Seite:Die Gartenlaube (1889) 853.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Deutsche Bühnenleiter.

Max Staegemann.

Den Lebensbildern deutscher Bühnenleiter, welche die „Gartenlaube“ ihren Lesern bereits vorgeführt hat, wollen wir heute das Porträt Max Staegemanns, des Leiters der Leipziger Stadttheater, anreihen.

Leipzig steht in dem Rufe, ein ebenso theaterlustiges als theaterverständiges Publikum zu besitzen; in der That wendet sich in kaum einer anderen der großen deutschen Städte das Interesse so allgemein und, man möchte sagen: so ehrgeizig dem Theater zu wie in der alten Universitätsstadt Sachsens, dem Welthandelsplatze Leipzig.

In dem eigenartigen und nach architektonischer Seite in großem Stile entwickelten Stadtbilde nimmt der monumentale, in edlen Linien sich haltende Bau des Neuen Stadttheaters eine hervorragende Stelle ein, und wie der dem Schönen und der Pflege der Kunst zugewandte Gemeinsinn sich in der Errichtung dieses würdigen Tempels der Kunst ausspricht, so wird das Institut selber durch die Gemeindevertretung sowohl wie durch die Theilnahme des Publikums in finanzieller und ideeller Hinsicht mächtig gefördert.

Unter solchen Verhältnissen müßte es eigentlich – sollte man meinen – eine leichte Aufgabe sein, die Leitung des Leipziger Theaters mit glücklichem Gedeihen zu führen. Und doch ist die Laufbahn eines Leipziger Bühnenleiters dornenvoll und schwierig: Laube verließ nach wenigen Jahren seiner Kunstthätigkeit Leipzig, nachdem er vorzeitig seinen Vertrag gelöst hatte, Haase und Förster haben schwere Jahre in Leipzig durchgemacht; harte Preßfehden verbitterten ihnen das Leben, und das Theater selbst wurde oft der Schauplatz stürmischer Meinungsäußerungen, denn wie tausendfach auch die Beziehungen sind, welche in Leipzig die Einwohnerschaft mit dem Theater verbinden, und wie innig dieselben sich auch gestalten, so verschieden und oft weit auseinandergehend treten die Wünsche hervor, welche man bezüglich der Leitung hegt.

Auch Staegemann sollten trübe Erfahrungen in dieser Beziehung nicht erspart bleiben, aber er lenkte das seiner Führung anvertraute Theaterschiff mit geschickter Hand durch die oft hoch genug gehenden Wogen, und der Erfolg blieb nicht aus: noch vor Ablauf seines siebenjährigen Vertrages wurde ihm in ehrenvoller Weise durch das Vertrauen der Bürgerschaft und der Gemeindeleitung der Pachtkontrakt um weitere sechs Jahre verlängert.

Es liegt auf der Hand, daß ein solcher Mann Eigenschaften haben muß, die ihn ganz besonders zur Leitung einer großen Bühne befähigen und ihn geeignet erscheinen lassen, einem anspruchsvollen, stark kritisch veranlagten und auf sein Theater stolzen und eifersüchtigen Publikum Genüge zu leisten.

Man wird die Ursache dieses Erfolges vor allem darin suchen müssen, daß Staegemann mit ehrlicher Kunstliebe und unermüdlichem Fleiße seinem Berufe nachkommt. Er ist eine echte Künstlernatur, für das Schöne und Erhabene empfänglich und begeistert und durch künstlerisches Feingefühl und veredelten Geschmack von vornherein zu einem erfolgreichen Förderer der Kunst bestimmt. Er ist zudem ein Mann der That und Arbeit, der an allen Zweigen seiner Thätigkeit frisch zugreift und selbständig vorgeht; er giebt sich nicht damit zufrieden, einfach den Rath seiner Regisseure, seines Dramaturgen zu befolgen, nur anzudeuten und zu bestimmen und die weitere Ausführung des Begonnenen seinen Mitarbeitern zu überlassen, sondern er steht, ausgerüstet mit voller Bühnenkenntniß und vertraut selbst mit anscheinend geringfügigen Kleinigkeiten, den Kapellmeistern und Regisseuren, den Darstellern, ja sogar dem technischen Personale mit Rath und That zur Seite. Sie alle schätzen seine künstlerische Einsicht und folgen willig dem bewährten Führer.

Die Thätigkeit eines Leipziger Theaterdirektors ist vielumfassend; drei Bühnen – das Neue und das Alte Stadttheater und das in der Südvorstadt gelegene Carolatheater – unterstehen seiner Leitung; alle dramatischen Kunstgattungen werden gepflegt; die große Oper, die Spieloper und die Operette, das höhere Drama wie das Lustspiel und die Posse, und überall hat Staegemann sich das erste und das letzte Wort gewahrt.

Mit welchem Verständniß er seine Aufgabe als Regisseur auffaßt, wie liebevoll er den Empfindungen der Dichter und Komponisten entgegenkommt, wie sorgfältig er deren Absichten zum richtigen Ausdrucke verhilft, hat er oft genug bei der Inscenierung größerer Werke bewiesen, deren einige er alljährlich selber einstudiert. Die „Zauberflöte“, „Don Juan“, „Figaros Hochzeit“, „Fidelio“, „Rheingold, „Die drei Pintos“, „Die Walküre“, „Siegfried“, „Die Götterdämmerung“, „Der fliegende Holländer“, „Lohengrin“, „Tannhäuser“, „Der Sommernachtstraum“ u. a. m. wurden von Staegemann selber insceniert und fanden ein dankbares, begeisterten Beifall spendendes Publikum sowie eine gerechte Würdigung seitens der Kritik.

Sein Kunsturtheil hat weit und breit guten Klang. Alljährlich kommt eine große Anzahl von Kunstnovizen aus Deutschland und aller Herren Ländern nach Leipzig, ihre Befähigung durch den kunstverständigen Bühnenleiter beurtheilen zu lassen. Mittags, wenn die Proben beendet sind und die große Bühne frei wird, treten diese Kunstjünger in den Lichtkreis der Soffitenlampe, und während von der Bühne herab die Arien oder Monologe in den leeren Raum schallen, sitzt Staegemann in einer der vordersten

Parkettreihen in tiefem Dunkel und folgt mit antheilsvoller Aufmerksamkeit, mit scharfem Blick und seinem Gehör den Vorträgen. Seine Kritik über diese Leistungen ist stets offen und wahrhaftig und völlig rückhaltlos; er hat manchen schon von einer Laufbahn zurückgehalten, die dem wenig Befähigten nur schwere Enttäuschungen hätte bringen müssen. Manches Talent aber, das noch unentwickelt vor ihn trat und erst in ferner Zeit zur Entfaltung zu gelangen versprach, hat er ermuthigt und mit Rath und That gefördert;

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 853. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_853.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)