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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Aus eiserner Zeit.

Von Dr. H. Ellermann. Mit Zeichnungen von R. Stieler.

Der Götzenthurm in Heilbronn.

Im alten heiligen römischen Reich deutscher Nation gab es wohl kaum einen Winkel, wo die Zertheilung von Grund und Boden am Ende des Mittelalters so absonderliche Formen angenommen hatte, als dort zwischen dem unteren Neckar und dem Main, zwischen dem Rhein und dem Fränkischen Jura. Von Westen her griff der Kurkreis herein mit den Gebieten des Erzbischofs von Mainz und des Kurfürsten von der Pfalz, der im fröhlichen Heidelberg Hof hielt. Im Osten ragten zwei andere geistliche Fürsten hervor, die Bischöfe von Würzburg und Bamberg, und ihnen that es gleich an Macht die stolze Reichsstadt Nürnberg. Zwischen diesen aber saßen in buntem Wechsel und mit oft merkwürdig zersplitterten Gebietsverhältnissen noch eine ganz erkleckliche Zahl von freien Reichsständen, Grafen, Rittern, Aebten und freien Städten und als Besonderheit auch noch der Orden der Deutschherren zu Mergentheim.

Es ist kein Wunder, daß gerade auf diesem Boden das Wesen des kleinen freien Reichsritters sich am vollendetsten entwickelte. Hier genoß er in vollen Zügen die uneingeschränkte Selbstherrlichkeit, die ihm Lebensluft und -licht war, hier waren unter so und so viel Genossen tausenderlei Gelegenheiten zu Fehde und Bündniß, gemeinsamem Ueberfall und rettendem Unterschlupf, und nirgends besser als hier konnte den „Pfeffersäcken und Ballenbindern“, den unheimlich reichen Kaufherren der Städte, ein Abbruch gethan werden.

Und dieser Boden ist auch der Schauplatz, auf dem das Leben des Ritters Götz von Berlichingen „mit der eisernen Hand“ sich abspielte.

Es ist den Lesern der „Gartenlaube“ aus einem früheren Aufsatze (vgl. Jahrgang 1882, S. 779) bekannt, daß um die Persönlichkeit dieses Ritters sich ein lebhafter Streit entsponnen hat. Folgen die einen dem Bilde, das Goethe von ihm entworfen hat, und in dem er als ein Hort der Bedrängten, als ein Rechtshelfer der Unterdrückten erscheint, so stempeln ihn die andern zum höchst gewöhnlichen, gewaltthätigen Abenteurer und Stegreifritter. Die Wahrheit wird, wie so oft, in der Mitte liegen und es wäre auch, wenn wir die angedeuteten Zeitverhältnisse in Betracht ziehen, von Götz wirklich zu viel verlangt, wollten wir von ihm fordern, daß er mitten in einer eisernen Zeit hätte leben sollen „als frommer christlicher Ritter“, so, wie es seine sanfte Schwester Maria in Goethes Drama von seinem kleinen Sohne Karl wünscht. Auch von Götz wird das Wort gelten, mit dem Maria diesen ihren Wunsch für Karlchens Zukunft begründet: „Die rechtschaffensten Ritter begehen mehr Ungerechtigkeit als Gerechtigkeit auf ihren Zügen.“ Und daß das Geschlecht der Berlichingen nicht gerade nach dem Ruhm der Sanftmuth geizte, mag man daraus entnehmen, daß es als Wappenkrönung einen reißenden Wolf führt, der ein Lamm im Rachen trägt.

Doch wollen wir uns heute nicht mit dieser Streitfrage beschäftigen, für deren endgültige Lösung die Zeit noch nicht gekommen scheint. Wir wollen vielmehr einen Rundgang über die Stätten machen, die durch das Andenken an den Ritter Götz geweiht sind und die des Zeichners Stift dem Beschauer auch vor das äußere Auge führt.

Es sind einfach schlichte, aber liebliche Landschaftsbilder, die der Wanderer im Thale der Jagst, des letzten größeren rechten Nebenflusses des Neckarstromes, zu schauen bekommt. Wer von Möckmühl der Landstraße folgt, die neben dem Flusse her in vielfachen Krümmungen sich thalaufwärts windet, der befindet sich nach zwei bis drei Stunden Wegs ganz auf Berlichingenschen Spuren. Da liegen hinter einander Jagsthausen, Berlichingen und Schönthal, der Hauptsitz, die Wiege und das Grab des Geschlechts. Dort auf dem Schlosse zu Jagsthausen ist auch der Ritter Götz geboren im Jahre 1481 als der fünfte und jüngste von seines Vaters Kilian von Berlichingen Söhnen, dort hat er, wenn auch mit großen Unterbrechungen, in seinen Jugend- und früheren Mannesjahren seine Heimath gehabt. Im Norden des Dorfes liegt das „Alte Schloß“ mit seinem Götzenthurm, während westlich vom Dorfe das „Neue Schloß“ der noch jetzt blühenden Linie Berlichingen-Jagsthausen sich erhebt. Eine seltene Hinterlassenschaft birgt noch heute Jagsthausen; es ist die eiserne Hand Götzens, jenes Meisterwerk der Schmiedekunst, das sich der kampflustige Ritter anfertigen ließ, nachdem ihm vor Landshut seine eigene Rechte abgeschlagen worden war. Durch Vererbung nach Wien gekommen, wurde das Wunderwerk im Jahre 1798 durch eine geb. Reichsgräfin von Hadik, die einen Berlichingen geheirathet hatte, wieder nach Jagsthausen gestiftet, wo ein eigenes Stammbuch die zahlreichen Besucher nebst den Gefühlen, die sie beim Anblick der eisernen Hand bewegten, verzeichnet.

Und nun weiter das Thal hinan. Bald grüßen uns die beiden Thürme der prächtigen Klosterkirche von Schönthal, die einen der berühmtesten Schönthaler Aebte, Benediktus Knüttel († 1731), den angeblichen Vater der „Knüttelverse“, zu ihrem Erbauer haben. Wie oft hat diesen Weg vor uns ein stiller Zug zurückgelegt, ein Viergespann, das einen Berlichingen nach seiner letzten Ruhestätte im Kreuzgange des alten Abteigebäudes verbrachte! Einst hatte der Gründer des Klosters, ein Ritter Wolfram von Bebenburg, von Engelhard von Berlichingen Grund und Boden zum Bau des Klosters unentgeltlich erhalten, unter der einzigen Bedingung, „daß, so oft einer von Berlichingen mit Tod abginge, Abt und Convent verpachtet sein sollen, den Todten mit einem Viergespann abholen zu lassen; dann, wenn der Leichnam vor der Klosterpforte ankäme, ihn processionsweise in die Kirche zu geleiten, die gewöhnlichen Exequien halten zu lassen und endlich im Kreuzgange des Klosters, der für immerwährende Zeiten der Familie von Berlichingen als Erbbegräbniß überwiesen wird, feierlichst beizusetzen.“ Und so geschah es jahrhundertelang; aber bei den „immerwährenden Zeiten“ konnte es freilich nicht bleiben. Als nach dem Durchbruch der Reformation ein Berlichingen um den andern zur neuen Lehre

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_864.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)