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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Rolle übernommen; am letzten Karnevalsabend werde sie die vollzählige Gesellschaft Messinas und der Umgegend zu sich laden und heute noch werde sie den Tischlermeister Romeo zur Ausschmückung der Festräume zu sich bestellen.

„Romeo?“ unterbrach sie der Graf; „der wird wohl keine Zeit für Euch finden! Ich begegnete ihm vorhin mit meinem alten Freunde, dem Marchese della Rovere von Taormina. – Verschwörung und Revolution in der Luft! Ihr wählet sonderbare Zeiten zu Euren Festen, Teresina!“

Aber lachend gebot sie ihm Schweigen.

„So wird’s ein Verschwörungsfest geben – und wehe denen, gegen die ich mich verschwöre!“

Ihr Lachen klang sonderbar, mit einem so metallisch harten Ton, daß der Graf betroffen zu ihr aufblickte.


12.

Wer zum erstenmal die finsteren, von hohen Mauern überragten Straßen der oberen Stadt Messina betritt, den befällt ein seltsam unheimliches Gefühl; eng und tiefeingeschnitten winden sich die lavagepflasterten Gäßchen, laufgrabenähnlich, zwischen den massigen Quaderbauten hin; bis zur Höhe des zweiten Stockwerkes streben die nackten Mauern hinauf ohne Absatz, ohne Verzierung; dort erst sind Fenster gebrochen, unregelmäßig, mit bauschig hervortretenden Eisengittern versehen, deren Schnörkel und Arabesken den Blicken der unten Durchziehenden einen undurchdringlichen Schleier entgegenstellen; auf die Straße öffnen sich, durch weite Zwischenräume getrennt, enge, eisenbeschlagene Eichenthüren mit schweren, messingenen Klopfern, und lange muß derjenige, der hier anklopft, warten, bis die Insassen von oben herunter und durch die Schießscharten hinter der Eingangspforte genau erkundet haben, wer er sei, und bis er von einem bedächtig durch die wiederhallenden Gewölbe hinschleichenden Mönche eingelassen wird. Hier ist das alte Klosterviertel, eine zusammenhängende Masse von Kirchen, Kapellen, Zellen, Korridoren, Höfen, ungeheueren Hallen, unermeßlichen Kellern, ein unentwirrbares, von geheimen, in finsteren Ecken sich öffnenden Gängen durchschnittenes Labyrinth, eine Stadt in der Stadt, eine Welt für sich, mit einer unsichtbaren, von keinem bemerkten Bevölkerung von Mönchen, Laienbrüdern, Nonnen, Pförtnern und Arbeitern. Wer hätte es wohl gewagt, im diese geheiligten Räume zu dringen? Und hätte er das Wagniß unternommen, wer hätte hinter den verschlossenen Zellenthüren die Mönche beim Trocknen des Pulvers, beim Anfertigen der Patronen und beim Kugelgießen, wer hätte die Nonnen beim Nähen und Sticken von Fahnen, Schärpen und Offiziersabzeichen überrascht? Wessen Auge wäre wohl bis in die Tiefe der Keller gedrungen, wo, hinter den langen Fässerreihen versteckt, Flinten, Säbel und Lanzen aufgespeichert lagen?

Dort oben, in jenem Festungswinkel, hatten sich die Freunde von San Placido Stelldichein gegeben. Sie kamen, ein jeder von einer andern Seite, ein jeder durch eine andere Thür; leise wurde das Losungswort hingeflüstert; wissende Brüder geleiteten sie durch die geheimsten Gänge, bis zu einer auf die Berge sich öffnenden Zelle inmitten der Einsamkeit der Klostergärten.

Als einer der letzten trat Romeo ein. Sie wußten, daß er durch den Orkan der letzten Nacht am Weiterreisen gehindert worden war, und die Freunde fanden es natürlich, daß er, bevor er sie aufsuchte, zu seiner Tochter geeilt war. Ein sonderbares Schweigen fiel jedesmal auf die Versammlung, wenn einer auf die Ereignisse der letzten Nacht zu sprechen kam oder gar, wenn der Name von Romeos Tochter genannt wurde.

„Es ist doch seltsam,“ flüsterte der Palermitaner Mönch seinem Nachbar Salvatore ins Ohr, „daß die ganze Stadt voll von diesem Märchen ist! – Woher habt Ihr die befremdende Nachricht?“

„Von einem, der Zeuge war – von dem Abbate Scaglione!“ antwortete finster Salvatore.

„Und glaubt Ihr wohl daran?“

Salvatore schwieg. Seine Hand ballte sich krampfhaft.

„Ob es wahr ist – wird man erfahren! – Wenn es aber wahr ist – so fließt Blut!“

Romeo trat mit dem Marchese della Rovere in die Zelle.

„Seid gegrüßt, Brüder!“ sagte er, und Salvatore bemerkte, daß die Hand, die er ihm bot, nicht zitterte, daß sein Auge so klar schaute wie immer, daß nichts in seiner Haltung und Gebärde auf irgend welche außergewöhnliche Bewegung in seinem Innern schließen ließ. „Unser Freund, der Marchese, darf wohl mitberathen? Ich traf ihn auf der Straße.“

„Was führt Dich hierher, Filippo?“ fragte der Prior verwundert.

„Der Gouverneur ließ mich rufen,“ erwiderte der derbe Bauer … „sprach gestern mit mir vom Prozeß – gegen den Schurken! Ihr wißt ja, den Marchesendieb! Haha! Nächster Tage wird einer ein schiefes Gesicht schneiden, der Marchese zu sein glaubte und es plötzlich nicht mehr war! Der Prozeß ist ja so gut wie gewonnen! – Nun ja! das sagte mir dieser Gouverneur … wollte aber noch andere Dinge von mir erfahren, – von den Briganten, – von Deinem Sohne, Salvatore! – Da kam er an den Rechten! Mir wird doch so ein neapolitanischer Gouverneur noch kein X für ein U vormachen!“

Salvatore war zu Romeo hingetreten.

„Du hast meinem Sohne in Taormina das Leben gerettet; habe Dank!“

Sein Auge ruhte forschend auf Romeo, als er langsam fortfuhr: „Hast Du Deine Tochter gesehen? Sie stand gestern in Gefahr!“

„Ja,“ antwortete Romeo ruhig, „ich habe sie gesehen; sie betete in der Kirche der Badiazza, als das Unwetter losbrach; ein paar Leute, die sich dort befanden, brachten sie noch glücklich nach Hause.“

Salvatore schwieg. Eine stumme, schwere Frage schwebte vor seinem Geiste: hatte Felicita ihrem Vater weiter nichts erzählt, – so fühlte sie sich schuldig, so hatte Scaglione nicht gelogen, – so war die Ehre des Bräutigams geschändet, – so …

Die Männer traten in die Berathung. Romeo wurde aufgefordert, von seiner Reise zu berichten. Er that es in kurzen Worten, in seiner knappen Weise. Er hatte sich von Taormina aus über die Berge zu dem alten Petrone begeben, den er wie eine Art von Heiligen verehrte; was Petrone, ein gelehrter, in allerlei Wissenschaften kundiger Greis, sprach, das war von alters her für des einfachen Tischlermeisters Gemüth ein Evangelium gewesen. Romeo erzählte mit bewegter Stimme, wie er den ehrwürdigen, silberhaarigem Freund inmitten von seinen Büchern gefunden – wie er die Hoffnungen der sicilischen Patrioten mit ihm besprochen, wie er ihm endlich die Frage vorgelegt habe, welche eine so heftige Meinungsverschiedenheit hervorgerufen habe.

„Und wie lautete Petrones Antwort?“ fragte der Palermitaner, da Romeo in seiner Rede innehielt.

Romeo stand von seinem Sitze auf und entblößte das Haupt.

„Petrone,“ sprach er mit langsam weihevoller Stimme, „deutete auf ein Brustbild seines Lieblingsdichters Dante, das auf seinem Schreibtische steht, und sagte: ‚Nicht um Sicilien allein handelt es sich, – sondern um unser großes, heiliges Vaterland, – Italien!‘“ …

„Da haben wir den phantastischen Träumer!“ fuhr Salvatore dem Freunde durch die Rede; „was kümmert mich Italien? – wir sind Sicilianer!“

Aber scharf schnitt ihm Romeo das Wort ab:

„Und ich – und Petrone – als Italiener fühlen wir uns, – und für unsere Brüder drüben arbeiten wir, wie für uns. ‚Ihnen,‘ so sprach Petrone, ‚ihnen sind wir schuldig, mit makellosem Freiheitsbanner in den Kampf zu ziehen!‘ – und seine Hand wie zum Schwure auf Dantes Haupt legend, fuhr Petrone fort: ‚Hätte der größte Italiener im Kampfe für sein Land und seinen Gott jemals mit Mördern einen Bund geschlossen? Diese Frage, Romeo, trage als Antwort Petrones nach Messina!‘ – So sprach der Alte; ich habe geendet!“ Und Romeo setzte sich.

„Ehrenbürger von Sperlinga[1]!“ murmelte Salvatore vor sich hin. Gegen das Ansehen, welches Petrones Worte genossen, wagte er jedoch nicht, sich offen aufzulehnen.


  1. Sperlinga war der einzige Ort in Sicilien, dessen Bevölkerung sich der „Sicilianischen Vesper“ anzuschließen weigerte; über dem Thore des Städtchens steht heute noch in den Stein gegraben eine damals angebrachte lateinische Inschrift: „Quod Siculis placuit, sola Sperlinga negavit“ – „Was ganz Sicilien wollte, nur Sperlinga wollte das nicht.“
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