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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Gräfin konnte annehmen, daß er nichts anderes bezwecke, als ihrem „Günstling“, wie er sich ausdrückte, und ihr einen ehrlichen Freundschaftsdienst zu erweisen. Bei des Herzogs ersten Worten, als er von den Gefahren sprach, die Eckart drohten, da hatte es in ihrer Seele aufgeleuchtet: „Hätte Scaglione meinen Plan verraten?“ – War sie doch zu sehr mit sich selber beschäftigt, als daß sie an jenen Bräutigam ihrer Nebenbuhlerin gedacht hätte. Als aber der Herzog den Brief des Marchese hervorzog und als ihr plötzlich klar wurde, daß Eckart noch von anderer Seite bedroht war – was überkam sie da plötzlich? Welch seltsam widersprechendes Gefühl brach sich mit einem Male in ihrem Herzen Bahn? – Wie? wenn sie jetzt einen letzten Versuch machte? – wenn sie jener verhaßten Nebenbuhlerin den Geliebten entrisse? – Denn jenes Mädchen haßte sie ja viel mehr, viel mehr noch als ihn! Wenn sie ihn durch ein rasches Handeln an sich fesselte? – Sie konnte es ja. Sie hatte es in der Hand – wenn sie selber ihn vor jener Gefahr warnte! wenn sie es wäre, die ihn jetzt rettete! wenn sie ihm ihre Liebe in so thatkräftiger Art bewiese! Jenes Mädchen, die Tochter Romeos, war ja doch für ihn verloren!

(Fortsetzung folgt.)




Bilder vom Mittelmeer.

An der Riviera.
Von Woldemar Kaden. Mit Zeichnungen von H. Nestel.

Römerthurm La Turbie.

„Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
Vor den erstaunten Augen auf.“

Ist es ein Traum? Draußen treiben des Winters Vorboten ihr Wesen, es stürmt und wettert. Ich aber sehe sonnenumglänzte grüne Berge ragen, schimmernde Felsen über sie hinaus … ich sehe stille licht- und wärmeerfüllte Thäler sich öffnen, in denen Lorbeeren wachsen, Rosen und Orangen blühen … wie ins Unendliche dehnt sich das leuchtende blaue Meer mit gleitenden Segeln; ein süßer Wind weht von ihm herüber und regt und weckt die Knospen in den Gärten, wo kranzflechtende Frauen wandeln; Musikklänge, Gesangestöne flattern aus den weitgeöffneten Fenstern der Villen, welche die schlanken Glycinen einspinnen; hoch auf den Hügeln, von Cypressen und Pinien erklettert, steht in braunen Trümmern, alte Geschichten erzählend, ein Kloster, ein Schloß, und die Leute, die auf den stillen Wegen an mir vorüberwandern, grüßen mit einem fremdklingenden Gruß … die sonnendurchkochte lautere Luft aber, die ich in vollen Zügen athme, spricht von Gesundheit, von Genesung.

Das ist kein Traumland. Du kennst das Land, dessen fast schönster Theil es ist, das uralte Sehnsuchtsland Italien, und dieser schöne Theil heißt: die Riviera. Unsere Sehnsucht braucht nicht vergebens nach ihr zu schmachten, die ehemalige Scheidewand, „der Berg und sein Wolkensteg“, ist gefallen; wir bedürfen des Faustschen Zaubermantels nicht mehr, seit wir den Gotthardtunnel haben, und brauchen nicht viel mehr Zeit als unsere Phantasie, „der Sonne nach und immer nach zu streben,“ bis dahin, wo „das Meer sich mit erwärmten Buchten vor den erstaunten Augen“ aufthut; wir brauchen vierundzwanzig Stunden, um mitten in die Wärmeparadiese des Mittelmeeres hineinzufliegen, um ganz deutlich fühlbar, wie in ein warmes Bad, von den Alpen in die lauen Buchtenkessel der ligurischen Küste zu steigen und unter wirklichen Freilandspalmen zu sitzen. Und so ward die Riviera nicht bloß Wanderziel, sondern auch Winterasyl und so entstanden dort die berühmten Winterkurorte, einer nach dem andern.

Winterkurort: ein prosaisches Wort, es schmeckt nach Hospital, nach Arzt und Arzenei! Aber das Hospital, welch reizende Lage hat es, wie mild und menschenfreundlich ist der Arzt, wie süß und erquickend die Arzenei! Was uns daheim fehlt, die Lebensspeise der reinen Luft, hier bekommen wir unsere wohlgemessenen nöthigen Kubikmeter täglich in unverfälschter Güte, wie die Milch der Alpen, und Kranke trinken an ihr sich gesund, Todeskandidaten schlürfen aus ihr neues Leben, und Gesunde – nun, so ein zeitweiliger Klimawechsel, man glaubt es kaum, wie er auf den Gesammtorganismus des Menschen und dadurch auch auf Seele und Geist anregend, belebend, umgestaltend wirkt.

„Riviera“ ist der Gesammtname für den langen, südlich von den Seealpen und dem ligurischen Apennin sich hinziehenden, schöngeschwungenen Mittelmeerküstenstrich von Nizza bis Spezia; denn Riviera bedeutet Ufer- oder Küstengegend. Nun unterscheidet man aber nach den Himmelsrichtungen mit Genua als Ausgangspunkt eine Riviera di Ponente, von Genua bis Nizza, und eine Riviera di Levante, von Genua bis Spezia. Ponente heißt das Land „gegen Abend“, von Ponente, der Sonnenuntergang; Levante, von levare aufgehen, ist das Land gegen Sonnenaufgang. Politisch unterscheidet man eine französische, bis Ventimiglia reichende, und eine italienische Riviera. Die erstere läßt einer koketten Französin sich vergleichen, die andere ist ganz eine brünette reizvolle Italienerin, beiden aber steht das „Halsband“, das die Natur ihnen umgebunden – denn das französische „Rivière“ hat auch diese Bedeutung – gar prächtig zu Gesicht. An dieses Halsband sind gereiht als Perlen und Diamanten in steter Abwechselung von klein und groß, von Nizza bis Spezia sechs Dutzend Städte, Flecken, Dörfer, Orte und Oertchen, von denen als weltbekannt sich auszeichnen Nizza, oder wie die Franzosen wollen: Nice, Monaco, Monte-Carlo, Mentone, Bordighera, San Remo, Savona, Pegli, Nervi, Sestri, Spezia. Alle funkeln und leuchten in echtestem Glanze, alle aber werden überstrahlt und zusammengehalten von dem Krondiamanten Genua, der in der Mitte unsrer „Rivière“, aus dem tiefsten Grunde des Riesengolfes hervorblitzt.

Werfen wir einen Blick auf die Karte! Wir erkennen an der ganzen großen Küstengestaltung, wie an der Form und Stellung des Gebirges die freundliche Absicht der Natur, die Sonnenstrahlen einzufangen, die nordischen Lüfte abzuhalten; und jeder kleine und kleinste Golf wiederholt dies Bestreben noch einmal im kleinen und dann natürlich um so erfolgreicher. Fragen wir den Geographen, so sagt er uns, daß die Isotherme (die Linie gleicher mittlerer Wärme) der ligurischen Küste die lieblichste der Welt ist: es ist die glückliche Linie von 15° Celsius, dieselbe, welche über die südlichen Inseln Japans, China, das Kaspische Meer, Griechenland, die Cykladen, das Adriatische Meer, die Arnoufer läuft. Weiter erfahren wir, daß um diese glückliche Linie in nächster Nachbarschaft als Linie der größten Wärme diejenige von 24° C. und als Linie der größten Kälte die von 8° C. sich windet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_694.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)