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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

von einer Stelle zur andern hin- und herschiebend. In diesem Zustand fand sie der Abbate, als er an jenem Abend bei ihr eintrat.

„Ihr seid’s, Abbate?“ rief sie ihm entgegen; „bringt Ihr nichts Besseres als bisher, so empfehlet Euch lieber sogleich und überlasset mich mir selber!“

„Contessa! ich bringe hoffentlich den Anfang vom Ende.“

Als der Abbate, sich mit seinem breitkrämpigen Hute Kühlung zufächelnd, ihr gegenüber Platz genommen hatte, richtete sie sich mit erregter Gebärde auf.

„Nun? Der Anfang vom Ende? rasch! sprecht!“

„Signora Teresina! Ihr seid ja heute ein wahrer Feuerbrand!“

„Was ich bin oder nicht bin, brauche ich nicht von Euch zu hören. Ihr seid hier, um mir zu berichten, was Ihr erfahren habt; – wer ist sie? wie heißt sie? wo wohnt sie? besucht er sie? liebt er sie? liebt sie ihn? haben sie sich wieder gesehen? haben sie …?“

„Ums Himmelswillen, haltet ein, Gräfin! Vor lauter Fragen schwindelt mir der Kopf!“

„Gut! Ich schweige denn und horche,“ schmollte die Gräfin, zog ihre Füße auf den Divan hinauf, rollte einen schweren Pelz darüber hin, lehnte sich in die Kissen zurück und blieb, den Blick an die Decke gerichtet, unbeweglich liegen, – ein reizendes und berückendes Bild! Ihre Finger spielten mit ihrem Fächer; unter dem goldenen Kamme wallten ihre schwarzen Seidenhaare in weichen, aufgelösten Locken auf die Schultern herab; das feine Profil hob sich blendend von den dunkelrothen Kissen ab.

„Ich war bei den Mönchen in San Placido, Frau Gräfin,“ hub der Abbate an; „ich habe mich bei dem Prior und bei den Brüdern nach dem Mädchen erkundigt … Keiner will etwas von einem Mädchen wissen …“

„Keiner?“ rief Teresina; „und ich hab es doch gesehen, und Ihr auch! Es stand ja auf dem Balkon mitten unter den Mönchen und lächelte mich an.“

Der Abbate zuckte die Achseln.

„Ihr kennt ja das sicilische Volk. Es sind gute Leute, haben aber Angst vor ihrem eigenen Schatten. Fragt Ihr sie, ob sie heute in Oel gebratene Fische oder Maccaroni mit Pomidorosauce zu Mittag hatten, so grübeln sie nach dem versteckten Sinn, den Eure harmlose Frage wohl verbergen dürfte, und antworten im besten Falle, Fische schmeckten nicht besser und nicht schlechter als Maccaroni und man könne beides essen. Von keinem einzigen konnte ich das Geringste erfahren; sie seien in der Kirche beschäftigt gewesen mit Beten und Singen. Kluge Menschen, jene Klosterherren von San Placido! Ihr wißt ja: an jenem Sonntag zettelten sie dort eine Verschwörung an; Romeo, Euer Tischlermeister, war auch dort, und Salvatore Merlo, das Haupt der Maffia …“

„Was kümmert mich Maffia und Verschwörung, was Romeo und Merlo? Von dem Mädchen will ich hören … und von ihm! … Wo ist der Anfang vom Ende, den Ihr mir versprachet?“

Der Abbate erhob sich von seinem Stuhle, faltete in komischer Demuth die Hände über seinem Hut und, die Augen wie ein reuiger Sünder zu Boden schlagend, sagte er:

„Ich begab mich heute zu Seiner Eminenz, dem Kardinal Erzbischof, und habe ihn gebeten, mir zu gestatten, um verschiedene Sünden abzubüßen, von morgen an in dem Kloster der Badiazza zu verweilen, zur frommen Kasteiung und …“

Die Gräfin schaute ihn mit überraschten Augen an.

„Abbate!“ unterbrach sie ihn, „habt Ihr vor lauter Verschwörung und Maffia den Kopf verloren?“

Er lachte laut auf; dann fuhr er mit leiser, triumphirender Stimme fort:

„Der Hauptmann reitet seit jenem Tage jeden Nachmittag in das Thal der Badiazza, er erkundigt sich nach allen Familien, die jene Gegend bewohnen … und in denen es schöne Mädchen giebt; … morgen früh setzt sich Abbate Scaglione, Euer treu ergebener Diener, in dem alten Kloster auf die Lauer, und es müßte doch wunderbar zugehen, wenn der Abbate Scaglione nicht, bevor zwei Tage vergehen, den Namen jenes Mädchens in Erfahrung gebracht haben sollte.“

Teresina hörte ihm unbeweglich zu. Sie befand sich in einer mühsam bezwungenen, leidenschaftlichen Aufwallung. Ihre Lippen zuckten, ihre Augen sprühten düsteres Feuer. Plötzlich löste sich ihr ganzes Wesen auf, ein helles Lächeln flog über ihre Züge und mit einem äußerst gnädigen Blicke auf den Abbate sagte sie mit schmeichelnder Stimme:

„Mein guter Abbatino, Ihr seid doch noch klüger, als ich glaubte. Thun Sie denn Buße, mein verehrter Pater, in der Badiazza für Ihre vergangenen Sünden – vergessen Sie aber dabei die zukünftigen nicht! – und beichten Sie dann bei mir über alles, was Sie dort gesehen haben werden; ich werde versuchen, den Beichtvater zu spielen. Addio, Abbatino!“ – Dann erhob sie sich lachend und verschwand im Nebenzimmer.

Der alte Hausarzt konnte an diesem Abend in dem Befinden seiner schönen Kranken eine gar seltsame Veränderung wahrnehmen. Wie mit einem Zauberschlage war das böse Fieber gewichen; lustig, berückend, einschmeichelnd und schelmisch wie früher lachte Teresina ihren besorgten Doktor an, scherzte über sein Wissen, ließ in altgewohnter Weise ihren Spott gegen Freundinnen und Nachbarinnen los und entfaltete eine so übersprudelnde Lebhaftigkeit, eine so reizend natürliche Heiterkeit, daß ihr graubärtiger Heilkünstler selbst in ihrer Nähe beinahe das süße Wiederaufthauen jugendlich warmer Gefühle verspürt hätte, und daß es, als er auf die Straße trat, wie ein Wiederschein dieser sonnigen Frühlingserinnerungen aus den Falten seines Gesichtes leuchtete und sein mildglänzendes Auge wie in einer Verklärung schwamm.

Es war wie ein plötzliches Aufwallen ihres feurigen Blutes, das jetzt neues Leben durch die Adern der Gräfin strömen ließ; ein Leben, das nur ein einziges Ziel kannte – die Rache an dem Verräther, die Rache an seiner Geliebten! Einen Verräther nannte sie ihn in ihrem Herzen – als habe sie ein Anrecht an seine Liebe. Und besaß sie denn dies Anrecht nicht? Seit wann durfte sie nicht mehr den Anspruch erheben, daß jeder, den sie auszeichnete, ihr anbetend zu Füßen liege? War sie nicht mehr die Königin der sicilischen Frauen? War ein Blick von ihr, war ein Druck von ihrer Hand nicht mehr ein ganzes Königreich werth? – Und dieser Fremde, dem sie ihre Gunst zugewendet, den sie allen andern vorgezogen hatte und der dies königliche Geschenk verschmähte – er sollte sich beugen vor ihr, ihr Erbarmen sollte er anflehen! – Jenes Mädchen aber, das es gewagt hatte, die Pläne der Gräfin von Cellamare mit ihrer Liebe zu durchkreuzen, jene Dirne – sie sah sie noch vor ihren Augen, wie sie vom Balkon herunterlächelte zu ihr – die Glückliche zu der Verschmähten! Ja! lächle und freue Dich! Der Tag der Vergeltung naht und die Rache der Gräfin von Cellamare sollst Du kennen lernen! Es schien ihr, wie der Abbate ihr die Nachricht überbracht hatte, als ergösse sich ihr eine wilde Wonne durch alle Adern, eine unsägliche, noch nie genossene Freude erfüllte ihr Herz; dem Abbate, dem Doktor wäre sie beinahe an den Hals geflogen, lachend und jauchzend, in seliger Rachelust. Mit dem Gedanken an die nahe Vergeltungsstunde legte sie sich nieder, mit diesem Gedanken schlummerte sie ein, und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, während in ihrem Herzen wie ein leise im Schlafe nachtönender Gesang der letzte Gedanke, den sie aus dem Wachen ins Träumen mit hinübergenommen hatte, fortsummte: Wie eine sicilische Gräfin sich rächt, sollt Ihr erfahren, Du, fremder Verräther! Du, freche Dirne!


9.

Eine schwüle, drückende Luft lag über dem Thale; der Himmel war von einem fahlgelb schimmernden Schleier verhüllt; kurze Windstöße sausten durch die Wipfel der Bäume, deren Aeste sich wie im Fieberschauer schüttelten. Mit bedenklichem Kopfnicken beobachtete Nina die schweren Gewitterwolken, die sich um die Berge ansammelten.

„Der Sirokko schlägt um; vor Nacht bekommen wir ein Unwetter. Gebe Gott, Felicita, daß Dein Vater jetzt nicht von Milazzo her unterwegs sei, denn die Wasserfluthen werden diese Nacht durch unsere Thäler brausen.“

Besorglich folgte Felicitas Auge dem drohenden Wolkenspiele.

„Sollte der Vater schon heute unterwegs sein?“ fragte sie nach einer Pause, – aber nicht ihrem Vater allein hatten ihre Gedanken gegolten.

„Sechs Tage sind es morgen, daß er abreiste, und der Bote, den er vorgestern aus Milazzo schickte, sagte seine Rückkehr auf heute oder morgen an.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 630. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_630.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)