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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Du dazu? – Und morgen soll’s der saubere Marchesendieb erfahren; er ist hierher befohlen, zum Gouverneur, – wegen seines Trockensitzens in den Bergen! Der Gouverneur will strenge Justiz üben; da mag unser Freund Antonino Merlo sich in acht nehmen! Fangen und hangen geht schnell heutzutage!“

Romeo hörte nur mit halbem Ohre zu; seine Gedanken waren anderswo. Er zuckte die Achseln.

„Antonino?“ erwiderte er, als wecke dieser Name ganz besondere Gefühle in seiner Seele; „Antonino ist ja in den Bergen und wird sich hüten …“

„Was? In den Bergen?“ rief aber der andere zurück. „Antonino ist hier und treibt sich, als weißer Kapuzenmönch verkleidet, unter dem Schutze des Karnevals bei seinen Freunden herum.“

Mit einer Gesprächigkeit, die man nicht an ihm gewöhnt war und die vielleicht auf den mit seiner Wiederernennung verbundenen reichlichen Genuß von süßem Syrakusanerwein zurückzuführen war, fuhr der Marchese zu plaudern fort; er erzählte von allem möglichen; in einem Athem ging’s vom Hundertsten ins Tausendste; zehnmal ließ er seine Pfeife ausgehen; zehnmal zündete er sie wieder an und warf das Streichholz, ohne sich um die Spähne zu bekümmern, unter die Hobelbank.

Romeo hörte nicht mehr zu. In Gedanken versunken saß er in seiner Ecke. Antonino war in Messina! Antonino mußte von dem Vorfall im Kloster unterrichtet sein! Er sah sich als Felicitas Bräutigam an; er war der Sohn Salvatores und huldigte den alten sicilischen Auschauungen! Romeo wußte nur zu gut, in welcher Weise dieser den Vorgang in der Badiazza und in seinem Hause deuten würde! An dem vermeintlichen Verführer seiner Braut würde Antonino Rache nehmen, – blutige Rache! Der Offizier war dem Tode verfallen, – und dieser Offizier hatte seiner Tochter das Leben gerettet, und diesen Offizier hatte er selber zu beschützen gelobt!

Der Marchese hielt plötzlich in seinem Sprechen inne. Vor ihm, die Brauen finster zusammengezogen, stand Romeo, die Hand des Volksführers hatte seinen Arm krampfhaft umklammert.

„Was ist Dir?“ fuhr der Marchese auf, als wäre er mit einem Rucke ernüchtert.

„Filippo! Bist Du bereit, für mich, Deinen alten Freund, zu thun, was ich in gleichem Falle für Dich thäte? Es handelt sich um die Ehre meines Namens.“

Der Alte war aufgesprungen.

„Sogleich, Romeo! Sprich! Wen schlagen wir todt?“

„Nicht von tödten ist die Rede, Marchese, sondern einen Unschuldigen gilt es, vom Tode zu erretten.“

„Noch besser! Wo soll ich hin? Für die Freunde bin ich zu allem bereit.“

„Freunde? – Und wenn’s kein Freund wäre?“

Der Marchese stutzte.

„Kein Freund? Romeo kann mir doch nicht zumuthen, einem Feinde zu helfen!“

Romeo sah ihm fest ins Auge.

„Es giebt auch ehrliche Leute unter diesen Halunken, sagtest Du vorhin, – und ehrlich waren diejenigen, die Dir wieder zu Deinem Titel verhalfen! Unschuldige giebt’s aber auch unter jenen Halunken – und unschuldig ist der, um den sich’s handelt.“

„Wer ist er?“

„Setze Dich! Dort liegt Papier und eine Feder; Du wirst es erfahren, – schreibe!“

Halb widerstrebend gehorchte der Marchese. Der breit geschnittene Gänsekiel fand nur mit Mühe seinen Platz zwischen den dicken Fingern des alten Bauern.

„Der Teufel hole das Schreiben! Was soll’s denn damit?“ sagte er, sich unwirsch umdrehend. „An wen? für wen? wer unterschreibt?“

Romeo schaute ihn mit einem so sonderbar weichen, bittenden, fast flehenden Blicke an, daß der Marchese sich betroffen unterbrach.

„Schreibe! Dem treuesten Freunde leiste diesen Dienst!“

„So sprich mir vor; ich schreibe nach; aber langsam; das Schreiben ist nicht meine Sache!“

„Schreibe: ‚Ein Offizier der schweizer Garde, Hauptmann von Hattwyl …‘“

Romeo hielt inne; sein Herz schnürte sich zusammen; das Wort, das ungerecht verklagende Wort, sollte er es aussprechen? – Und doch! sprach er’s nicht aus, so verfehlte dies Schreiben seine Wirkung, – so brach morgen das Unheil los! Und das Wort sprach er aus:

„‚steht in einem Liebesverhältniß mit einem sicilianischen Mädchen. Des letzteren Bräutigam hat Blutrache geschworen. Setzt der Offizier den Fuß über die Schwelle der Citadelle, so ist er morgen eine Leiche. Die Obrigkeit ist hiermit gewarnt. In ihrer Hand liegt sein Leben.‘“

Der Marchese hatte schweigend geschrieben.

„Und wie soll die Unterschrift lauten?“ fragte er langsam mit beklommener Stimme.

„Ein Freund des Hauptmanns.“

„Und an wen soll der Brief gerichtet werden?“

„An den Gouverneur, Herzog von Montalto.“

Der Marchese legte das Papier in Falten, versiegelte es und schrieb die Adresse, ohne ein Wort zu sagen. Als alles fertig war, stand er von seinem Stuhle auf und stellte sich vor Romeo hin. Sein Blick war seltsam ernst.

„Dem treuesten Freunde habe ich als treuester Freund den Dienst, um den er mich bat, nicht verweigert. Nun sage aber, was willst Du mit diesem Brief? Um was es sich darin handelt, weiß ich; Deine Tochter …“

Romeo fuhr auf wie ein verwundeter Löwe.

„Du weißt? Nein, Marchese, Du weißt nichts! Du weißt, was man Dir in der Stadt wohl erzählte! Die Wahrheit aber kennst Du nicht! Eine Lüge …“

„Lüge? Du selbst, Romeo, hast mir ja soeben diese Lüge in die Feder diktirt!“

Da schien es, als wollte Romeo zusammenbrechen. Er bedeckte sich die Augen; Thränen rannen durch seine Finger.

„Das ist es eben, das Entsetzliche!“ schluchzte er; „zur Lüge mußte ich meine Zuflucht nehmen! Meiner Tochter, der Unschuldigen, der Reinen, mußte ich diese Schande anthun, um mein Wort zu halten, um mein Versprechen zu lösen.“

Sprachlos starrte ihn der Marchese an.

„Der Wahnsinn spricht aus Deinem Munde!“

„Nicht der Wahnsinn, Marchese! Höre mich an und urtheile selbst!“ Und er erzählte ihm, was ihm seine Tochter anvertraut hatte, und daß sie für das Vaterland, für ihn ihrer Liebe entsagt, daß aber er ihr gelobt habe, des Schweizers Leben zu schützen.

„Und sieh! Antonino ist in der Stadt; Du sagtest es.“

„Ich hab’ ihn gesehen.“

„Und wenn er’s erfährt, wenn er es weiß, – ich kenne ihn – morgen tödtet er den Offizier.“

„Daran zweifle ich nicht.“

„Und was geschieht? Mit einem Morde beginnt die Volkserhebung! Die heilige Fahne der Freiheit wird besudelt! Mit Maffia und Brigantengesindel werden wir alle …“

Da unterbrach ihn aber der Marchese:

„Laß das, Romeo! Hier spintisirst Du Dich wieder in Deine Grillen hinein, und hier vermag ich nicht, Dir zu folgen! Mir mag’s einerlei sein, wie der Aufstand beginnt, und man mag über uns sagen, was man will, wenn nur das Werk gelingt! Aber ein anderes ist Deiner Tochter Sache! Ich glaube Dir, ich glaube Deiner Tochter! Jener Offizier ist ein braver Mann, Du hast versprochen, ihn zu schützen, und hast recht gehabt, er verdient’s. Den Schwur mußt Du halten, und siehe, daß Du mich zu Deiner Hilfe gerufen hast, freut mich! Hier die Hand zum Danke! Ja, als ich anfing zu schreiben, geschah es mit innerem Grimm; – ‚was geht uns dieser Schweizer an‘, dachte ich, und mein Blut empörte sich gegen den Gedanken, daß Du – einem Mann, – der Dein Kind … Nein, wahrlich, ich suchte meinen Romeo und fand ihn nicht! – und wäre ich nicht Dein alter Freund, ich hätte an Dir oder an Deinem Verstande gezweifelt! Jetzt aber! jetzt! – Nein, ich möchte nicht, daß ein anderer als ich diesen Brief geschrieben hätte, und ich selber werde ihn besorgen!“

Gerührt schüttelte ihm Romeo die derbe, schwielige Hand. – – – – – – – – – – – – – –

Tiefe Nacht lag über den Straßen Messinas, als ein in einen Mantel gehüllter Mann, den Schlapphut über die Augen gezogen, sich unter die Fenster des Palastes von Montalto schlich. Er schaute sich nach allen Seiten um, alles war stumm und leer.

„Dort oben ist sein Schlafgemach!“ sprach er zu sich selber, schob einen Stein in den Brief, den er aus der Tasche zog, –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_690.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)