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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Einmal, im Jahre 1501, empfing er sogar spanische und venetianische Gesandte zu Pertisau und lud sie an eine Tafel, die bloß mit Achenseefischen besetzt war. Auch später erhielt sich der Achensee in der Gunst der Herrscher von Tirol, und eine Tochter Ferdinands I., die als vormalige Königin von Polen ihren Witwensitz im Innthale aufgeschlagen hatte, kam zuweilen den Jenbacher Berg heraufgeritten, um sich dann in zierlichem Nachen auf dem See zu schaukeln und ihre Angelschnur in die blaue Tiefe zu senken. Was sie wohl dabei geträumt haben mag, die einsam schwärmende Königin?

Lebhafter und fröhlicher ward es wieder in der Pertisau, als Erzherzog Ferdinand, der schönen Philippine Welser jagdfroher Gemahl, das alte Holzhäuschen durch ein schönes Jagdschloß ersetzte, dessen Räume mit Weidmannstrophäen reich ausgestattet waren. Das Jagdschloß erweiterte sich zum „Fürstenhause“; ein venetiamscher Schiffbaumeister ward berufen, der den See mit reichgeschmückten Fahrzeugen ausstattete; prächtige Reiterzüge bewegten sich den Jenbacher Berg herauf und von den Ufern des Sees erscholl Rossegestampf, Rüdengebell, Hörnerklang und Weidmannsruf bis weit in die Felsthäler hinein.

Dann, als die schöne Welserin und ihr fürstlicher Gemahl gestorben waren, versank der See wieder in mehrhundertjährige Stille. Nur mit den Mönchen von Fiecht, die etwa zur Stärkung ihrer Gesundheit heraufpilgerten, kamen ab und zu Innsbrucker Gäste herauf, denen in den Sommermonaten die Luft des Innthales zu heiß und schwer ward und die hier in der Pertisau in frischerer Bergluft rasten mochten.

Das vornehmste und älteste Gasthaus der Pertisau, das „Fürstenhaus“, ist noch eine Domäne des Klosters Fiecht. Des Klosters Verwalterin, die „Veronika“, übt hier eine unumschränkte patriarchalische Herrschaft. Man merkt, daß man unter dem Krummstabe lebt; ein würdevoller Ernst durchweht das Haus, übermüthiges Lärmen ist durch die Ueberlieferung verpönt, an Freitagen wird gefastet. Wer sich der Sitte des Hauses nicht fügen will, der erhält, ohne daß es ihm eigentlich gesagt wird, von selbst den Eindruck, daß er überflüssig sei und gehen könne, etwa nach dem Seehof hinüber, wo er genug „Tradeldio“ und „Holdrio“ haben kann.

Die Pertisau ist auch der beste Platz am See für wanderlustige Menschen. Wer einen hochinteressanten Spaziergang von ein paar Stunden unternehmen will, geht den „Mariensteig“ entlang, welcher über die Felswände des Westufers hinwegklettert und bis zum Nordende des Sees führt. Man kommt dabei über die „Gaisalm“, die auf winzigem Rasenfleckchen unter den Steilwänden des Seekars liegt. Wer aber weiter hinan will, in die Wildniß des Hochgebirgs, den lockt die unmittelbar über der Pertisau aufragende Rabenspitze und ihre Nachbarin, die Seekarspitze. Mannigfaltiger sind die Bergpfade auf dem mächtigen Sonnwendjoch, welches gerade gegenüber der Pertisau aus dem See aufsteigt. Es ist kein einzelner Berg, sondern ein ganzer Gebirgsstock, reich an den verschiedenartigsten Bildern, welche die Hochgebirgswelt zu bieten vermag: an Schluchten und Gräben, grünen Matten und öden Hochflächen, Steilwänden, Waldterrassen, unheimlichen Seespiegeln und schauerlichen Trümmerfeldern. Weithin in den Ortschaften des ganzen Unterinnthals ist dieser stolze Berg sichtbar; das möchte wohl dazu führen, daß, wie sein Name sagt, schon in alter Heidenzeit auf ihm die Sonnwendfeier abgehalten ward.

Droben unter den Felszinnen dieses Berges, auf klippiger Hochfläche, liegt in todtenstiller Einsamkeit der Irdeiner See; dessen Namen die grübelnde Forschung von der Göttin Erda, der nordischen Hertha, herleitet. Seltsame Mär umspinnt diesen See, seine Fische sollen goldene Zähne haben und Gold im Leibe tragen. Dort sprudelt auch ein „Goldbründel“ aus dem Fels und eine Zaubergrotte birgt verwunschene Schätze. Von diesen Schätzen schenkte einst ein gespenstiges Bergfräulein einem armen Hirtenbuben so viel, daß er in Steinberg, am Fuß des Sonnwendjochs, einen stattlichen Bauernhof erbauen konnte. Der Hof steht heute noch. Der Irdeiner See aber und seine Geister können nicht bloß Segen spenden, sondern haben auch grausige Macht. In der Sonnwendnacht, heißt es, brülle der See, daß man ihn bis ins Zillerthal und nach Brandenberg hört; und eigene Messen, die im Kloster zu Mariathal gestiftet wurden, sollen verhindern, daß er über seine Ufer steige und als verheerende Sündfluth ins Innthal niederbreche.

Weit wilder als die Ostumwallung des Achensees sind jene Berglandschaften, die sich westwärts von dem grünen Gelände der Pertisau erschließen. Drei Thäler ziehen nach der Pertisau herab: das Tristenauthal, das Falzthurnthal und das Gernthal. Während aber das erste bald unter den Wänden des Tristkogl zu Ende geht, führen die beiden andern den rüstigen Fußwanderer weit nach Westen in jene ausgedehnte Gruppe der Nordkalkalpen, die sich unter dem Namen des „Karwendelgebirgs“ zwischen dem Achenthale und dem Scharnitzpaß aufbaut. Da gilt es vielstündiges Wandern über grüne Alpenmatten und stille Jochsteige; dann aber eröffnet sich dem Naturfreunde ein Gebiet von schauerlicher Großartigkeit. Ueber unbeschreiblich einsame Thalwinkel, in welchen grüne Ahornhaine rauschen, ragen Bergketten mit riesenhaften Gipfeln, weißgrau und kahl steigen sie empor als seltsam geformte Zinken und Hörner. Unter den Steilabstützen des „Hochglück“ und „Grubenkarspitz“ flimmert blaues Gletschereis und fern, fern verhallt der Lärm des Jahrhunderts.

Aber zurück nach unserem See!

Eine halbe Stunde südöstlich von Pertisau, am Südende des Achensees, liegt das freundliche Gasthaus zum „Seespitz“ und die Endstation der Achenseebahn. Diese kleine Eisenbahn, wie ein Werk aus „Tausend und eine Nacht“ in der unvergleichlich kurzen Zeit vom November 1888 bis zum April 1889 erbaut, verbindet den See mit der Station Jenbach um Innthale. Vom Seeufer führt sie zuerst als gewöhnliches Schienengeleise nach den Stationen Maurach und Eben, die beide noch über dem Spiegel des Achensees liegen. Maurach ist ein reizend gelegenes Dörfchen, mit braunen Holzhäusern, überragt vom Gewände des Sonnwendjochs, über welches der Talfazer Wasserfall herabstäubt. Die nächste Station Eben steht auf der Scheide zwischen der Landschaft des Achensees und jener des Innthales. Weit hinaus winkt das rothe Thurmdach. Hier ruhen die Gebeine der heiligen Notburga. Diese fromme Magd, die Schutzheilige des weiblichen Hausgesindes in ganz Süddeutschland, lebte im 13. Jahrhundert als Dienerin auf dem Rottenburger Schlosse, dessen Ruinen heute noch ins Innthal hinab schauen. Wie die heilige Elisabeth in Thüringen speiste die tugendhafte Notburga die Armen, indem sie ihnen heimlicherweise gab, was sie sich vom Munde abgespart hatte. Darüber erzürnte sich Ottilie, die Burgfrau von Rottenburg, und sie trieb die mildthätige Magd aus dem Schlosse. Nun trat Notburga bei einem Bauern in Dienst, und mit ihr zog Segen und Wohlstand in den Hof. Hier that sie auch ihr schönstes Wunder. An einem Sommertage, als bei sinkender Sonne die Feierabendglocke klang, betete sie und wollte dann vom Felde heim. Der Bauer, dem der Garben noch nicht genug auf dem Felde lagen, ward unmuthig und befahl ihr, weiter zu arbeiten. Da sagte sie lächelnd: „Es ist Feierabend!“ Mit diesen Worten warf sie ihre Sichel in die Luft, und siehe da – die Sichel blieb an einem Sonnenstrahle hängen, der vom sinkenden Tagesgestirn her über die Felder sich spann. Es scheint, daß der Bauer seit jener Zeit aufhörte, die Arbeitsstunden über Gebühr zu verlängern. Die Sage berichtet weiter, daß in seinem Hause Wohlstand und Glück verblieben und sich mehrten, während auf dem Schlosse der Rottenburger alles zurückging. Spät erst kam die strenge Ottilie auf den Gedanken, Notburga zurückzurufen und um Verzeihung zu bitten. Und Notburga kam und verzieh, und von derselben Stunde an kehrte das Glück der Rottenburger zurück.

Als die Heilige aber zu sterben kam, sollen Engel ihre Seele sichtbarlich gen Himmel getragen haben. Vorher hatte sie bestimmt, man solle ihre irdischen Reste auf einen mit zwei Stieren bespannten Wagen legen und sie dort begraben, wohin sie die Stiere ohne Lenker fahren würden. So geschah’s, und die Thiere führten den Wagen über den Inn und hinauf nach Eben zu einer kleinen Kapelle. Hier ward Notburga begraben. Als an ihrer Ruhestätte mit der Zeit sich mannigfache Wunder begaben, wurde sie allmählich als Heilige verehrt und anstatt der kleinen Kapelle ward eine schöne Wallfahrtskirche erbaut, vielbesucht von frommen Betern. Gern vergönnt man dem reizenden Platze das Heiligthum, obgleich hier nicht verschwiegen werden darf, daß man auch im Schwabenlande sich rühmt, eine Grabstätte der heiligen Notburga zu besitzen; nur ist die schwäbische Notburga keine niedriggeborene Magd, sondern ein Königskind. Welche von den beiden heiligen Mädchen aber die richtige sei, können wir hier ununtersucht lassen. Nur das sei noch erwähnt, daß manche Züge aus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_766.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)