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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Gerhard suchte seine Verlegenheit hinter einem Lächeln zu verbergen.

„Davon kann nun freilich vorläufig nicht die Rede sein, meine Liebe. Und Du siehst ja, daß sie meinen Besuch nicht einmal wünscht. Es muß gerade jetzt wohl meine Pflicht sein, mich in allem ihrem Willen zu unterwerfen!“

Astrid vermochte ihm darin zwar nicht beizustimmen, aber sie drang nicht weiter in ihn, als sie sah, daß er fest entschlossen war. Die Rechnungsräthin hatte ihrer Unterhaltung schweigend zugehört; nun aber wünschte sie doch zu wissen, wer diese großmüthige Sängerin sei, und warum nie zuvor von ihr die Rede gewesen. Die Gegenwart Astrids, in deren ahnungslosem Herzen er unter keinen Umständen einen Verdacht aufsteigen lassen wollte, nöthigte Gerhard, der alten Dame zu erzählen, daß er ehedem mit Rita Gardini eng befreundet gewesen sei, und daß ein unglückseliges Mißverständniß diese Freundschaft zerstört habe.

„Und Astrid hat diese Dame überhaupt nicht kennengelernt?“ forschte Frau Haidborn, in deren klugen Augen Gerhard etwas wie Mißtrauen zu lesen glaubte, weiter.

„Nein! Mein Zerwürfniß mit ihr fiel gerade in die Zeit unserer Verlobung, und später war an eine Wiederannäherung kaum zu denken. Doch ich meine, wir hätten genug von ihr gesprochen. Meine Zeit ist gemessen, und nachdem ich Deines Einverständnisses sicher bin, liebe Astrid, werde ich ihr unverzüglich die Noten senden!“

„Meines Einverständnisses? – Ich begreife Dich wirklich nicht, Schatz! Kannst Du denn meine alte Thorheit noch immer nicht vergessen, und hältst Du mich für so unverständig oder so schlecht, daß ich etwas anderes als Entzücken bei Deiner Neuigkeit empfinden könnte?“

„Nein, nein!“ wehrte er hastig ab, indem er sie an sich zog und alle weiteren Fragen von ihren Lippen küßte. „Ich hatte volles Vertrauen zu Dir und ich wollte Dir nur beweisen, daß ich auch einen beinahe selbstverständlichen Entschluß nicht fassen kann, ohne mich mit Dir vollkommen eins zu wissen.“

„Und Sie thun recht daran, lieber Sohn!“ fiel die Rechnungsräthin mit ungewöhnlich ernster Betonung ein. „Nichts anderes ist so gefährlich und Verderben bringend als ein Geheimniß zwischen Liebenden, und wäre es auch an und für sich von der unbedeutendsten Art. Die Seele meiner kleinen Astrid liegt vor Ihnen wie ein Spiegel, und Sie vergelten nur Gleiches mit Gleichem, wenn Sie auch vor ihr nichts Verborgenes und Unwahrhaftiges haben.“

Eine solche Ermahnung konnte Gerhard niemals unbequemer sein als in diesem Augenblick. Er machte ein etwas saures Gesicht und beeilte sich, fortzukommen. Astrid, die ihn bis an die Thür des Häuschens begleitet hatte und die seinem Wagen mit den Blicken gefolgt war, so lange er in ihrem Gesichtskreise blieb, kauerte, als sie in das Wohnzimmer zurückgekehrt war, zu den Füßen ihrer mütterlichen Freundin nieder und sagte, sich zärtlich an sie schmiegend, mit der Wichtigkeit eines Kindes, welches soeben einen großen Entschluß gefaßt hat:

„Soll ich Dir etwas anvertrauen, liebe Mama, – etwas sehr Kühnes und Ungeheuerliches? – Aber Du mußt mir zuvor feierlich versprechen, daß Du keinen Versuch machen wirst, mich daran zu hindern!“

Zärtlich legte die alte Dame ihre Hand auf Astrids glänzenden Scheitel.

„Wie kann ich Dir ein solches Versprechen geben, Kind? Aber ich denke, Du wirst mich auch ohne das Deines Vertrauens für würdig halten.“

„Nun, so höre denn! – Ich habe mir vorgenommen, heimlich zu Fräulein Gardini zu gehen und ihr so recht aus vollem Herzen für ihre Großmuth zu danken!“

„Das wolltest Du thun, Astrid? – Und ohne Deinen Verlobten davon in Kenntniß zu setzen?“

„Das ist es ja eben, was ich vermeiden will! Gerhard darf jedenfalls erst davon erfahren, wenn es geschehen ist. Er würde es mir unbedingt verbieten!“

„Und wenn Du dessen so sicher bist, fürchtest Du nicht, daß er Dir nachher ernstlich böse sein werde?“

„O nein, ich werde ihn schon zu versöhnen wissen! Es ist ja nur sein Stolz, der ihm nicht gestattet, mir diese Erlaubniß zu geben. Ich weiß nicht genau, welche Ursache ihre Entfremdung gehabt haben mag, aber ich habe guten Grund, anzunehmen, daß ich selbst die unschuldige Veranlassung dazu gewesen bin.“

„Du, Astrid?“ – Das ehrwürdige Gesicht der Rechnungsräthin wurde immer ernster und sorgenvoller. „Und wie kommst Du zu einer so seltsamen Vermuthung?“

„Ach, frage mich jetzt nicht danach, liebe Mama! Ich habe Gerhard einmal versprochen, daß davon nicht mehr die Rede sein sollte, und wenn ich Fräulein Gardini jetzt nur dahin bringe, daß sie ihm und mir verzeiht, so ist ja auch alles gut! Aber nicht wahr, Du wirst mir erlauben, morgen zu ihr zu gehen, und Du wirst mich nicht verrathen?“

Frau Haidborn war in ernster Ungewißheit über das, was sie hier zu thun habe. Aber sie sah wohl, daß ihr kaum eine Wahl blieb. Wohl fürchtete sie, daß dieser Besuch für das Glück ihres Schützlings verhängnißvoll werden könnte; aber Astrid hatte sich ihrer Idee mit einem solchen Feuereifer hingegeben, daß sie einem bestimmten Verbot sicherlich nicht ohne triftige und einleuchtende Gründe Folge geleistet haben würde. Gerade eine solche Mittheilung aber mußte den ahnungslosen Frieden ihres Herzens grausam vernichten, und die Rechnungsräthin zögerte um so mehr, einen so bedenklichen Versuch zu wagen, als ihre Sorgen sich denn doch nur auf Vermuthungen und Schlüssen aufbauten, die immerhin irrthümliche sein konnten.

So fügte sie sich denn seufzend in das Unvermeidliche und betete in der Stille, daß dem Kinde ihrer armen Freundin die herbste aller Enttäuschungen erspart bleiben möge.


8.

Astrid hatte eine frühe Morgenstunde für ihren Besuch bei der Sängerin wählen müssen, wenn sie dieselbe noch vor dem Beginn der Probe sprechen wollte. Obwohl ihr die Ueberzeugung, in einer redlichen Absicht zu handeln, einigen Muth einflößte, stieg sie doch nicht ohne Zagen die teppichbelegten Stufen des prächtigen Hauses in der Beethovenstraße empor, und sie meinte, den Schlag ihres eigenen Herzens zu vernehmen, als sie den Glockenzug in Bewegung gesetzt hatte und auf das Oeffnen der Thür harrte.

Die Zofe, welche sie eintreten ließ, war noch dieselbe blasse, verschmitzte Person, die schon Gerhard gekannt hatte. Sie musterte das verlegene junge Mädchen mit einem sehr neugierigen Blick, und als Astrid ihren Namen genannt hatte, beeilte sie sich, die Anmeldung zu bewirken. Schon nach Ablauf von kaum einer halben Minute kehrte sie zurück.

„Das gnädige Fräulein hat zwar in kaum einer Stunde eine sehr anstrengende Probe und pflegt sonst vor Beginn einer solchen keine Besuche anzunehmen; aber sie will um Ihretwillen gern eine Ausnahme machen und bittet Sie, einzutreten.“

Diese Art des Empfanges war nicht danach angethan, Astrids Befangenheit zu verscheuchen, und dieselbe erreichte ihren Höhepunkt, als sie das Gemach der Sängerin betrat. Die üppige Ausstattung desselben erschien ihr von einer geradezu märchenhaften Pracht. Die dunklen Vorhänge vor den Fenstern waren weit zurückgeschlagen, so daß das goldene Sonnenlicht in breiten Streifen über die kostbaren Möbel und den schön gemusterten Smyrnateppich hinfluthete, auf den zierlichen französischen Bronzen und den weißen Marmorstatuetten reizvoll wechselnde Lichter erzeugend.

Viel mehr aber als alle diese fremden und vornehmen Dinge wirkte Rita Gardinis Erscheinung selbst blendend und verwirrend auf Astrid ein. Galt die Sängerin ohnedies für eine der schönsten Frauen Berlins, so mußte sie vollends heute, wo es ihr fester Entschluß war, noch viel schöner zu sein als sonst, dem bescheidenen und befangenen jungen Mädchen wie ein Götterbild erscheinen. Astrids Verlegenheit war so groß, daß sie wohl schwerlich die rechten Worte zur Erklärung ihres Besuches gefunden hätte, wenn ihr nicht Rita mit einer wahrhaft bezaubernden Liebenswürdigkeit und Natürlichkeit entgegengekommen wäre. Wie einer alten Freundin reichte sie ihr die schöne, von Edelsteinen funkelnde Hand, und sie selber war es, die vorwegnahm, was Astrid hatte sagen wollen.

„Welch’ eine unerwartete Freude bereiten Sie mir mit diesem Besuch, mein liebes Fräulein!“ sagte sie mit ihrer glockenhellen, wundersam einschmeichelnden Stimme. „Es ist fast, als ob Sie errathen hätten, wie ich mich danach gesehnt habe, Gerhard Steinaus Bräutchen kennenzulernen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_807.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)