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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)


und Görlitz; im 17. Jahrhundert zu Memmingen, Basel und Dinkelsbühl. Diese Städte können als wirkliche Sing- oder Dichterakademien der damaligen Zeit gelten. Auffallend ist es dabei, daß die eigentlichen Hauptstädte der Hansa, welche die nördlichen Meere beherrschten, keine Spur von Meistersingerschulen zeigen, sondern daß solche nur in den blühenden Reichsstädten des südlichen und westlichen Deutschlands vorkommen.

Die Kunstleistungen dieser dichtenden Handwerker, namentlich in der späteren Zeit, da ihnen fast allen der Genius mangelte, konnten nur unbedeutende sein; diese poetischen Erzeugnisse waren gedankenarme, langweilig breite Spielereien mit Wörtern und Reimen, ein ängstliches, mechanisches, handwerksmäßiges Singen nach der „Tabulatur“, das heißt den Vorschriften und Gesetzen, nach welchen ein Meistergesang abgefaßt und vorgetragen werden mußte. Da scholl kein freier, frischer, seelenerhebender Ton, kein tiefes, sehnsüchtiges Lied der Liebe und Lust; es sprach kein Gott aus diesen Sängerherzen! Von den eigentlichen schulgerechten Meistergesängen sind die meisten wohl noch ungedruckt. Obgleich man vor dieser geistlosen Dichtung mit Recht erschrickt, so wird ihre Untersuchung vielleicht doch noch einige ganz unerwartete Früchte bringen. Die königliche Bibliothek in Berlin besitzt unter ihren Handschriften 4 mit Meistergesängen angefüllte Bände, die wahrscheinlich der Singschule in Nürnberg zugehörten; in zweien sind auch Musiknoten aufgezeichnet. In der königlichen Bibliothek zu Dresden liegen 22 Bände Meistergesänge aus dem 16. und 17. Jahrhundert, der dreizehnte enthält auch deren aus dem 15. Jahrhundert.

Die Dichter waren ruhige, um täglichen Lohn und Brotverdienst arbeitende, schlichte Handwerker, welche den lange vorher eingeladenen Zuhörern das mühsam aufgeführte Gebäude ihrer Kunstfertigkeit zeigen und dafür klingenden Preis, nach der Taxe bestimmte Zahlung erringen wollten; Männer, die ihr poetisches Meisterstück mühsam durchdacht, niedergeschrieben, sattsam gefeilt, auswendig gelernt hatten, wie ein ängstlich nach Regel und Gesetz zusammengefügtes Mosaikgebilde schriftlich und mündlich zur Prüfung ausstellten, damit alle es kennen lernen und die Kunstrichter es kritisieren möchten.

Dennoch aber war der Einfluß der Meistersingerschulen für das städtische Leben, die Gesinnung und sittliche Bildung des deutschen Volkes segenbringend, nicht minder für Kunst, Sprache und die geistige Hebung der Zeit überhaupt wohlthätig; sie verdienen daher unsere volle Anerkennung. Zunächst würden wir unrecht thun, die Meistersinger nur vom poetischen Standpunkt zu betrachten; denn wie schon die genauere Charakteristik und Würdigung des Minneliedes eigentlich Sache und Aufgabe des Tonkünstlers sein müßte, wofern uns nur die Musik dazu erhalten wäre, ebenso kann der Meistergesang seine vollständige künstlerische Werthschätzung auch nur in der Geschichte der Musik finden. Diese Sänger ließen sich eben nur singend hören; ihre höchste Aufgabe, ihr Meisterstück, war die Erfindung eines neuen „Tones“, einer neuen Melodie; der Text galt ihnen weniger; war es doch erlaubt, dieselben Texte immer wieder zu nehmen, nur die Melodie mußte eine andere sein.

Aber selbst auch als Dichter begrüßen wir sie als eine freundliche Erscheinung im deutschen Kunstleben. Wo ist ein Volk, welches mit solchem feierlichen Ernste, solcher aufopfernden Hingebung eine ähnliche Kunstanstalt gegründet und Jahrhunderte lang so beharrlich aufrecht erhalten hätte? In dem 14. und 15. Jahrhundert gährte es gewaltig in den unteren Ständen des Volkes, die Sucht nach Genuß und Erwerb hatte alle mächtig ergriffen, Mißgunst, Anfeindung, Verfolgung unter den einzelnen Ständen und unter den verschiedenen Handwerken zerriß die bürgerliche Gesellschaft. Mit richtigem Blick betrachteten die Meistersinger die Dichtkunst als die Würze des Lebens, sahen in ihr die Trösterin, die Spenderin der Freude und Lust in dem beklagenswerthen Wirrwarr der düstern Zeit, etwas wie eine Aufmunterung bei ihrer schweren, drückenden Handarbeit. Die Meister setzten ihre Kraft daran, sich selbst geistig aufrecht zu erhalten und ihre Mitbürger für das Höhere zu begeistern. So wie ihre fleißige Hand das materielle Wohl ihrer Handwerkskunden beförderte und behagliche Wohlhabenheit in ihrem eigenen Stande schuf, so bewirkte ihr Dichten, daß weder die Insassen des Hauses, Weib und Kind, Gesell und Lehrbursch, noch die ganze Zunft gedankenlosem Stumpfsinn erlag; sie retteten durch ihre Sangeskunst, ihren musikalischen Wetteifer, ihre dichterischen Kämpfe, ihr öffentliches, feierliches Auftreten, durch die Verbreitung ihrer Lieder das Edlere und Schönere, das bessere Ich der Mitbürger; sie lehrten durch ihr Beispiel die geistige Kraft des Menschen achten, im glänzenden Gegensatze zu den verwilderten Edelleuten, die im Trotze auf ihre Faust mit Speer und Waffe auf ihren Burgen lauerten; zu den schwelgenden Patriziern, die nur auf Gewinn und Erwerb oder auf Erweiterung ihrer Macht sannen.

Die Meistersinger waren recht eigentlich die Volksredner ihrer Zeit, auf deren Worte mehr gehört, deren Weise herzlicher aufgenommen, deren Ermahnungen inniger beherzigt wurden als die gelehrten, unverständlichen und unfruchtbaren Disputationen der Universitätslehrer, und da der Stoff ihrer Gedichte meist der Bibel entlehnt war, so erwärmten sie mehr als die stolze, prunkende Geistlichkeit, sie läuterten die Ansichten und lenkten die Aufmerksamkeit auf die höchsten Angelegenheiten des Menschen.

Welch heilsamer Einfluß ergab sich daraus auch auf äußere Zucht und Ordnung! War es doch allgemein bekannt, daß jedes Meistersingers Haus sich auszeichnete durch Reinlichkeit und Ordnung. Im Kreise der arbeitenden Gesellen und Lehrbuben sollen die Meister gesessen haben, streng haltend auf gute Arbeit, aber auch richtend über Ehrbarkeit und gute Sitte, aufmunternd zu jeglicher Tugend durch Sang und Lied.

Die Meistersinger spielen demnach in der Kulturgeschichte Deutschlands eine wichtige Rolle; sie bezeichnen den großen Abschnitt in dem germanischen Leben, wo der Bürgerstand für Bildung und geistige Erhebung interessiert und gewonnen wurde. In dieser Periode, in welcher die Herberge, die Werkstätte der Schuster, Weber, Zinngießer und Schmiede Theilnahme an Sprachbildung und an Dichtung zeigte, bildete sich deswegen auch die Grundfeste aller nachherigen religiösen, staatlichen, sprachlichen und wissenschaftlichen Umwälzungen. Der deutsche Mittelstand erwuchs seit dieser Zeit zum Träger der deutschen Wissenschaftlichkeit, jener höheren Bildung, die am Ausgang des Mittelalters vom Adelstande aufgegeben wurde. Man möchte die Meistersinger aus diesem Grunde nicht das Echo des sterbenden Mittelalters, sondern den ersten freudigen Ton der anbrechenden neuen Zeit nennen. Durch sie übernahm das weitere Volk beim Verfalle des Herrenstandes auch die Pflege des dichterischen Blüthenbaumes, und eine völlig neue Gestaltung des deutschen Kunstlebens wurde angebahnt. Während die unvolksthümliche Geistlichkeit und die gelehrten akademischen Laien mit Hohn und Mißachtung auf die Muttersprache und auf diese niederen Sänger sahen, während sie in lateinischer Sprache stritten, schrieben und beteten, waren diese schlichten, einfachen Handwerker die einzigen, denen von dem still, doch mächtig waltenden Genius des Volkes die Bildung und Veredelung der Muttersprache anvertraut wurde. Während in der unruhigen, zerrissenen Zeit wieder die vielfachsten Mundarten der deutschen Sprache bunt unter einander geworfen wurden, durch Vermischung der feindlichsten Sprachelemente eine chaotische Sprachverwirrung entstand und die Sprache unharmonischer, härter, roher, unreiner denn je wurde, strebten die Meistersinger in ihrer Tabulatur nach einem reinen Geschmack, einer reineren Sprache. Die Strenge ihrer Regeln beförderte diese Reinheit, verschaffte dem Silbenmaße eine festere, bestimmtere Haltung, und indem sie überhaupt alles, was sie dichteten, auch absangen, Musik und Dichtung, Lyra und Lippe ihnen Eins war, so mußten sie zugleich den Wohlklang der Sprache befördern und dieselbe zu schriftstellerischer Veredelung geeigneter machen. Dadurch legten sie mit den Grund zu unserer neuhochdeutschen, jetzigen Schriftsprache, sie pflanzten die kräftigsten Keime unserer Poesie und Prosa und bereiteten die Empfänglichkeit für die Reformation und die Geistesfreiheit im deutschen Volke vor.

Bei der großen Verbreitung des Meistergesanges und der eigenthümlichen Entwickelung desselben muß die Zahl derjenigen, welche sich mit der „holdseligen Kunst“ beschäftigt haben, sehr groß gewesen sein; der von den Meistersingern herrührenden Gedichte giebt es eine zahllose Menge, doch ist, wie schon erwähnt, bisher nur ein kleiner Theil derselben durch den Druck veröffentlicht worden. Die wenigen Meistersinger, von denen wir, mehr wegen ihrer übrigen Dichtungen als wegen ihrer Meistergesänge, Kenntniß haben, sind Heinrich von Müglin (oder von Mügeln im Meißnischen), Suchensinn,

Muscatblüt, der Teichner, Michael Beheim, Hans Rosenblüt und Hans Folz, alle aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Außer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_731.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)