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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Gut!“ erwiderte der andere im selben Tone, „wo? wann?“

„Jetzt! In der Kapelle!“

Und die beiden waren schon aneinander vorbeigeschritten wie Fremde, die nichts mit einander gemein haben.

Sie trafen sich wieder an der verabredeten Stelle, einer in entlegener Straße versteckten Kapelle. Lerche, der sonderbare Heilige, pflegte dort seit langen Jahren jeden Morgen mit peinlicher Gewissenhaftigkeit einer Messe beizuwohnen. Hinter einem Pfeiler führte eine schmale Thür in eine dunkle Kapelle. Dort erwartete ihn Salvatore.

„Was giebt’s?“ fragte Lerche, nachdem er die Thür hinter sich geschlossen hatte.

„Auf den Bergen sitzt einer seit ein paar Tagen in sicherem Gewahrsam. Die ihn gefangen nahmen, fordern Lösegeld. Er weigerte sich bis gestern. Heute schrieb er seiner Familie, daß er zu zahlen bereit sei; man möge das Geschäft für ihn einleiten.“

„Wie viel?“

„Zehntausend Dukaten.“

„Wer das Geld vorstreckt, will fünfzig Prozent dabei verdienen. Wer zahlt?“

„Hälfte er, Hälfte wir.“

„Habt Ihr ein Schreiben?“

„Zweie.“

Salvatore hielt dem Bankier, ohne es jedoch aus den Fingern zu lassen, ein Stück Papier vor die Augen. Lerche las halblaut vor sich hin:

„Ich, Endesunterzeichneter, verpflichte mich, die infolge von Verkauf von Liegenschaften“ – „ah! schlau!“ – „an Antonino Merlo geschuldeten zehntausend Dukaten nebst Zinsen“ – „gut! schön!“ – „wie verabredet auszuzahlen, wenn damit die volle, auf den Gütern lastende Hypothek“ – „Hypothek ist hübsch!“ – „als ausgeglichen angesehen und der Angelegenheit in Zukunft in keinerlei Weise mehr Erwähnung gethan werden wird!“ – Schön! Und das zweite Schriftstück?“ – „Ich ermächtige meinen Vetter“ – „so und so, kann mir gleich sein“ – „in meinem Namen bei Herrn Bankier Lerche zehntausend Dukaten zu erheben; zur Deckung gebe ich hierdurch Garantie auf das Schloß della Rovere und auf den Ertrag der kommenden Olivenernte“ … „Unterzeichnet, eigenhändig, Giuseppe Russo, Marchese della Rovere und so weiter … alles richtig! Wann wollt Ihr das Geld?“

„Heute noch!“

„Wer quittiert?“

„Mein Sohn.“

„Er soll ja in den Bergen sein?“

„So quittiere ich; Russos Schein erhältst Du jedenfalls.“

„Dein Sohn soll sich in acht nehmen; der Gouverneur fahndet nach ihm.“

„Man wird ihm nichts anhaben können, sobald bezahlt ist; der Gefangene hat geschrieben und unterschrieben – ich war dabei! – daß, sollte er verhört werden, er einen Eid leisten würde, daß seine Gefangennahme und Auspfändung eitel Lüge und Erfindung seien. Der Gepfändete selber wird die Unschuld seiner Verfolger beschwören! Bricht er den Schwur, so bricht er sein Leben! Er weiß es!“

„Auf Wiedersehen!“

„Lebe wohl!“

Das Hochamt war beendigt; die Straße leer. Lerche wartete, bis Salvatores Schritte hinter der nächsten Ecke verhallten; dann entfernte er sich in entgegengesetzter Richtung.

Während diese beiden in jener verborgenen Kapelle ihre „Geschäfte“ erledigten, ließ sich der Abbate Scaglione bei der Gräfin von Cellamare melden; sein Auftrag, befahl er dem ob dieses frühen Besuches erstaunten Diener, leide keinen Aufschub. Lange brauchte er auch nicht zu warten. In bequemer Morgentoilette trat die Gräfin zu ihm herein, die schwarzen Haare über ihre Schultern aufgelöst, mit einem Funkeln im Auge, aus welchem die ganze leidenschaftliche Spannung sprach, mit der sie Scagliones Nachrichten entgegensah.

„Ihr habt sie gesehen? Sprecht!“ rief sie noch unter der Thür.

Jetzt erst bemerkte sie des Abbates verstörte Gesichtszüge, die Unordnung seiner Kleidung, den Schmutz, der seine Schuhe und Kleider bedeckte.

„Was ist’s, Scaglione? Wo kommt Ihr her? Der Orkan …?“

„Ein wahres Wunder ist’s, Frau Gräfin, daß Ihr mich lebendig vor Euch seht! Ich verbrachte die Nacht in der Kirche der Badiazza – die Kirche ist nur noch ein Trümmerhaufen – hätte die Madonna Euren Diener nicht beschützt, er läge heute unter dem Schutt der Fiumara begraben!“

Sprachlos schaute sie ihn an; – im selben Augenblick sprangen aber ihre Gedanken auf jenen andern über, an dem sie Rache zu nehmen sich gelobt hatte – und für den sich doch in ihrem Herzen ein anderes Gefühl noch regte.

„Und er?“ lispelte sie mit tonloser Stimme, als hoffte sie – als fürchtete sie vielleicht – Antwort auf die bebende Frage.

„Er?“ antwortete langsam und jedes Wort betonend der Abbate, „liebestrunken ist er mir voraus zur Stadt geritten und träumt wohl wachend von den schönsten Stunden, die ihm das Schicksal bereitete! Dem einen war es eine Nacht unvergeßbaren Schreckens – dem andern aber eine der seligsten Wonne!“

Der Athem wollte ihr ausgehen. Ihre Hand spielte mit einem elfenbeinernen Petschaft, das einen Amor mit Pfeil und Bogen vorstellte; unter dem krampfhaften Zucken ihrer Finger brach der kleine Liebesgott entzwei.

„Schlimmes Zeichen für den, den Ihr liebt!“ lächelte Scaglione.

Aber, die Stücke von sich schleudernd, schnitt sie ihm das Wort ab:

„Wer sagt, daß ich ihn liebe? … Wer meine Liebe verschmäht, der erntet meinen Haß! Sprecht, Scaglione, was habt Ihr erfahren? was wißt Ihr?“

„Alles weiß ich, Frau Gräfin – und mehr noch, als zu wissen Euch lieb sein wird!“

Er erzählte – wie er’s wußte – wie er sich’s dachte: von dem Stelldichein, das sich die beiden in der Kirche gegeben hätten, von dem Sturm, der Gefahr, der Rettung des Mädchens durch den Offizier, von dem Hause, wohin er sie gebracht hätte, allein, ohne die verzweifelnde Dienerin. Aber als er den Namen des Mädchens nannte – die Tochter Romeos, des Tischlermeisters – da fuhr die Gräfin wuthentbrannt und ihrer selbst nicht mehr mächtig in die Höhe.

„Die Tochter des Tapezierers, der meine Möbel flickt und meine Teppiche ausklopft! – Und diese, die mein Stubenmädchen sein könnte, zieht der Unwürdige der Gräfin von Cellamare vor! – und für diese Dirne spielt er mit dem Tode!“

Schwer legte sich des Abbates Hand auf ihren Arm; sein Blick bohrte sich in ihr Auge.

„Und heute, wo das sicilische Volk Waffen schmiedet und Kugeln gießt, um des Königs Majestät zu bekriegen – heute wird die Tochter des schlimmsten aller Revolutionsanführer von einem Offizier der Schweizergarde geliebt!“

Das Wort saß mit scharfem Schnitt in ihrer Seele wie ein in die Mitte der Wunde abgeschossener Pfeil.

„Ist der Verrath doppelt, so sei doppelt auch die Strafe! – Abbate,“ fügte sie mit leiser, zitternder Stimme hinzu, „helft mir berathen und ausführen! Reicht mir die Hand: was hier beschlossen wird, es bleibt Geheimniß zwischen Euch und mir!“

Er reichte ihr seine Hand – und lange blieben die beiden in der Gräfin Gemach; leise flüsterten ihre Stimmen, daß keiner auch nur ahne, was hier gesponnen wurde.

„Es bleibt beschlossen,“ sagte Scaglione, als er sich zum Abschied erhob, – „nicht von unserer Hand darf der Streich geführt werden! Den königlichen Offizier darf nur ein Schlag der Königsfeinde treffen! Er fällt auf sie zurück, und der Revolution, die ihre Stirn erhebt, zertreten wir den Kopf! Heute noch erhält durch mich der Bräutigam dieses Mädchens Nachricht von dem an ihm verübten Verrath!“

„Und heute noch soll ihr Vater aus meinem Munde hören, wer sein Haus beschimpft hat!“ …

Als der Graf sich zur Frühstücksstunde im Speisezimmer einfand, wurde ihm zu seinem nicht geringen Erstaunen von der in liebenswürdigster Ausgelassenheit lachenden und plaudernden Gräfin eröffnet, daß sie es nun müde sei, den Karneval ohne Fest noch irgend welche Zerstreuung zu verbringen. Und da ihr Herr Gemahl nicht an ihre Unterhaltung denke, so habe sie selber diese

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_651.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)