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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Aller Zorn, den er bei der Gräfin mit so mächtiger Gewalt zurückgekämpft hatte, überfluthete mit einem Male sein Herz und seine Sinne.

Das heiße sicilianische Blut kochte in seinen Adern und hämmerte, jede Vernunft übertönend, an seine Schläfe.

„In die Kniee, Elende! in den Staub vor mir!“

Aber in jäher Entrüstung sprang Felicita vor ihm auf.

„Seine Geliebte? Ich?“

Vater und Tochter standen einander zornglühend gegenüber. In beider Seele flammte mit urplötzlicher Gewalt das alte südliche Feuer auf, das sengende Feuer unbezwingbarer Leidenschaft, und mit dämonischer Macht brach die altangestammte, halbwilde Natur hervor. Weder Vater noch Tochter wußten mehr, was sie thaten. Er griff nach seinem Stocke – sie suchte nach einer Waffe.

„Ich liebe ihn!“ schrie Felicita. „Ja, von ganzem Herzen, von ganzer Seele liebe ich ihn! Und wenn er es will, so folge ich ihm bis ans Ende der Welt. – Aber von Gottes Altar nur führt er mich in sein Haus!“

„Ein schweizer Offizier?“ rief Romeo, „meine Tochter?“

Sie hörte nicht.

„Du kennst ihn nicht, den edlen Mann, der mir das Leben gerettet hat. – Dort unten … dort unten in jenem Gemäuer verbrachte er die Nacht – und keinen Schritt that er mehr Deinem Hause zu! Und ich sah ihn, wie er sich beim Morgengrauen entfernte! Nein, nein! Vater! Du kennst ihn nicht! Ich aber kenne ihn jetzt, und von ganzem Herzen liebe ich ihn – und die Seinige bin ich für alle Ewigkeit! Denn ein edleres Herz schlägt in keines Mannes Brust! Und Du, Vater, könntest Du je vergessen, daß er es war, der Dein einzig Kind aus den Fluthen des Torrente riß – er, der Schweizer! der Feind, der sein Leben wagte, um mich, Deine Tochter, zu retten? Sprich, Vater! darfst Du es vergessen? und sprich! darf ich vergessen, was er an mir gethan hat? Sprich! darf ich’s? Sprich! darfst Du’s?“

In jenen südlich heißen und leicht beweglichen Herzen folgen und überstürzen sich die widersprechendsten Gefühle in ebenso plötzlichem und gewaltigem Wechsel wie Sturm und Sonnenschein am sicilischen Himmel.

Die zornestrunkene Empörung seiner Tochter übte auf Romeos Gemüth eine überzeugendere Wirkung aus, als es die nüchternste Beweisführung vermocht hätte. Mit stürmischem Feuer schloß er die Tochter in seine Arme.

„Du hast recht, Felicita!“ sagte er endlich, nachdem er seiner Erregung Herr geworden war; „Du hast recht! Hat er das gethan, so schlägt kein edleres Herz auf Erden, und ich könnte ihn werth finden, Dein Mann zu werden – wenn er nicht unser Feind wäre! Aber er ist’s, Felicita! er ist’s! und morgen schon können wir uns im Kampfe gegenüber stehen! Er kennt Dich noch nicht? Er weiß nicht, wessen Tochter Du bist? – Aber er wird es erfahren – und dann? – Glaubst Du, daß ein schweizer Offizier zu Romeo, dem Capo popolo, hintreten und um die Hand seiner Tochter werben werde? – Und wollte er’s, er dürfte es nicht! – Aus seinem Dienste würde er entlassen, vom seinen Kameraden verstoßen! – Aber Du selbst, Felicita! Darfst Du vergessen, daß Du meine Tochter bist? die Tochter des Mannes, dem das Volk vertraut! den das Volk zum Vertheidiger seiner Rechte, zum Anführer im Kampfe erwählt hat! Du, Felicita, hast dieselben Pflichten wie ich! Die Pflichten der Väter vererben sich auf die Kinder! – Blicke auf, Felicita, und schau mir ins Auge: bist Du eine Sicilianerin, oder bist Du’s nicht? gehörst Du Deinem Volke, oder gehörst Du ihm nicht? bist Du Romeos Tochter, oder bist Du’s nicht? – Die Seinige wolltest Du werden für alle Ewigkeit, sagtest Du? und mit ihm zu entfliehen bist Du bereit, wohin er Dich führen will? – Felicita! Nicht Dein Los allein – auch das meinige liegt in Deiner Hand, – ja, noch mehr, das Los Deiner Vaterstadt, das Los Deines Volkes! Denn muß sich morgen Romeo wie ein des Verrathes Beschuldigter verstecken, welch ein Jubel bei unsern Feinden! welche Schmach für des Volkes Sache! und welcher Schlag für unsere Freunde, die auf mich zählten, die an mich glaubten, die auf meinen Ruf warten, um sich für Freiheit und Vaterland dem Tod und dem Verderben zu weihen! – Und fliehen und verschwinden muß Romeo, wenn seine Tochter einem Schweizer die Hand reicht! Todt und verloren ist Romeo für immer! Was spreche ich aber von mir? Die Zukunft Deines eigenen Volkes, Felicita, Deiner Stadt – Deines Landes – von, Dir, Tochter, von Deinem Entschluß, von dem Worte, das Dein Mund jetzt sprechen wird, hängt alles ab! Das Wort ‚Verrath!‘ eilt auf Windesflügeln durch die blinde argwöhnische Menge! Laß das Volk erfahren, daß Romeos Tochter einen Schweizer liebt, und als Verräther wird Romeo bei seinen Freunden verrufen, aus ihrer Mitte verstoßen – und nichts bleibt ihm übrig, als wegzuziehen bis an die Grenzen der Welt, wo Siciliens Name noch nicht hingedrungen ist und kein Sicilianer noch den Fuß ans Land gesetzt hat!“

So sprach Romeo.

Er sprach lange; er sprach, wie ihm seine wild durcheinander tobenden Gefühle die Worte auf die Zunge führten; er sprach, wie man im Süden spricht, mit bilderreichem Schwunge; denn glänzend ist dort der Gedanken Gewand, und Schwingen entfaltet auch des geringsten Mannes Rede, wenn die Leidenschaft sich seiner Sinne bemächtigt.

Athemlos und starr in sein Auge blickend, horchte Felicita auf ihres Vaters Worte. Sie war leichenblaß geworden. Mit beiden Händen bedeckte sie ihr Antlitz. Es war ihr, als eröffne sich ein Schlund vor ihren Füßen … Er hatte recht – der Vater hatte recht!

Wie hatte sie sich dies alles nicht selber sagen können, und wie durfte sie ihrem Vater widerstehen?

Es ging wie ein Riß durch ihr Herz; es war, als erwache in ihrem Busen ein strafendes Gewissen! Ja, an dem Vater – an ihrem Volke hatte sie sich versündigt! So rein sie auch war, diese Liebe war ein Verbrechen!

Zitternd erfaßte sie des Vaters Rechte und im Innersten ihres Herzens erbebend, warf sie sich an seine Brust.

„Vater, Vater!“ schluchzte sie; „nein, nein! nicht durch meine Schuld …“

Sie wollte sprechen und konnte es nicht.

„Nein, nein!“ wiederholte sie nur und auf die Kniee sank sie vor ihm nieder, und heiße Zähren flossen auf des Vaters Hände.

Lange verharrten beide in stummer Umarmung. Draußen hörte man Ninas schleichende Schritte; sie näherte sich der Thür, als wollte sie horchen, was da drinnen vorging.

„Felicita!“ hub endlich Romeo an und in tiefer Rührung erzitterte des starken Mannes Stimme, „Tochter! … Kind! … Ich danke Dir … wie nur ein Vater seinem einzigen Kinde danken kann! Ein treues, wackeres Herz schlägt in Deiner Brust! Nun aber komm! komm mit mir in die Stadt! Hier darfst Du nicht länger weilen! An der Seite Deines Vaters ist Dein Platz, denn hierher wird er wiederkehren, Dich aufzusuchen – und nimmermehr darf er Dich wiedersehen!“

Verwirrt schlug Felicita ihre Augen zu ihm empor.

„Nimmermehr? Vater! Nimmermehr?“

„Sei stark, Felicita! Dem Vaterlande weihe Deine Liebe zum Opfer! Für Dich, für mich, für die andern ist dieser Offizier der Mann, der meiner Tochter das Leben rettete und dem ich dafür Dank schulde – tiefen Dank! – und vergessen werde ich meinen Dank nimmermehr! Weiter aber, mein Kind, ist er nichts mehr für uns – denn weiter … weiter ist er unser Feind – und auch dies dürfen wir nicht vergessen!“

Ihr Kopf legte sich auf seine Schulter.

„Vater!“ schluchzte sie, „ich bin bereit! … ich folge Dir! … aber versprich mir …“

„Sprich, Kind!“

„Wer Deine Tochter dem Tode entriß, dessen Leben soll meinem Vater heilig sein!“

Sie dachte an die bevorstehenden Kämpfe; in Romeos Geist hatten aber diese Warte noch andere Erinnerungen wach gerufen; er dachte zurück an die Gräfin und an ihre drohenden Worte.

„Sei ruhig, Kind!“ erwiderte er, „ich verspreche es Dir! Romeo weiß, was Pflicht und Dankbarkeit gebieten.“

Am selben Abend verließ er mit seiner Tochter das Landhaus bei der Badiazza.

Als sie in die Torrenteschlucht einbogen, gewahrten sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_670.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)