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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

schön erscheint, wenn es sich mit unserem in unklarem Gefühl fortschreitenden Stilempfinden begegnet.

Um aber im Handelsgebiet der Tapeten und ebenso in dem der Möbelstoffe die Fühlung mit dem Geschmack zu gewinnen, dazu gehören für ein Volk, für ein Gewerbe nicht nur guter Wille, sondern Jahre der emsigsten Arbeit und feiner künstlerischer Durchbildung. Es ist zweifellos, daß ohne den nationalen Aufschwung, ohne die 1870 aus Paris vertriebenen deutschen Musterzeichner dieser Wandel sich nicht vollzogen hätte.

„Sie haben schon einmal einen lebendigen Musterzeichner gesehen?“ frug mich eine deutsche Frau; „wie sieht so ein Mann denn aus? Gehört er der besseren Gesellschaftsklasse an? Ist er Künstler oder Handwerker, Mann von Stellung oder kleiner Fabrikbeamter? Trägt er einen schwarzen Schlapphut und eine Sammetjacke oder hat er eine Schürze von grüner Baumwolle um, wie die Buchbinder?“

Die Sachunkenntniß ist verzeihlich. Im Leben wie in der Dichtung ist der Musterzeichner in Deutschland noch eine wenig hervortretende Persönlichkeit. Wir haben noch keinen Roman wie Daudets „Fromont jeune et Risler aîné“[WS 1] und keine so meisterhafte Schilderung des deutschen Musterzeichners in Paris, wie ihn der große Naturalist uns im biedern Risler gegeben hat.

Aber es ist doch bezeichnend, daß Daudet den geistigen Leiter der großen Tapetenfabrik der Fromonts einen Deutschen – oder doch einen deutschen Schweizer sein läßt, denn die heutigen leitenden Köpfe im deutschen Musterfach sind vor 1870 fast ausnahmslos in Paris thätig gewesen.

Ihre Namen hier vor einem großen Publikum zu nennen, ist mir eine besondere Freude, weil die deutschen Fabrikanten es lange Zeit für eine Sache der Geschäftsklugheit gehalten haben, den Musterzeichner als ihren Handlanger darzustellen, während er doch nur zu oft die eigentliche Seele ihres Geschäfts war. Der Fabrikherr glaubt größeren Vortheil zu haben, wenn niemand jene Männer kenne, welche seine Waren zu schönheitsvollen machen. Selbst in Fachkreisen erwähnt man in Deutschland die Zeichner nur selten, welche für die großen Fabriken arbeiten, in den Fachblättern fast nie.

Die Fabrikanten gehen alljährlich nach Paris, froh, in den großen Ateliers die Mappen durchsehen zu dürfen, in welchen sich noch an Entwürfen vorfindet, was die Franzosen, Engländer und Amerikaner selbst zu kaufen verschmäht haben. Oder sie kaufen Proben fertiger Arbeiten, um diese unmittelbar nachzuahmen oder mit nur kleinen Veränderungen, welche meist Verschlechterungen waren. Dem Zeichner in Paris wird in oft nicht sehr würdiger Weise der Hof gemacht, jener zu Hause in möglichst knechtischer Abhängigkeit gehalten. Der kaufmännisch gebildete Fabrikant hält sich allein für den Träger des Geschmacks, den Zeichner nur für den Verwirklicher seiner künstlerischen Anschauungen. Erst sehr schwer, in vielen Gebieten auch heute noch nicht, haben die Fabrikanten sich zu ihrem eigenen Vortheile und zum Segen des Industriezweiges gewöhnt, den Musterzeichner als Künstler und als selbständig denkenden Menschen zu behandeln.

In den sechziger Jahren waren die Blumenmuster diejenigen, durch welche Paris die Welt beherrschte. Einer der ersten Künstler auf diesem Gebiete war der etwa vor zehn Jahren verstorbene Eduard Müller, ein Elsäßer, dessen außerordentlich saubere Zeichnung und feine Farbengebung ihm unter den „Blumisten“ dauernde Anerkennung sichern. Der Franzose Alfred Chabal-Dussurgey steht ihm in vieler Beziehung gleich, obwohl sein Einfluß auf das Gesammtgewerbe minder bedeutend war. Unter den neuen Zeichenwerkstätten von Paris steht diejenige von Arthur Martin entschieden am höchsten. Auch dort werden mit Vorliebe Blumen gezeichnet, und zwar mit jener Feinheit der Anordnung und der Wiedergabe, die ein altererbtes Gut der Franzosen ist. Doch fehlt es auch nicht an Mustern für stilvolle Sachen, namentlich für Gobelins, Stoffe, Cretonnes, Teppiche etc. Der Ruf des Victor Dumont litt, seit er, ein trefflicher Blumist, zu Stilzeichnungen überging. Gattiker arbeitet für die elsässischen gedruckten Stoffe.

Während die Franzosen die Musterzeichnerei als freie Kunst betrieben, während dort in den Werkstätten von allen Seiten Bestellungen einliefen, die Zahl der Lernenden aus allen Landen sich alljährlich mehrte, das Zeichnen ein Gewerbe und zwar ein sehr lohnendes für einen tüchtigen Mann wurde, behandelte man in Deutschland die Sache zunächst wissenschaftlich. Man studirte alte Stoffe, alte Flächenmuster, verbreitete sich über das Wesen der Ornamentik und wollte die idealen Muster, wie man sie etwa den Griechen nachbildete, den „Auswüchsen der Mode“ entgegensetzen. Was an Berlin unter dem Einfluß des großen Architekten Schinkel und einiger Mitarbeiter entstand, nimmt zweifellos künstlerisch eine hohe Werthstellung ein – aber kaufmännisch war es ganz ohne Wirkung. Einzelne Schlösser richtete man zwar nach „geläutertem Geschmack“ ein, aber die Mode vermochte man nicht einen Schritt weit aus ihrem Geleise zu lenken. Auch die eifrigen Bemühungen des rheinischen Kanonikus Bock, auf die herrlichen Stoffproben, welche das Mittelalter uns hinterlassen hat, als auf Vorbilder für Neuschaffungen hinzuweisen, brachten doch zunächst nur bestimmte Kreise zur Nacheiferung.

In Deutschland fand erst seit 1870 das Musterfach einen festen Boden, aber es waren zunächst nicht die Fabrikanten, welche es stützten, sondern der Staat. Wiens „k. k. österreichisches Museum für Kunst und Industrie“, 1864 gegründet, bot das Vorbild. Dort nahm Prof. Stork die Formen der italienischen Renaissance auf und fand dann in opferbereiten Fabrikanten den Rückhalt, um bestimmend auf die Mode in großen Industriegebieten einzuwirken. Das war eine ganz außerordentliche That. Die Fachblätter, namentlich die Stuttgarter „Gewerbehalle“ unter Julius Schnorrs und Bäumers Leitung, bereiteten den Umschwung in Deutschland vor. Friedrich Fischbach wagte es, der französischen Mode entgegenzutreten, gestützt auf seine Stoffsammlungen und auf die aus diesen entstandenen Veröffentlichungen. Er übertrug die Richtung der Wiener Schule an die Zeichenakademie zu Hanau und wußte von hier aus deutsche Fabriken für seine stilvolleren Muster zu erwärmen. Nach Sachsen brachte Karl Graff die Wiener Anregungen. Die bedeutende Textilindustrie Sachsens hatte dort den Boden vorbereitet. E. G. Krumbholz, ein Schüler Chabals und feiner Blumist, Georg Schütz in Wurzen, einer jener Männer, die zu allem mit Geschick ausgerüstet sind, hatten der Industrie schon einen hohen künstlerischen Gehalt gegeben. Die Dresdener Kunstgewerbeschule wurde aber unter Graffs Leitung die erste, welche das Musterzeichnen entschieden im Sinn der Pariser Ateliers praktisch ohne wissenschaftlichen Nebenzweck zu pflegen begann. Max Rade und der 1883 verstorbene Hermann Beck, später Eckart und Bernhard Wissel, der in England zu Ansehen gelangte, sämmtlich Schüler des Arthur Martin, waren die Männer, welche Dresden und das ganze gewerbfleißige Sachsen zu Heimstätten einer Musterzeichnerei machten, die an Feinheit Paris nichts nachgab, an stilistischer Vertiefung aber es übertraf. Hierzu half wesentlich die schnell anwachsende Sammlung von alten Stoffproben mit, die den Zeichnern eine unerschöpfliche Quelle der Anregung bot. Unter E. Kumschs rühriger Leitung gewann die Sammlung bald den Ruf, die für das Musterzeichenfach am vortheilhaftesten angelegte zu sein. Heute fehlt es ihr selten an französischen oder englischen Benutzern.

Selbständig, auch litterarisch für sein Fach thätig, arbeitete in Wurzen Georg Bötticher als einer der besten in seinem Gebiet. Ihm gleichwertig sind August Matthis in Heidelberg und Friedrich Baer, welcher in Baden einen Schülerkreis heranbildete. Hofmann in Plauen i. V. sieht seinen Schwerpunkt im Gardinenfach. In Chemnitz und am Rhein, in Wien und München giebt es jetzt blühende Werkstätten, welche ihren Mann nähren und ihm die Möglichkeit geben, sich mit den Anforderungen des letzten Geschmackes vertraut zu machen.

Das sind also etwa die Leute, welche in gewissen Gebieten die Mode machen, d. h. die Mode, welche in der Luft liegt, durch zeichnerischen Entwurf zum Ausdruck bringen.

Im Gebiet der Kleidung haben sie freilich alle nur wenig Einfluß. Hier stehen ist erster Linie die Modezeitungen, welche eine ganz außerordentliche Gewalt über die Frauenwelt Deutschlands bekommen haben. Es ist durchaus bezeichnend, daß die Modezeitungen gerade bei uns blühen, ja in Tausenden von Exemplaren für Frankreich und England angefertigt werden, während wir doch die Mode nur in kleinen Theilen beherrschen.

Wie aber arbeiten die Modezeitungen? Die Leiter derselben stehen mit den Fabrikanten in enger Verbindung. Der Großschneider läßt nach seinen Angaben ein neues Kostüm fertigen. Dies wird der Redaktion vorgelegt, welche es für ihr Blatt zeichnen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Alphonse Daudet: Fromont jeune et Risler aîné, 1874 (dt. von Claire von Glümer: Fromont junior und Risler senior, 1887 Internet Archive)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_699.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)