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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


„Ein Abbate zahlte uns zweihundert Piaster.“

„Ein Abbate? Scaglione? Das kommt von der Gräfin von Cellamare!“

„Die Namen nennen wir niemals!“ erwiderte der andere mit klugem Blinzeln. Einen vollen Auftrag gab uns der Abbate noch nicht; wir sollen zu seiner Verfügung stehen am letzten Karnevalsabend – und seine Weisung erwarten; – vielleicht lautet sie wie die Deine – vielleicht auch nicht!“

„Meine Losung ist Tod! aber unter einer Bedingung: ich bin selber dabei und man gehorcht meinen Befehlen!“

„Es sei! Zahlst Du sogleich?“

„Die Hälfte jetzt, die Hälfte nachher.“

Er öffnete seine Kapuze, zog einen schweren Ledergürtel hervor und legte mehrere Rollen von Gold- und Silbermünzen auf den Tisch.

„Du bist rasch reich geworden!“ sagte der andere, während er das Geld zählte.

„Gestohlenes Geld ist es nicht!“ erwiderte Antonino, indem er den Kopf in den Nacken warf.

„Es klingt wie falsches Marchesengold und richtiges Advokatensilber aus Taormina,“ meinte der andere, indem er lächelnd am Tischrande den Klang einer Goldmünze prüfte.

Antonino nickte.

„Zurückerstattetes, sauer erworbenes Gut!“

Der andere öffnete eine Truhe, ließ das Geld hineingleiten, schloß wieder fest zu und sagte:

„Befehle! Wann? Wo? Und wie?“

Antonino schien sich etwas zu überlegen.

„Was ist denn das mit dem Abbate?“ fragte er endlich. „Ich will nicht durch einen Pfaffen um meine Rache gebracht werden. Schiebe ihn hinaus, bis ich mit dem Hauptmann fertig bin.“

„So leicht ist dies nicht, Antonino! Der Hauptmann wird auf dem Ball der Gräfin von Cellamare erscheinen; dort könnt Ihr beide ihn – und Euch treffen!“

„Wann ist der Ball?“

„In drei Tagen, am letzten Karnevalsabend!“

„Der Tag paßt mir! Aber wo gedenkt der Abbate ihn zu erwarten?“

„Wo? – Du weißt, wir verrathen unsere Kunden niemals! – Aber wer kann den Masken verwehren, an jenem Abend in den Hof des Palastes von Cellamare zu dringen, die Tanzmusik mit anzuhören, die Damen beim Aussteigen zu bewundern?“

Er stand auf. Antonino that das Gleiche.

„Wo treffe ich Dich morgen, wenn ich Deiner bedarf?“

„Immer zur selben Stunde am selben Ort!“

Im dunkeln Hausgange verabschiedeten sich die beiden. Dem Hause gegenüber öffnete sich das hohe Portal einer Kirche; das Kerzenlicht erleuchtete die schimmernden Mosaikwände und reichen Goldverzierungen des Hauptaltars. Demüthig, das entblößte Haupt auf die Brust neigend, trat der Unbekannte in das Gotteshaus, kniete vor einem Heiligenbild nieder und, sich mit geübter Hand bekreuzigend, rief er, wie er es jedesmal zu thun pflegte, den Segen seines Schutzpatrons auf das eben geplante Unternehmen herab.

„Heiliger San Rocco!“ murmelte er vor sich hin, „ein Feind unserer Kirche ist es! Ein Fremder, der niemals das Knie vor unsern Altären beugte, ein Verächter dieses Volkes, ein Frevler an unserer Frauen Ehre! Siehe, San Rocco! Nicht die ersten besten sind es, die unsere Hilfe anrufen gegen ihn! Ein frommer Diener der Kirche, ein Abbate, und eine Kontessa, die unsern Altären schon so viele Schenkungen widmete, verschwören sich mit einem in seiner Hausehre gekränkten Sohn des Volkes! Laß Deine Hand dies Werk beschützen, und gelingt es, gebenedeiter San Rocco, so weihe ich Deinem Altare den Zehnten unseres schwerverdienten Lohnes und stifte Dir eine Wachskerze so dick wie mein Oberarm, und bei allen Freunden und Bekannten werde ich Dich loben und preisen!“ …

Während aber im Wiederscheine unzähliger Kerzen dieser also betete, saß ein anderer hinter der Mauerkrone der Citadelle und ließ seine Blicke über die im stillen Mondlichte schimmernde Stadt, über die hohen Berge und die dunkeln Thäler schweifen.

„Felicita! Die Tochter Romeos!“ – In der dumpfen Betäubung, die sich bei Fra Serafinos Worten seiner bemächtigt hatte, hämmerten diese Silben sinnbethörend und in gedankenlos eintönigem Rhythmus immer wiederkehrend an seine Schläfe. „Felicita! Die Tochter Romeos!“ Wie ein Schlafender, wie ein Betrunkener hatte er den Weg nach der Citadelle zurückgelegt. „Felicita! Die Tochter Romeos!“ Und klar wie das blendendste Sonnenlicht war mit einem Male durch seine in nächtliches Dämmern gehüllte Seele dieser Gedanke gebrochen: „Verloren! auf immer und ewig verloren!“ – Wie war es anders möglich? Er ein schweizer Offizier – sie die Tochter des Volksanführers, der morgen vielleicht das Zeichen des Aufstandes gegen des Königs Majestät geben würde! – Verloren, auf immer und ewig verloren! Und doch, wie heiß war sein Sehnen nach ihr, nach der holden Kindesseele! – In freude- und liebeleerem Wandern war seine erste Jugend verflossen, zum erstenmal hatte sein Herz wärmer geschlagen, und mit Sturmesgewalt hatte diese erste Liebe zu jenem Mädchen sein ganzes Wesen erfaßt – und nun? Kaum gekannt, kaum geliebt – und schon verloren, auf immer und ewig verloren!

Und in immer tieferen Falten warf die Nacht ihren Schleier über Berg und Meer, und in immer tiefere Falten hüllte sich Eckarts Denken, Sinnen und Sehnen. Von drüben wie aus einem weiten, weiten Traume klang der lachende Faschingsjubel an sein Ohr; bis zu seinem Herzen drangen aber die fröhlichen Weisen nicht, und den Kopf auf die Hand gestützt, blieb er dort oben sitzen, und der Athem der lauschenden Mondnacht spielte in seinem blonden Lockenhaar, und langsam rollte eine Thräne herunter über seine Wangen und fiel wie ein leuchtender Funke hinab ins Meer – und wehmüthig lächelnd sah er dem in der Nacht verschwindenden Sternlein nach und leise seufzte er vor sich hin: „Wie diese Thräne war unsere Liebe, einem leuchtenden Sterne gleich, den die ewige Nacht verschlingt!“


(Fortsetzung folgt.)




Wie entstehen Moden?

Von Cornelius Gurlitt.
I.

Haben Sie beobachtet, daß jetzt wieder ganz enge Kleider getragen werden?“ – so habe ich unlängst eine mir als treffliche Hauswirthin und braves Weib bekannte Frau aus der Gesellschaft sagen hören. „Man sieht alle Formen, so fest wird der Rock zurückgebunden. Sehr auffallend! Was will man aber machen? – Ich habe mir schon ein neues Kostüm bestellt!“

Die neue Mode kommt! Der alte Aesthetiker Vischer wird sich spottgerüstet aus seinem Grabe erheben, seine bissigsten Bemerkungen werden hervorgesucht werden, aber was hilft’s? Die Mode kommt, unwiderruflich, unabwendbar!

Kein Mensch vermag, sich gegen sie zu wehren. Sie bricht herein wie eine Seuche, deren Nahen schon längst verkündet wurde. Die Zeitungen sprechen in ihren Modeberichten schon eine zeitlang vorher ganz kühl mit der Miene der Wissenschaftlichkeit von ihren Eigenschaften. Dann werden in Festbeschreibungen hier und da einige „Fälle konstatiert“. Die Badeorte sind die Seuchenherde, von denen das Unheil über uns hereinbricht. Man warnt vor ihm, wie etwa zu Cholerazeiten vor dem Genuß von Pflaumen und Gurken – aber plötzlich ist es da! Während vor kurzem, zur Zeit der Tournüre, kein Dienstmädchen ohne dieselbe leben konnte, wird in kurzer Zeit alles Unebene verschwunden sein. Glatt, ganz glatt!

Die Vaterlandsliebe ist das Gefühl, welches wir zumeist anrufen, um den Einbruch der Mode aufzuhalten. Was haben wir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_674.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2020)