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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

„Meine Welt war zerschlagen!“ fuhr sie fort. „Aber ärger war mir der Gedanke an Dich, an Deine Qual!“

Sie wußte es nicht, daß sie „Du“ sagte, und ich hörte es nicht.

„Ich wollte, ich konnte nicht schreiben, das ging über meine Kraft; dem, den meine Seele liebte, jetzt noch heißer, glühender – dem selbst den Dolch ins Herz stoßen – das war nicht möglich! Nicht wahr, Konrad? – Da ließ ich dem gräßlichen Geschick seinen Lauf und schloß die Augen vor all’ dem Entsetzlichen hüben und drüben, wie man die Augen wohl zumacht in verstummender Qual, wenn man sein Liebstes in den Abgrund stürzen sieht, ohne es retten zu können.“

Sie sah eine kurze Zeit still vor sich nieder; ich hörte ihre und meine Athemzüge.

„Alles andere hat keine Bedeutung,“ hub sie wieder an; „ich bin ehrlich gewesen ihm gegenüber, ich habe ihm gesagt, was ich ihm nicht mit in die Ehe brächte: keine Liebe, keine Spur; daß ich das Andenken an einen anderen ihm als Mitgift brächte – er lachte darüber. ‚Findet sich alles!‘ mochten seine Gedanken sein. – Es hat sich nicht gefunden!“ sagte sie mit vollem Augenaufschlag; „aber wie Gott mir die beiden Kinder in den Arm legte, von der Stunde an habe ich ihn als den Vater meiner Trostbringer angesehen und bin ihm eine ehrliche Frau gewesen – und –“ sie sah mir ernst ins Gesicht, vornüber geneigt – „und will es bleiben!“

„Und was wird aus mir? Sie haben mich einen Blick in mein verlorenes Paradies thun lassen – was bleibt mir davon, als unendliches Sehnen?“ fragte ich und faßte ihre Hand fester.

„Dasselbe, was mir bleibt von dieser Stunde: das Gefühl, daß wir unser Herz bezwungen haben! Nun bitte ich Sie um eines: morgen noch bleiben Sie bei uns; ja? und fahren mit uns nach Breitenfelde; wir sind eingeladen zu einer Geburtstagsfeier. Wir wollen noch einen Tag lang beisammen sein als die, welche sich in Frieden gefunden haben; aber dann reisen Sie! Wir wollen unsere Kraft nicht gar zu sehr auf die Probe stellen!“

Es lag ein schmerzliches Lächeln um ihren Mund. „Ich habe Sie gar zu tief in meine Seele schauen lassen müssen. Und eben darum gehen Sie von mir und kommen Sie nicht wieder! Ihr Wort darauf!“

Sie reichte mir auch die andere Hand und stand auf. Langsam, wie in schmerzlicher Andacht, zog ich erst ihre rechte, dann ihre linke Hand an meine Lippen und ich fühlte den warmen Druck ihrer Finger.

„Gertrud!“ rang es sich los aus meiner Seele, und – ich wußte kaum, was ich that – meine Arme breiteten sich nach ihr aus.

Sie wich einen Schritt zurück und sah mich mit unendlich traurigem Blick an, langsam den Kopf schüttelnd.

„Nein!“ sagte sie leise, „nein! Gute Nacht!“

Sie war gegangen. Das Feuer im Kamin brannte nieder, die Lichter flackerten verlöschend auf, und noch immer knieete ich auf dem Bärenfell, auf dem ihre Füße gestanden hatten, und hatte das Gesicht in die Kissen gedrückt, wo sie gesessen; so blieb ich, – lange, lange!


Es war spät am nächsten Morgen, als die Hausglocke zum Frühstück rief. Bei meinem Eintritt ins Speisezimmer stand Gertrud am Tisch und bereitete den Thee; mit aufgestütztem Kopf saß Sternhagen daneben. Sie grüßte mich mit einem Blick. „Kann Ihnen keine Hand geben!“ sagte sie lächelnd, aber es war ein müdes Lächeln. Um ihre Augen lag ein dunkler Kreis; er machte sie vielleicht noch schöner, aber er zeugte von einer durchwachten Nacht, und der Glanz ihres Blicks war verschleiert.

Stöhnend richtete Sternhagen sich auf und reichte mir nachlässig seine heiße Hand; er sah sehr schlecht aus. „Infamen Kater!“ knurrte er; „Skandal, daß ich so abfiel; haben sich wohl noch ganz gut unterhalten? Na, werd’ nur nicht so roth, Trude!“

Sie erglühte bis in die Haarwurzeln, aber sie richtete sich fest auf. „Ich bitte, Oskar!“ flüsterte sie; aber es lag ein Befehl darin.

„Na ja, meinetwegen!“ gab er zurück. „Wissen Sie ’was, Herr Professor, ich will Ihnen einen doppelten Rath geben: heirathen Sie nie und trinken Sie statt Thee jetzt ein Glas Sherry mit mir; bekommt Ihnen besser; oder haben Sie keinen Jammer? Sie sehen mir doch so’n bißchen bleich aus!“

Gertrud hatte schnellen Schrittes das Zimmer verlassen. Er warf ihr einen beinah feindseligen Blick nach. Ich kochte innerlich. Da kam ein schwerer Schritt näher, und der Verwalter trat ein.

„Nun? Was will Er?“ fuhr Sternhagen ihn an.

„Herr, ich wollte nur sagen, daß Siegbert heut’ nicht fahren kann; er ist krank!“

Sternhagen schlug mit der Faust auf den Tisch. „Was fehlt dem Kerl?“ schrie er; „faules Thier, will seinen Rausch ausschlafen; ’raus mit ihm aus dem Bett!“

„Nein, Herr, er sieht ganz bös aus. Sein Arm, der rechte, ist ganz dick und roth und steif, daß er ihn nicht rühren kann, und unter den Augen und im Gesicht hat er lauter Blasen.“

„Gut!“ schrie Sternhagen. – „geh’ Er an die Arbeit! – Muß nur ’mal hin; wollen Sie mit?“ fragte er. Mit einem Male schlug er sich vor die Stirn; sein Blick klärte sich etwas. „Das ist wieder ’was für Sie!“ rief er; „da spukt der verdammte Giftsumach wieder! Das Zeug muß wieder gewachsen sein!“

Gertrud war inzwischen wieder an die Theemaschine getreten und sah scheu zu ihrem Manne hinüber.

„Das ist ja die infame Wirthschaft hier zu Lande!“ polterte er und ließ sich wieder schwer in seinen Stuhl fallen; „erlaubt mir dieser hochnasige Bengel von Graf nicht einmal mehr, in seinem Wald Tannengrün für das Erntefest schlagen zu lassen, und Siegbert kommt vorgestern mit leerem Wagen zurück. Da hab’ ich ihn im Garten soviel schneiden lassen müssen, wie anging, und dabei ist der dumme Kerl wahrscheinlich über den Sumach mit seinen blanken Blättern gekommen. Hab’ mich nie wieder um das Zeug gekümmert. Nun haben wir den Salat!“

„Wir können ja auch zu Hause bleiben!“ sagte Gertrud sanft; „ich glaube, wir sind alle etwas angegriffen von gestern her.“

„Nein, wir fahren!“ schrie er unwirsch. „Der Professor und ich jedenfalls! Bleib’ Du zu Hause, wenn Du keine Lust hast! Ich kutschire selbst!“

„Ich werde mitfahren!“ sagte sie leise und reichte mir ohne aufzusehen die Tasse.

Mit dem Giftsumach hatte es seine Richtigkeit; hinter den Tannen bei der Kegelbahn, von denen Siegbert die Zweige geschnitten hatte, war unbeachtet aus den rankenden Wurzeln wieder allmählich eine ganze Kolonie des Giftstrauchs aufgewachsen, und der arme Kerl von Kutscher lag fiebernd in seinem schlechten Bett und war sehr krank.

Bald nach Tisch – die Laune des Hausherrn schien etwas besser geworden zu sein – sollten wir fahren. „Muß erst eine Stunde schlafen!“ sagte er kurz beim Aufstehen vom Mahl; „wollt Ihr nicht auch?“

„Ich kann ja nach Tisch nicht ruhen, es bekommt mir nicht,“ gab Gertrud zurück; „aber Sie, Herr Professor, Ihnen wird’s gut thun!“

„Es ist gegen meine Gewohnheit –“

„Na, dann vertreibt Euch die Zeit ein bißchen miteinander; um drei Uhr geht’s los; der Weg ist weit!“

Er ging.

Lange blieb es still zwischen uns. Gertrud blickte hinaus, wo der Herbstwind die Blätter von den Bäumen riß. Ich sah sie an, in Leid und Liebe versunken. Endlich öffnete sie die Lippen.

„Das ist eine Welt! Das ist deine Welt!“ sagte sie halblaut. Sie lehnte sich zurück und schloß die Augen. „Ich bin doch müde!“ flüsterte sie; „gehen Sie, Konrad!“

Ich stand auf und wandte mich nach der Thür. Da hörte ich wieder meinen Namen. „Geben Sie mir noch einmal Ihre Hände!“ sagte sie leise; „wir müssen Abschied nehmen jetzt –; aber kurz – für lange Zeit!“

Da knieete ich vor ihr und drückte ihre Hände an mein Gesicht. Sie lag noch immer mit geschlossenen Augen zurückgelehnt.

„Bin ich Ihnen noch nicht unglücklich genug?“ kam es kaum hörbar über ihre Lippen.

Ich richtete mich auf und ging; ihr Blick folgte mir – so nahmen wir Abschied!


Der leichte gelbe Jagdwagen hielt vor der Thür, mit zwei muthigen Apfelschimmeln bespannt, die ungarisches Geschirr trugen.

„Willst Du mit den unruhigen Thieren fahren?“ fragte Gertrud besorgt, als sie in die Hausthür trat.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_768.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)