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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

Belustigung zugesehen hatte, „hast Du Deine Stickschuhe bald fertig? Das wär ja wohl das erste Mal, daß Dein Bruder seine Sache auf Heiligabend fertig zu sehen bekäm’!“

„Man thut, was man kann,“ sagte sie kühl und ein wenig schnippisch. Ihre Sprache hatte etwas Müdes – in der That, die Augen waren geröthet, matt – jetzt blinzelten sie, und Billa fuhr auffallend schnell gegen den Ofen herum und bückte sich höchst angelegentlich auf die Stickerei hinab.

„Es wäre wunderbar genug, wenn ich zu diesem Weihnachtsfest mit Vergnügen sticken würde,“ fuhr sie nach einer Weile fort.

Ueber das Gesicht des Vaters zuckte es.

„Na, na – gieb Dich nur, Döchting! Das ist doch nun ’mal nicht anders und Du mußt doch auch endlich ’mal ein Einsehen haben. Wenn man so’n Kiekindiewelt ist wie Du, dann möchte man wohl dies und das, aber ob das auch richtig ist, das kann man mit Deinen achtzehn Jahren noch nicht genau wissen. Dazu hat man seine Eltern, die sich so ’ne vierzig, fünfzig Jahre den Wind haben um die Nase wehen lassen. Ich möcht’ bloß ’mal wissen, was aus Dir geworden wäre, wenn ich Dir immer Deinen Willen gethan hätte. Es wäre Dir nicht ein einziges Mal eingefallen, die Arzenei aus der Apotheke einzunehmen, wie Du ein paarmal so schwer krank gewesen bist. Jung und verständig wohnt nicht beikommen, das ist all so.“

„Natürlich, Du hast recht, Vater! Eltern haben überhaupt immer recht!“

„Haben sie auch, Döchting! Hier liegt das doch auf der flachen Hand: er hat nichts und ist ein gelernter Landwirth. Nun rechnet er wohl darauf, daß ich Euch ein Gut kaufen oder pachten soll; aber da gehört viel baar Geld zu, und ich kann das doch nicht so weggeben und riskiren, daß es flöten geht und daß ich auf meine alten Tage mit der Mutter selber nicht auskomme. Wenn er etwas anderes wäre, wollte ich ja nichts sagen; aber so als Landwirth, wenn man nichts Ordentliches in der Hand hat, ist das eine elende, klötrige Sache. Das muß ich doch besser verstehen als so’n Mädchen, das sein Lebtag nichts gethan hat als gesungen und gesprungen.“

„Ich habe nichts von Dir gefordert; wie wir auskommen, das wäre unsre Sache gewesen. Wenn wir sorgen und hungern wollen – wen quält das, Euch oder uns?“

Busse machte große Augen. „Oho, das geht uns denn doch was an! Dafür haben wir Euch nicht großgezogen, Lütting. Wir haben von Gottes- und Rechtswegen die Sorge auf uns, daß Ihr gut durchkommt im Leben. – Und nun komm ’mal her zu mir, Du altes großes Mädchen; die Liebe ist wie das Feuer, das geht auf und ab, zuletzt verbrennt auch ein Scheffel Kohlen, wenn nicht nachgeschüttet wird.“

Er lehnte sich gemächlich in seinem Stuhle zurück und sah erwartungsvoll zu ihr hinüber. Und sie stand wirklich auf, langsam, legte ihre Stickerei in den Sessel und ging auf Busse zu. Einen Schritt vor ihm blieb sie stehen, bleicher als vorher, aber die matten Augen brannten jetzt und waren trocken.

„Vater, ich habe mir vorgenommen, noch einmal ernst mit Dir zu reden. Darum bin ich heruntergekommen.“

„Vater, ich habe mir vorgenommen, noch einmal ernst mit Dir zu reden.“

„Das Reden hilft Dir doch nichts, Döchting, das ist doch nun ’ne abgemachte Sache; nun laß doch sein, was nicht zu ändern ist!“

Der kleine volle Mund spannte die Lippen so fest ein und es lag ein Zug so feierlicher Bestimmtheit auf dem blassen Mädchengesicht mit dem hübschen Stumpfnäschen und den großen braunen Augen, wie sie weitersprach:

„Ich erfülle eine Pflicht, ich thue, was ich muß, wenn ich Dich noch einmal – das darfst Du glauben, es ist das letzte Mal! – bitte: Gieb mir den Adolf! Ich lasse nie von ihm, das steht so fest wie Himmel und Erde, und es fragt sich sehr, ob Du nicht mehr Unglück anrichtest, wenn Du nein, als wenn Du ja sagst, selbst im Fall mein Leben danach ein schweres werden sollte. Wir wollen nichts von Euch haben, als Euer Jawort. Vater, brich mich nicht innerlich entzwei, ich kann ohne ihn nicht sein – gieb ihn mir!“

Sie schloß mit einem leidenschaftlichen Gefühlsausbruch, ein Schluchzen überwältigte sie und sie sank bei dem Vater nieder und legte sich auf eins der vorgestreckten Kniee und sah ihn mit schwimmenden Augen an.

Er rückte unwillkürlich mit den Füßen, warf die Zeitung bei Seite und sagte betroffen: „Donner und Diez, reden kannst Du für den Landtag, Dirn! Du hast mir zuviel gelesen, und ein rabiates Ding warst Du von klein auf. Sei nicht unklug, mit dem Kopf durch die Wand geht’s nicht. Selber bei unserm Herrgott hilft kein Bitten, wenn er einmal eingesehen hat: anders ist’s besser. E…hm!“ – er räusperte sich ein paarmal, wobei er hilflos suchende Blicke nach der Saalthür warf. Dann schlug er plötzlich einen rauheren Ton an.

„Ich will Dir was sagen: entweder Deine Eltern haben sich’s ordentlich überlegt, und haben sie nein gesagt, so bleibt’s dabei, wenn – –“

Die Gedanken ließen ihn im Stich, vielleicht auch die Widerstandskraft; er stieß murrende Laute des Unmuths aus, nahm die Hände des Mädchens unsanft von den Knieen und erhob sich. Auch Billa stand auf.

„Es bleibt dabei, Vater –?“

„Ja!“ rief er heftig zurück, denn er war bereits auf dem Wege nach der Saalthür.

Da stand sie – schlug die Hände vor das Gesicht – und ließ sie wieder hinab und starrte durch die Scheiben ein paar Sekunden in die Nebelluft, die schmalen blassen Hände zusammengepreßt.

„Gut!“ sagte sie zwischen den Zähnen und ging wieder aus der Stube in ihr Zimmer hinauf. Die Stickerei für Erich blieb in dem grünen Plüschsessel liegen und die Lichter aus dem Ofen liefen drauf hin und wieder.

„Die Billa ist rein des Teufels,“ berichtete Busse kopfschüttelnd nebenan bei der Hausfrau, halb lachend, halb aufgeregt; er hatte das Taschentuch aus seinem Flausrock gezogen und fuhr sich damit über das spärliche ergraute Haar auf der hohen lichten Stirn. „Hast Du’s hier verstanden? Ich habe mir nicht anders zu helfen gewußt, als daß ich davonging; ich glaube, ich wäre sonst herausgeplatzt und hätte uns den Spaß verdorben. Lotting, die kann einem noch mehr zusetzen als Du in Deinen besten Jahren; ihr Adolf kann sich auf was gefaßt machen.“

„Karl, sei nicht albern; Du hast Dich nicht zu beklagen gehabt. Was die Billa betrifft, so habe ich so ziemlich gehört, was Ihr zusammen gesprochen habt; aber ich hatte nicht Lust, mich drein zu mischen. Du weißt, daß ich über Billas Wünsche nie so schroff gedacht habe wie Du – da steh Du auch für Dich ein! Ich habe Dir immer gesagt: Billa ist ein leidenschaftliches Geschöpf, und man weiß nie, wozu ein solches Mädchen in der Verzweiflung fähig ist. Ich wollte, es wäre erst soweit, daß wir die beiden hier hätten, mir wird nicht wohl bis dahin.“

Busse lachte etwas gezwungen, während er zusah, wie die geschickten Hände der Gattin hier eine vergoldete Nuß, dort einen Zuckerkandis-Eiszapfen in die Zweige befestigten.

„Na weißt Du,“ meinte er endlich, „bis zum Abend wird sie’s wohl aushalten. Ins Wasser kann sie bei der Jahreszeit nicht gut gehen, und Gift und Pistolen hat sie, wie ich glaube, nicht oben.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 872. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_872.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)