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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Allerseelen.

(Zu dem Bilde S. 741.)

Wenn dir ein Liebstes ist geschieden,
O laß es nicht so einsam ruh’n!
Wohl schläft es sanft, hat seinen Frieden,
Doch kannst du Frommes an ihm thun:

Wirst du an seinem armen Hügel
Zu stiller Zwiesprach niederknie’n,
Giebst du dem Engel seine Flügel,
Magst ihn aus seinem Himmel zieh’n.

Du hörst das Rauschen vom Gewande,
Hörst seinen Gruß, derweil du weinst:
„Ich denke dein im fremden Lande,
Ich liebe dich wie einst – wie einst!“

Er streichelt dich mit weichen Händen,
Vergilt dir jedes Fragewort;
Und ist’s genug, und willst du enden –
Ein Kuß – dann wallt er schweigend fort.

Todt ist nur der, um den zu werben
Nicht mehr der Sehnsucht Füße geh’n;
Doch Liebe zwingt’s noch nach dem Sterben,
Daß ihre Todten aufersteh’n.

Victor Blüthgen.




Ist das Radfahren gesund?

Eine kurze Betrachtung von Geheimrath von Nußbaum.

Für jeden denkenden Menschen ist ein äußeres mechanisches Heilmittel vertrauenerweckender als eine geheimnißvolle Arznei, die, in den Magen geschüttet, dort mit dem scharfen, sauren Magensaft vermischt, vielleicht in den Darm hineinfließt, mit Galle vermengt nach und nach aufgesogen wird und nach einer Reihe von Veränderungen in das Blut kommt, vielleicht mit dem Blute im ganzen Körper herumfließt, vielleicht ganz oder theilweise durch die Nieren und Harnwege oder durch den Darm oder durch den Speichel oder die Haut ausgeschieden wird oder auch theilweise im Körper zurückbleibt. Mit einem Worte: bei einem Arzneimittel, welches wir dem Magen einverleiben, giebt es so viele Möglichkeiten, was damit geschehen kann, daß der Zweifel, ob das verordnete Arzneimittel überhaupt mit dem kranken Organ in Berührung kommt, sehr oft gerechtfertigt ist. Ganz wenige Mittel nur sind so studiert und verfolgt, daß man ihre Wege und sicheren Wirkungen kennt. Meistens muß man sich auf die praktische Erfahrung stützen, daß dieses oder jenes Mittel bei dieser oder jener Krankheit schon oft Besserung zur Folge hatte. Ob dies nur ein Zufall oder ob der ursächliche Zusammenhang eine wahre Thatsache ist, das bleibt meist eine unbeantwortete Frage.

Ganz anders ist dies nun bei unseren mechanischen Heilmitteln und bei den neuerdings so beliebten mechanischen Kuren. Mit Recht haben sich diese das Vertrauen der ganzen Welt im Fluge erobert. Ueberall hört man jetzt von den Kuren Oertels, Schweningers, von Terrainkurorten, von aktiver, passiver und - duplizierter Gymnastik, von Maschinengymnastik, bei welcher die Apparate theilweise von Dampfkraft in Bewegung gesetzt werden, von Nervenvibration, von Massage, vom Ergostaten[1], vom Turnen, vom Radfahren etc.

Aber auch solche mechanische Heilmittel wurden anfangs rein auf Grund praktischer Beobachtungen angewandt. Als vor ungefähr 50 Jahren Pfeufer und Henle, die ihrer Zeit vorausgegangen waren, Kranke zum langsamen Besteigen eines Thurmes veranlaßten, hatten sie nur den praktischen Erfolg der Ausdehnung des Rippenkorbes bei tiefem Athmen vor Augen, und die Erfahrung lehrte, daß dadurch die Neigung zur Tuberkulose, welche der krankhaften Engbrüstigkeit eigen ist, beseitigt wird. Aber welche Vorgänge dabei gleichzeitig in den Muskeln zustande kommen, daß dort der Hauptherd für den Stoffumsatz, für die Ernährung ist, wie sich die Ernährung steigern und vermindern läßt, das war damals noch nicht bekannt.

Daß der Mensch in 24 Stunden 9000 Liter Luft aufnimmt, was mit derselben und mit der eingenommenen Nahrung geschieht, wie viel der Mensch an Eiweiß bedarf und daß sich dieses nicht allein im Fleische, sondern auch im Brote findet, alle diese wichtigen Funde verdanken wir erst der bahnbrechenden Arbeit eines Pettenkofer und Voit. Erst hierdurch wurde auf die Wirkung und den Werth unserer mechanischen Heilmittel ein Licht geworfen.

Jedes derselben hat seine Vorzüge und meistens auch seine Nachtheile. Die Massage verreibt und zerdrückt und vertheilt abgelagerte Krankheitserzeugnisse und führt zu ihrer Aufsaugung; oder sie ersetzt in anderen Fällen die Bewegungen der Muskeln; welche dem Kranken nicht möglich sind.

Die mechanische Gymnastik und der Ergostat bringen mehr, oder weniger große Muskelgruppen zur Thätigkeit und steigern dadurch den Stoffumsatz in mächtiger Weise.

In den Terrainkurorten werden die Muskeln des Brustkastens und des Herzens gleichsam trainirt; durch den hervorgebrachten Schweiß wird das der Bewegung hinderliche Fett verringert und durch Flüssigkeitsentziehung der Wassergehalt des Blutes verkleinert, so daß das Herz eine geringere Flüssigkeitssäule zu bewältigen hat.

Einen ganz besondern Werth muß man auf alle jene Einwirkungen legen, welche das Fett vermindern und das Wasser im Körper verringern. Den Herzmuskel von drohender Verfettung zu befreien, ist unendlich werthvoll, denn fettbelastete Muskeln leisten ihre Aufgabe nicht mehr; aber auch die Entfettung des ganzen übrigen Körpers ist von großer Bedeutung. Fette Menschen haben weniger gutes Blut als magere. Blutarme, Menschen sind aber entschieden weniger leistungsfähig und werden schneller müde als andere, sind auch viel mehr Erkrankungen, ausgesetzt als blutreiche.

Bei blutarmen Menschen ist das Mischungsverhältniß des Blutes nicht normal, das Blut ist zu wässerig. Der Wassergehalt aller Organe, auch der Muskeln und Nerven, ist größer, weshalb die Leistungsfähigkeit sehr verringert ist, namentlich die Schnelligkeit bei körperlichen und geistigen Arbeiten. Die Gewebe sind mehr zur Zersetzung geneigt. Leichen der Wassersüchtigen faulen schnell.

Es ist leicht herauszufinden, ob das Blut zu wässerig ist. Wer bei den leichtesten Anstrengungen gleich in Schweiß kommt, hat zu viel Wasser im Blut. Auch die Widerstandsfähigkeit gegen die Kälte ist geringer. Schwitzbäder entwässern die Gewebe rasch und machen augenblicklich viel kräftiger.

Manche meinen, das hohe Alter habe ihnen die Kraft geraubt, während es nur ein stärker Wassergehalt des Blutes ist, was ihnen schnelles Arbeiten unmöglich macht.

Wir können den normalen Wassergehalt des Blutes wieder erreichen, wenn wir oft Bewegungen bis zu starkem Schweißausbruch machen und dann Verkühlung sorgfältig verhindern. Wie ein guter Kutscher die erhitzten Pferde kalt fährt, sollen wir nach starkem Schweißausbruch mit leichteren Bewegungen fortfahren, bis das Schwitzen nachläßt, und dies ist auch die beste Abhärtung.

Wie wir eben anführten, hängt Ueberschuß von Wasser im Blute mit Blutarmuth zusammen und letztere oft mit Fettreichthum? Allerdings kann ich nicht verschweigen, daß ich fette Menschen kenne, die gesund und kräftig sind; allein das sind große Ausnahmen, und meistens besitzen solche Leute dann ein ungewöhnlich festes Fett von normalem Wassergehalt, kein lockeres, wasserreiches, aufgeschwemmtes.

Im Durchschnitt ist bei fetten Menschen der Blutumlauf sehr beeinträchtigt. Das Blut der unteren Körperhälfte kann nur mühsam zum Herzen zurückströmen. Jedes Organ muß bei der Arbeit um 80 Prozent mehr Blut bekommen, als es in der Ruhe hat. Das abgelagerte Fett hindert aber, daß genügend Blut in die arbeitenden Organe einströmt.


  1. Der „Ergostat“ ist eine von Dr. Gärtner ist Wien erfundene, jetzt viel benutzte Maschine. Dieselbe enthält ein Rad, welches verschieden schwer belastet werden kann und welches der Kranke zur Stärkung seiner Muskeln täglich ein paar hundertmal umtreibt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_747.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2020)