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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Das Examen folgt, wie in den Sprechzimmern der anderen Aerzte. Der Kranke wird ebenso betastet, beklopft, behorcht etc. Erscheint nun dem Arzte die Untersuchung des Mageninhaltes nöthig, so eröffnet er dies dem Patienten und ersucht ihn, etwa am folgenden Tag zur Vornahme der natürlich ganz ungefährlichen Magenentleerung wiederzukommen, und zwar fünf bis sieben Stunden nach eingenommener Probemahlzeit. Diese muß nach Menge und Zusammensetzung richtig gewählt werden, wobei es sehr darauf ankommt, daß die gewohnte Essenszeit innegehalten wird, weil hier der Magen seine beste Verdauungskraft zu entfalten pflegt. – Die Probemahlzeit besteht nach Vorschrift des Arztes gewöhnlich aus einem Teller Fleischbrühsuppe, einem Beefsteak und einem sogenannten Tafelbrötchen, wozu je nachdem auch etwas Wasser mit oder ohne Wein genommen werden kann. Nach dieser Mahlzeit darf bis zum Aushebern nichts Festes und nichts Flüssiges, also kein Gläschen Wasser genossen werden. Nur so erhalten wir ein richtiges Bild vom Magensaft auf der Höhe der Verdauung. Wenn nun der Patient kommt, ermahnt ihn der Arzt, ruhig und tief zu athmen, und beginnt die, wie gesagt, ungefährliche Operation. Die Sonde, in warmem Wasser angefeuchtet, wird vom Arzt am unteren Ende wie eine Schreibfeder gefaßt, in den Mund, durch den Rachen und hinter dem Kehlkopf in die Tiefe geführt. Ist sie soweit gekommen, so gleitet sie fast von selbst in den Magen, wenn der Patient dem Gebot des Arztes, die eingeführte Sonde zu verschlucken, folgt. Wenn dies auch meistens, besonders anfangs, nicht ohne einige leichte Würgbewegungen geht, so hat dies nicht viel zu sagen. Ist die Sonde mit ihrem unteren Ende im Magengrunde, an der tiefsten Stelle des Magens, angekommen, wo hinreichend Flüssigkeit ist, so bittet der Arzt den Patienten, etwas zu pressen oder zu husten. Mit diesen Exercitien gelingt es meist, die im Magen vorhandene Flüssigkeit in die Höhe zu treiben und so den kürzeren Abschnitt des Hebers, beziehungsweise der Sonde zu füllen. Ist bei einem zweiarmigen Heber auch das den kürzeren und längeren Arm verbindende Mittelstück gefüllt, so durchströmt die Flüssigkeit von selbst den längeren Arm. Wie oft macht man genau dasselbe im Keller mit dem Weinheber! Die Magenflüssigkeit läuft von selbst aus dem Magen ab, wird in einem Gefäß aufgefangen und gesondert aufbewahrt zur weiteren chemischen Untersuchung. So viel über das Aushebern des Magens!

Was nun das Ausspülen desselben, das zu Heilzwecken geschieht, betrifft, so wird dieses folgendermaßen gemacht: man hält den Trichter hoch und gießt lauwarmes Wasser in denselben, wobei indessen zu beachten ist, daß man den Trichter nicht zu hoch hält; so verhütet man, daß das Wasser wie eine Dusche wirkt. Durch diese theilweise Anfüllung des Magens mit Wasser wird der Mageninhalt verdünnt und der Magen selbst gereinigt. Um ihn zu entleeren, genügt es, den Trichter, sobald das letzte Wasser in ihm zu verschwinden droht, einfach zu senken, und alsbald strömt der verdünnte Mageninhalt nach außen. Mit fast wunderbarer Schnelligkeit pflegt nun nach dem Aushebern und der Entfernung der Sonde den Leidenden ein man möchte sagen aufathmendes Wohlbefinden zu überkommen. Er ist ein neuer Mensch geworden. „Nicht wahr?“ fragt der Arzt, „Ihnen ist nicht übel? Sie empfinden keinen Schmerz? Aber Hunger haben Sie wohl, oder nicht?“

„Ja, Herr Doktor,“ pflegt der nicht mehr Gequälte zu sagen, „Schmerzen habe ich nicht, aber Hunger verspüre ich und möchte etwas essen, und zwar bald, warten kann ich nicht mehr lange.“

Zufriedener verläßt der Patient den Arzt und empfängt von diesem die ausdrückliche Bemerkung, daß eine Wiederholung der soeben vorgenommenen Entleerung unvermeidlich sei, denn nur – so erklärt der erfahrene Magenarzt – eine öftere chemische


Cilly.
Nach einem Gemälde von Franz Defregger.
Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_657.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)