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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

So ist es denn an dieser Küste möglich, die verschiedenen Pflanzengürtel der Erde so rasch wie sonst nirgend zu durchkreuzen. Die niederen Ufergegenden kleiden die immergrünen Wälder der Olive, schmücken die Gärten voll Orangen und Rosen, die Wiesen voll Frühlingsblumen; bei zweihundert Metern Höhe noch reift der köstliche Wein, bei vierhundert wandelt man unter Eichen, bei sechshundert unter Nußbäumen und Edelkastanien; dann treten die Buchen und Tannen auf, die zu Begleitern sich die zierlichen Blüthen der Meerkirsche und der Alpenrose und gewürzige Kräuter, bis zu fünfzehnhundert Metern Höhe, erwählten. Weiter hinauf dann dieselben Erscheinungen auf den höchsten Gipfeln des Apennins wie auf den schweizer Alpen: zwei Drittel des Jahres Schnee, vier Monate grüne kräftige Sommerweide mit Herden und Hirten.

Da hinauf aber steigen die Herren und Damen, welche in den genannten Orten einen Winter verbringen wollen, und besonders die Kurgäste nicht. Sie wandeln die bequemen Wiesenpfade, um die herum schon der Monat Januar seinen Blumenteppich breitet, und erfreuen sich der blühenden Pracht. Diese Pracht steigerte der Fleiß des Menschen noch in den Villengärten an den sanften Hügelhängen, wo die verschiedenartigsten und seltensten Pflanzen unter dem Kusse der südlichen Sonne keimen, gedeihen und blühen. Die Geranien sind hier ganz heimisch und wachsen zur Höhe eines kleinen Baumes; die Margarethen oder Anthemis, in Deutschland bescheidene Blümchen, entfalten sich zu staunenerregender Größe; Levkojen wachsen auf freiem Feld und die Veilchen sind augengroß mit spannenlangen Stielen und haben nichts von der Bescheidenheit der unter nordischem Frühling erblühten.

Wenn irgendwo, so ist hier die Rose die Königin der Blumen, glühend von Farben, voll üppigen Duftes und von stolzer Größe. Kamelien und Oleander stehen prächtig und stark und entwickeln sich ganz ohne Pflege; Nelke, Heliotrop oder Vanille blühen gleichzeitig und mischen ihre süßen Düfte. Die fremden Pflanzen athmen hier heimische Luft und gedeihen deshalb wie unter den Tropen. Ganz gewöhnliche und offen in allen Gärten gezogene Landesprodukte sind die Olive, die Citrone, Orange, Cedrato, Mandarine, Granate und japanische Mispel, die eßbare Kastanie, Pfirsich, Kirsche, Pflaume, die köstlichsten Trauben und Melonen; gewöhnliche und billige Gemüse sind die Artischoken, der Blumenkohl, Liebesapfel, Eierapfel und alle feinen Sorten von Salat.

Was auf dem Gebiete der Blumen geleistet werden kann, erkennt man zu gewissen Zeiten am besten in dem lebelustigen Nizza. Schon an gewöhnlichen Tagen labt unser Auge sich an dem am Ende des „Korso“ abgehaltenen Blumenmarkt, an der Fülle der Veilchen, Anemonen, Narcissen, Jonquillen, Rosen, Aurikeln und Heliotropen; was aber die Gartenstadt Nizza an Blumen aufzubringen vermag, wenn sie einmal alle ihre Kräfte wie an den Februartagen des Blumenkarnevals zusammennimmt, davon können wir uns trotzdem keine Vorstellung machen. An einem Tage wird ein ganzer Frühling in einzelnen Blumen und Sträußen vergeudet, ein Blumenmeer ergießt sich über die Stadt.

Der Jardin Public, der „öffentliche Garten“, ist das Toilettezimmer Nizzas. Wie üppig stehen hier die Bäume, die Lorbeeren und immergrünen Eichen, die Pfefferbäume und Kasuarinen, die Agaven und Rosen! Und die prächtigen Palmengruppen – Algerien kann schönere nicht haben!

Ja, auch die Palme hat an der Riviera ihr zweites Vaterland gefunden, aus dem sie nicht nöthig hat, sich nach ihrer afrikanischen Sonne zurückzusehnen. Wir finden sie auch in andern Theilen Italiens, aber meist nur in einzelnen, oft sehr schönen Exemplaren; an der Riviera jedoch erscheint sie nicht bloß in Gruppen, sondern, mit staunenden Augen sehen wir’s, in ganzen tausendstämmigen Wäldern, und zwar ungepflegt, frei, am Meeresufer, auf Felsterrassen, allen Winden hingegeben, in verwahrlosten Bauerngärten am Berge.

Wer nach dem berühmten Bordighera kommt, steige durch Alt-Bordighera in die höher gelegenen Gärten hinauf, hier findet er den größten Palmenhain Italiens, den „Palmeto“ von Bordighera, und dieser Ort liegt unter dem 44° n. Br.! Hier ist die vorherrschende Palme die Phoenix dactylifera, die Dattelpalme; andere Palmenarten und viele exotische Gewächse schauen wir in dem prächtigen Garten des Signor Moreno an der Via Romana und in den wohlgepflegten Anlagen unseres vortrefflichen Landsmanns Winter. Auch der Palmengarten des vor einigen Jahren verstorbenen Barons von Hüttner in San Remo an einer sonnigen Hügellehne ist ein wahres Schmuck- und Schatzkästchen der Riviera. Hier können wir mit Muße die eingehendsten Palmenstudien machen und in einer Stunde weite Flüge durch Asien, Afrika, Amerika und Australien thun. Versuche mit den verschiedensten Sorten der Kokospalme sind hier ganz herrlich gelungen.

Dies für den Kenner. Den lustigen Touristen und Freund Scheffelscher Muse führen wir zu einer Gruppe von Palmen, die einsam unterhalb der Straße im Osten Bordigheras am Meeresufer steht. Der Eingeborene nennt den Ort „La Cisterna“, denn inmitten von etwa zwölf schlanken, meerwindzerzausten Dattelpalmen, die sich keineswegs durch ihre Schönheit auszeichnen, findet sich ein kleines verfallendes Brunnengemäuer.

Diese Palmen sind bekannt unter dem Namen der „Scheffelpalmen“, unter ihnen fühlte sich der Dichter, als er die Riviera entlang fuhr, in den fünfziger Jahren „dem Tode nahe“; diese Ueberschrift erhielt auch das darauf bezügliche Gedicht, und in ihm wird jener einsamen Palmen Erwähnung gethan:

„Zwölf Palmen ragten am Meeresstrand
Um eine alte Cisterne;
Der Wagen knarrte im Ufersand,
Die Sonne versank in der Ferne.“

Hier will er sterben; ein schöner Sterbeort wär’s schon, denn:

„Hier umsteh’n, eine altbefreundete Schar,
Mein Schmerzenslager die Palmen;
Im Fächerdach rauscht’s voll und klar,
Wie tröstende Sterbepsalmen.“

Er starb in der Heimath erst viele Jahre nachher, und nach ihm haben sich viele neues Leben unter den Palmen geholt, denn wo Palmen im Freien ausdauern und Musen wachsen, da lebt auch der Mensch ein volles Leben.

Welchen Ort aber sollen wir vor allen andern nennen, wo jeder seine Vorzüge hat, aber auch – seine Mängel, klimatische sowohl wie gesellschaftliche? Der Kranke fragt nur nach den klimatischen Vorzügen und wendet der italienischen Riviera, wendet San Remo, Bordighera, Alassio, Pegli und Nervi sich zu; der Gesunde und wer sich noch stark oder nur erholungsbedürftig fühlt, geht nach der lebhafteren französischen Seite, wo er außer Nizza (vielleicht mag auch Cannes dazu gerechnet werden) noch Villafranca, Monaco, Monte-Carlo, Mentone findet.

Der ernstlich Kranke verlangt von seinem Winterkurorte am Mittelmeer ein beständiges, ein heilkräftiges „Klima“. Was aber ist „Klima“? Die meisten Menschen verstehen darunter nur einen einzelnen Faktor des Klimas: die Temperatur. Der Mann der Wissenschaft jedoch, Humboldt z. B., faßt unter „Klima“ den Inbegriff aller der Zustände der Atmosphäre, von denen unsere Organe auf eine merkliche Weise berührt werden. Dazu gehören: die Temperatur, die Feuchtigkeit, die Veränderungen des Luftdrucks, Ruhe oder Bewegung der Luft durch verschiedenartige Winde, die Spannung der atmosphärischen Elektricität, die Reinheit der Luft oder ihre Mengung mit mehr oder weniger schädlichen gasigen Aushauchungen, endlich der Grad ihrer gewöhnlichen Durchsichtigkeit, jene Heiterkeit des Himmels, die einen so wichtigen Einfluß ausübt, nicht nur auf die Wärmeausstrahlung des Erdbodens, auf die Entwickelung des organischen Gewebes der Pflanzen und auf das Reifen der Früchte, sondern auch sogar sich geltend macht durch die Richtung, welche sie der gesammten sittlichen Entwickelung des Menschen giebt.

In der Temperatur wechselt die Natur am meisten, und das ist es gerade, was der Winterkurgast am ersten vermeiden möchte und was er an vielen Orten der Riviera vermeiden kann. Aber einen „ewigen“ Frühling (es ist damit wie mit dem „ewig-blauen“ Himmel Italiens) findet der Südlandsfahrer an der Riviera noch nicht; sie ist kein vollständiges, windstilles, regenfreies Paradies! Wie sollten ohne Regen auch die herrlichen Bäume wachsen, die Wiesen grünen, die Blumen blühen? Man kann es manchen Winter auch recht schlimm treffen, obschon gänzlich böse Winter sehr große Ausnahmen sind. Schnee gehört an der Riviera zu den größten Seltenheiten und kehrt im Durchschnitt alle vier Jahre während ein bis zweier Stunden wieder,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_695.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)