Wege standen, in ein donnerähnliches betäubendes Getöse verwandelt. Und schon kam es heran: eine furchtbare Fluthwelle, die mehrere riesige Felsblöcke mit sich führte. Das Wasser schlug wohl bis zur Dachhöhe an dem Haus hinauf, eine der Wogen hob Madulani, der noch immer an dem offenen Eingang stand, wie einen Spielball empor und schleuderte ihn in das Haus zurück wider einen schweren Holzschrank, der dort stand und an den seine Hände sich in der Todesnoth klammerten. Die Felsblöcke flogen wider die Ställe und Stadeln und streiften dabei mit einer solchen Gewalt die dortige Giebelmauer des Hauses, daß sie prasselnd zusammenbrach und in ihrem Sturz nun auch andere Mauertheile, dann die Hälfte des Daches mit sich herab und in die Fluthen riß. Und immer neue Wogen stürmten heran und setzten das Zerstörungswerk fort, trieben die Trümmer der hölzernen Stadeln, die Balken und Sparren des Daches, die Möbel und Geräthe des Hauses vor sich her, sie peitschend, daß ein weißer Gischt hoch aufspritzte, und führten sie mit rasender Wuth als die ihnen verfallenen Opfer dem nahen See entgegen.

Was aus dem Knecht und der Magd geworden war? Wer konnte es in diesem Augenblick sagen! Vom hellen Tag allein war Antwort zu erwarten. Das Schicksal der werthvollen Thiere aber war jetzt schon entschieden. Das Brüllen und Blöken verstummte fast wie auf einen Schlag: das Surleywasser führte nur Thierleichen dem Sela und dem See von Campfèr zu.

Madulani hatte nur kurze Zeit sich an dem Schranke zu halten vermocht. Die steigende Fluth brachte das schwere Möbelstück ins Schwanken; durch das Gewicht des Körpers, der sich daran klammerte, gerieth es aus dem Gleichgewicht, stürzte um und entleerte zerberstend seinen Inhalt an kostbarem Linnen und anderen werthvollen Gegenständen in die Fluthen. Es war in demselben Augenblick, als mit donnerähnlichem Getöse der Einsturz der Ställe und Stadeln, der Giebelmauer mit einem Theil des Daches erfolgte, wodurch die in dem Hause angestauten Fluthen einen Abfluß fanden. Derjenige Theil der Wohnstätte, in dem Madulani mit dem Tode rang, stand bis jetzt noch aufrecht. Der Unglückliche fühlte noch immer so viel Leben und Kraft in sich, daß er die riesigen, auf den Fluthen schwimmenden Schranktrümmer zu erklettern vermochte, und wie auf ein rettendes Floß im sturmgepeitschten Meere sank er schwer auf die Bohlenwand der Rücktheile nieder. Nun war es mit ihm zu Ende! Er hörte noch das letzte Brüllen und Blöken seines armen ertrinkenden Viehes – das Knistern und Krachen der noch stehenden Balken und Sparren des Daches – der zerbröckelnden Mauern, die ihn wohl bald erschlagen und begraben würden; er vermochte noch die Vorstellung zu fassen, daß er, der einst so reiche Cavig Madulani, ein Bettler geworden – daß sein frevelhafter, unheilvoller Schwur in Erfüllung gegangen sei – dann vergingen ihm die Sinne. –

* * *

Die ersten Nothschreie und die ersten Alarmrufe des Wächters hatten die wenigen Bewohner des Cadruvischen Hauses sofort auf die Beine gebracht. Clo, der schon mehrfach solche Wassersnoth miterlebt hatte, der da wußte, was für ihn und das kaum gewonnene kleine Eigenthum auf dem Spiele stand, war rasch in die Kleider gefahren. Sein Weib war ebenso flink als er, beide konnten das wenige Vieh, aus zwei Kühen und einigen Ziegen bestehend, noch bei guter Zeit aus dem Stall treiben und eilten dann, mit ihrem besten Hausrath beladen, dem Crestaltahügel zu. Als diese geringen Schätze geborgen waren, blieb Staschia als Wächterin zurück, und Clo gedachte nun, den Frauen in seinem elterlichen ruinenhaften Hause beizuspringen. Doch dazu war es mittlerweile zu spät geworden. Die ganze Wiese, welche das Dorf in weitem Ringe umgab, hatte sich bereits in einen wogenden See verwandelt, durch dessen Fluthen zu dringen nicht mehr möglich war. Und erst der Surleybach, den Clo hätte überschreiten müssen, dessen Wasser in rasender Wuth Felsblöcke und Steine, groß und klein, vor sich hertrieben, wider- und übereinander warfen, als ob es leichte Spielbälle wären! Bei Tage würde der Anblick ein grausenerregender gewesen sein, denn der Silvaplaner See und der von Campfèr waren im Verein mit dem Sela zu einem gewaltigen Wasserbecken geworden, in dem die Balken und Sparren der Dächer, der weggeschwemmte Hausrath und die Geräthschaften der unglücklichen Bewohner von Surley wie auch Thierleichen aller Art zwischen einzelnen geborstenen Eisschollen wild umhergeworfen und dann abwärts nach Campfèr zu getrieben wurden. Clo mußte den Gedanken, weiter ins Dorf zu dringen, aufgeben; seine Mutter, Frau Barbla und Aninia mit ihrem Kinde vermochte er nur noch dem Schutze des Allmächtigen zu empfehlen. Auch gab es in seiner Nähe leider nur zu viel zu helfen und zu retten, so daß ihm und seinem Weibe kein Augenblick der Ruhe blieb, um über das Schicksal der Ihrigen auch nur nachzudenken. Was da auch geschehen würde, es mußte ertragen werden! –

Beppo war in seiner Dachkammer, zu gleicher Zeit wie Clo im Erdgeschoß, in seinem Bette emporgefahren, aber es dauerte länger als bei diesem, bis die Schreckensvorstellung dessen, was hier plötzlich hereinbrach, ihm aufging. Er saß auf seinem Lager, die Hände wider die Stirn gepreßt und wie verstört ins Leere starrend und horchend. Die Hornrufe des Wächters, das Sturmläuten der Glocke, das Hilfegeschrei der Fliehenden, das Brüllen und Blöken des armen Viehs hörte er, ohne daß er es im ersten Augenblick zu verstehen schien; das eintönige Plätschern des Regens, das unheimliche Rauschen des wildgewordenen Wassers drang immer mächtiger an sein Ohr; – da flammte es plötzlich in seinem Bewußtsein auf: die Wasser waren da! Die Wasser, die er über dem Glück der letzten Wochen ganz vergessen hatte, nun donnerten sie aus der Fuorcla hervor und – „Madulani ist ein Bettler!“ schrie er triumphirend auf. Aber im gleichen Augenblick vernahm sein Ohr, daß das Rauschen bedrohlich nahe klang, und nun fuhr wie ein zweiter Blitz der Gedanke durch sein Gehirn: Aninia – das Kind! – In rasender Eile warf er nur die nothwendigsten Stücke seiner ärmlichen Kleidung über, dann flog er davon, in die Sturmnacht hinaus. Gegen die ihm entgegenströmenden, stets mächtiger anschwellenden Wasserfluthen ankämpfend, strebte er voran, durch das bereits nicht mehr zu erkennende Bett des Baches, der anderen Seite des Dorfes zu, Madulanis zusammenbrechendes Haus, an dem er in einiger Entfernung vorbei mußte, nur mit einem Blick wahnsinniger Freude streifend, nur ein Ziel im Auge: jenen Steinhaufen, der sein Weib und sein Kindchen barg! –

Das Innere dieses ärmlichsten Hauses des ganzen Dorfes bildete in diesem Augenblick den schroffsten Gegensatz zu der entsetzensvollen Verwirrung und Angst, dem tödlichen Schrecken, die sonst überall herrschten. Es war, als ob für die drei dort weilenden Frauen weder eine Wassersnoth noch irgend eine andere Gefahr vorhanden und ihnen nahe gewesen wäre. Sie hatten wohl die Hornrufe des Wächters, das ängstliche Läuten der Glocke gehört – sie hörten noch immer das Heulen des Sturmwindes, das Klatschen des Regens und das ferne wilde Rauschen der entfesselten Fluthen – doch achteten sie nicht darauf, denn ein Kummer war in ihren Herzen eingekehrt, der sie gegen die Schrecken der Elemente unempfindlich, sogar gegen das eigene Leben gleichgültig gemacht haben mußte.

Vor dem Bettverschlag saß Aninia und hielt im Schoße ihr Kindchen, neben ihr kauerte Mutter Barbla, gleich ihrer Tochter den nassen Blick unablässig auf das kleine Wesen gerichtet. Die Büssin lehnte wider einen der Pfosten des Verschlags und ihre sonst so scharfen Züge drückten eine ehrliche Theilnahme aus. Nur kehrte sie dann und wann den Blick von den beiden andern nach dem Eingang, der direkt auf die Gasse führte, und horchte hinaus auf das sonderbare Heulen und Rauschen. Das arme, kaum einige Wochen alte Kindchen lag wie bereits entschlafen im Schoße der Mutter, sein kleines Gesichtchen war blaß und fahl, die schmalen Lippen blauten schon und der Blick der kleinen dunklen Aeuglein, die es nur selten öffnete, erschien wie verschleiert. Das Kind, noch den Tag über bis zum Abend munter, war dann plötzlich unwohl, immer matter und schwächer geworden, und die Frauen meinten nicht anders, als daß es jeden Augenblick ohne Klage hinüberschlummern würde. Aninia hatte nur Gedanken für das Kind, sie bewachte angstvoll seine schwachen Athemzüge; Frau Barbla aber gedachte nebenbei mit schwerer Anklage ihres unbarmherzigen Mannes, der sein Enkelkind in dieses elende, kalte Erdloch verstoßen hatte, wo Wind und Wetter ungehindert Einlaß fanden und das schwache Lebensflämmchen auszulöschen drohten. Ihr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_626.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)