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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Vom höchsten deutschen Berge.

Land und Leute am Kilimandscharo. Von C. Falkenhorst. Mit Abbildungen von R. Püttner und A. v. Roeßler.

Landschaft von Moschi mit Blick auf Mandaras „Residenz“.

Wer noch vor einigen Jahren die Zugspitze im Wettersteingebirge bestieg und aus einer Höhe von 2973 m über die bayerischen Alpen seine Blicke schweifen ließ, der konnte mit Fug und Recht sagen, daß er seinen Fuß auf die höchste Zinne des Deutschen Reiches gesetzt habe. Heute stellen wir an die Männer, die als die „höchstgestiegenen“ in deutschen Bergen gelten wollen, ganz andere Ansprüche.

In den letzten Jahren entstand jenseit der Oceane ein Neudeutschland. Ueber unermeßlichen Ländern weht die deutsche Flagge, und mit den Kolonialgebieten erwarben wir auch Berge, die weit höher sind als die heimathlichen. Zunächst wurde Kamerun mit seiner palmölberühmten Niederung und seinen gewaltigen Bergzügen errungen. Da war schon die Zugspitze nicht mehr unser höchster Berg; denn der kahle Gipfel des Westafrikanischen Riesen, der Große Kamerunberg oder der „Götterberg“, wie ihn die Eingeborenen nennen, ist gegen 4000 m hoch. Die Alpen waren uns aber noch über und mit dem 4810 m hohen Montblanc konnte sich der Bruder „Götterberg“ immer noch nicht messen. Da kam eine neue Errungenschaft hinzu. In Ostafrika wurden zwischen Deutschland und England die „Interessensphären“ abgegrenzt und ein neuer Riese fiel Deutschland zu: der Kilimandscharo, den vor Jahrzehnten ein Deutscher gemessen hat und der mit 5694 m Höhe selbst den Montblanc übertrifft.

Betrachten wir auf der Karte von Afrika die Grenzlinie zwischen den beiden Interessensphären, so sehen wir, daß diese nicht in schnurgerader Linie von der Meeresküste zu dem großen Ukerewesee läuft, sondern in der Mitte etwa einen kleinen halbkreisförmigen Bogen beschreibt, der in das englische Gebiet einschneidet. In diesem Halbkreise liegt der Kilimandscharo und diese Abweichung der Grenzlinie beweist, daß wir bei den Erwerbungen in Afrika den Riesen uns erhalten und ihn nicht preisgeben wollten. Preisgeben! Das Wort ist berechtigt; denn wem sollte ein gefundener herrenloser Gegenstand gehören, wenn nicht dem Finder?

Und ein Deutscher hat den Riesen in Ostafrika gefunden, war der Entdecker des Kilimandscharo! – Seit Jahrtausenden ging unter den Völkern die Sage von himmelanstrebenden Bergen in Ostafrika. Ptolemäos berichtete im zweiten Jahrhundert nach Christo von einem Quellsee des Nils und einem Mondgebirge. Dreizehnhundert Jahre vergingen, bis der reisekundige Spanier Fernandez de Enciso diese dunkle Nachricht durch die Mittheilung erweiterte, daß westlich von Mombassa ein sehr hoher „Berg Olympos“ liegen sollte, und drei Jahrhunderte verflossen wieder, bis der Mythus in der geographischen Wissenschaft als Wahrheit erwiesen wurde.

In den vierziger Jahren lebten an der Ostküste von Afrika einige Missionare, welche den Heiden das Evangelium verkündeten. Einer von ihnen, Namens Rebmann, drang auf seinen Wanderzügen tiefer in das Land hinein und kam am 11. Mai 1848 in die Nähe von Taweta. Da fesselte, als sich die Nebelschleier zertheilten, ein überwältigendes Schauspiel sein Auge; in weiter Ferne ragte aus düsterm Untergrunde eines Waldes der Schneedom des Kilimandscharo in den klaren blauen Himmel empor. Jeden, dem dieser Anblick zutheil wird, ergreift er noch heute im Tiefinnersten, und der schlichte Missionar fiel auf seine Kniee und betete mit bebenden Lippen den hundertelsten Psalm: „Ich danke dem Herrn von ganzem Herzen.“ Diese Wirkung des ersten Anblicks kann man begreifen, wenn man einen anderen deutschen Reisenden nach vierzig Jahren an derselben Stelle ausrufen hört:

„Welche Gegensätze sind in dem Bild harmonisch vereint! Hier unten die Gluth des Aequators und tropisches Leben, neben uns der nackte Neger und vor uns Palmenhaine am Rande des Tawetawaldes; dort oben die Eisluft der Pole, die überirdische Ruhe der gewaltigen anorganischen Natur, ewiger Schnee auf erloschenen Vulkanen!“

Rebmann, der nur von zehn Trägern begleitet wurde, konnte frei und sicher an den Hängen des Kilimandscharo umherwandern; denn um jene Zeit herrschte noch Frieden im Lande, der Einfluß der arabischen Sklavenjäger war bis dorthin noch nicht vorgedrungen. Bald darauf entdeckte ein anderer Missionar Krapf den Keniaberg, und beiden Deutschen wurde die Silberne Medaille der Geographischen Gesellschaft in Paris dafür zuerkannt, daß sie das Vorhandensein schneebedeckter Berge im äquatorialen Ostafrika nachgewiesen hatten.

Seit jener Zeit wurde der Kilimandscharo von englischen und deutschen Reisenden wiederholt besucht, aber niemand vermochte bis jetzt die Spitze desselben zu erreichen. Inzwischen aber sandte die Deutsch-ostafrikanische Gesellschaft Dr. Jühlke an den Fuß des Berges, der mit dem mächtigsten Häuptling des Landes, Mandara, einen Schutzvertrag abschloß und dadurch den deutschen Einfluß in jener Gegend praktisch zu sichern suchte. In jüngster Zeit kamen Neger vom Kilimandscharo zum erstenmal nach Deutschland und wurden sogar vom Kaiser empfangen. Alles dies weckt von neuem unser Interesse für den wunderbaren Berg, und es dürfte darum an der Zeit sein, auch unsere Leser mit diesem deutschen Gebiet vertraut zu machen.

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Rings um den Kilimandscharo wird die Ebene von dem kriegerischen Stamme der Massai bewohnt, welche Dr. Fischer in der „Gartenlaube“ (Jahrgang 1885, S. 210) ausführlich geschildert hat. Das Hochplateau aber, welches den Sockel des Berges bildet, ist die Heimath des Dschaggastammes, nach dem auch das Land genannt wird.

„Dschagga,“ schreibt Dr. Meyer in seinem Werke „Zum Schneedom des Kilimandscharo“, „ist die Kulturzone des Kilimandscharo.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_637.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)