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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

nicht – nun gut! Lieber alles leiden, als so zu Grunde gehen, mit dem blutenden wilden Herzen, mit den Aufregungen und schlaflosen Nächten.“

Was weiß ein so junges Geschöpf von Gesetzen und elterlichem Recht!

Billa wird gerufen und geht zu Tische hinunter. Sie erscheint gefaßt – blaß und still und wortkarg freilich, doch Vater Busse, der prüfende Seitenblicke auf sie wirft, ist befriedigt und zwinkert der Mutter höchst verschmitzt zu. Aber nur blitzartig kurz, dann legt er das Gesicht wieder in die ruhigen Falten wie ein rechter Komödiant. Die Mutter fragt Billa, ob sie ihr nachher etwas zurichten helfen will, allein Billa lehnt ruhig ab: sie hat noch soviel zu thun, um mit ihrer Bescherung fertig zu werden.

„Eine schöne Bescherung . . . !“ fällt ihr ein, und es zuckt fast wie der Anfang eines Lächelns um ihren Mund. Nur die großen braunen Augen bleiben gleichmüthig und trübe.

Sie wünscht „gesegnete Mahlzeit“ und geht – sie hat zuletzt wie auf Kohlen gesessen, so eilig hat sie’s. Und oben ist sie so müde – so abgespannt. Sie liegt eine halbe Stunde im Schaukelstuhl, in einer Art Halbschlaf.

Jetzt ist’s höchste Zeit! Sie muß noch einen Abschiedsbrief schreiben. Die Eltern müssen erfahren, was sie gethan hat, warum sie’s gethan . . . man darf nicht den ganzen Abend nach einer spurlos Verschwundenen suchen . . .

Die Aufregung, die sie mit widerstreitenden Empfindungen plötzlich wieder durchflammt, jagt sie auf. Da steht der nette kleine Vertraute ihrer Gedanken, ihrer Mädchenfreundschaften, ihrer Mädchengeheimnisse, so dünnbeinig mit dem schmächtigen Mahagonileibchen: ihr Schreibtisch – die bronzirte Feder mit der goldenen Schreibspitze darauf, und die Schreibmappe mit der Holzmalerei (eigene Pensionsarbeit) und dem Elfenbeinaufschlitzer . . . nun wohlan: ein letztes Schreiben wahrscheinlich an dieser von Erinnerungen geweihten Stätte. Sie schlägt hastig die Mappe auf, nimmt die Feder, taucht sie trotzig ein – und legt sie wieder hin und bricht in Weinen aus.

Nein – dieser Vater verdient es nicht, dieser Barbar! Eigentlich gelten diese Thränen auch allem möglichen . . . also tapfer schreiben! Und die Goldspitze fliegt nur so über das Papier. Der erste Bogen wird natürlich zerrissen, der zweite gleichfalls. Man darf sich gegen Eltern doch nicht gar zu weit von seiner Leidenschaftlichkeit hinreißen lassen!

Und nun Goldsand drauf, und nun fort! Ach du liebes, warmes, duftiges Zimmerchen im grauen Nebellicht . . .

Halt, noch eine Nachschrift!

„Adolf ist unschuldig an diesem Schritt und weiß vorläufig noch nichts davon. Ich will nicht, daß man ihn unschuldigerweise mit verantwortlich macht für das, was ich thue.“

Sie kleidet sich für die Fahrt an wie für einen Ausgang in die Stadt; dazwischen wischt sie sich die Augen ab – aber nun ist sie ganz entschlossen, ganz Trotz . . .

Ach, sie muß noch einmal umkehren. Sie hat ja vergessen, die Schreibtischschlüssel abzuziehen! So viele vertrauliche Mittheilungen von Freundinnen liegen in den Fächern dort, und sie hat nur ein paar Briefe von Adolf eingepackt. Aber vielleicht ist es besser, noch eine Nachschrift aufzusetzen:

„Ich hoffe, daß man meinen Schreibtisch verschlossen und die Briefe meiner Freundinnen ungelesen lassen wird. Von Adolf ist nichts darunter.“

Sie zündet mit einem plötzlichen Einfall noch die Lampe an, nachdem sie die letzten Zeilen geschrieben hat, fast ohne etwas davon zu sehen. Dann geht sie – leise – die Tasche in der Linken, mit der Rechten am Geländer tastend – niemand begegnet ihr.

Nun ist sie draußen im Nebel, in einer seltsamen Dämmerung, welche das umherirrende Schneelicht verursacht. Kein Blick nach den elterlichen Zimmern. Vor ihr glotzen fern und ferner ein paar verschleierte Feuerballen von Straßenlaternen. An der ersten schaut sie noch einmal auf die Uhr: schon ein paar Minuten über die Zeit . . .

Da hält Alt-Pötting; ein paar Glöckchen klingen.

„Na, Fräulein, dann kann das losgehen! Meine Frau hat vorgesorgt, daß Sie nicht frieren, weil Sie doch bei einer Ueberraschung nicht viel Sachen mitschleppen können. Nun wickeln Sie sich nur gut ein!“

„So, Pötting, nun zu!“

Und der klingelnde Schlitten schurrt in die Winternacht, in den Nebel hinaus.

Am elterlichen Grundstück wirft die Scheidende verstohlen eine Kußhand zu den hellen Fenstern hinüber und bückt sich dann tief auf ihren Muff herab.

(Schluß folgt.)




Die Bismarckburg im Adeliland.

(Zu dem Bilde S. 860 und 861.)

An der Sklavenküste von Westafrika liegt eingezwängt zwischen englischen und französischen Kolonien das deutsche Schutzgebiet Togo. Jetzt tritt seine Bedeutung gegen die anderen deutschen Kolonien zurück; das Togoland bildet ja nur einen schmalen Streifen mit etwa 40 Kilometern Küstenlinie. Vor einigen Jahren stand es jedoch im Vordergrund des Interesses. Hier war es, wo das Kriegsschiff „Sophie“ im Februar 1884 zum erstenmal an der westafrikanischen Küste deutsche Truppen zum Schutze deutscher Interessen landete; von hier brachte es Geiseln nach Deutschland und auf dieser Fahrt besuchte das Kriegsschiff auch die Ruinen von Gross-Friedrichsburg und brachte alte brandenburgische Feldschlangen nach Jahrhunderten in die Heimath zurück – es weckte Erinnerungen an koloniale Pläne aus alter Zeit – und damals kam auch die kolonialpolitische Bewegung in eigentlichen Fluß. Schon am 5. Juli 1884 wurde von dem kaiserlichen Kommissar Dr. Gustav Nachtigal in Togo die deutsche Flagge gehißt, dann folgten die Besitzergreifungen rasch auf einander, und Togo trat gegenüber Kamerun und Ostafrika in den Hintergrund.

Der Küstenstrich von Togo selbst ist auch wenig verlockend. Die „Städte“ liegen hier in der Nähe von Lagunen und Sümpfen, in denen das Malariagift brütet. Das Land soll zwar gesünder sein als andere Striche an der Guineaküste, jedenfalls aber kann der Europäer hier nur Handel treiben.

Noch zur Zeit der Besitzergreifung des Togolandes war dasselbe kaum auf die kurze Entfernung von einigen Kilometern landeinwärts bekannt. Jetzt ist das anders geworden. Im Auftrage des Reiches widmen sich die berühmten Forschungsreisenden Stabsarzt Dr. Wolf und Hauptmann v. François der Erforschung des Hinterlandes und sind bereits gegen 250 Kilometer von der Küste vorgedrungen.

Schon auf eine Entfernung von 60 bis 80 Kilometern ändert sich das Bild. Anstatt der sonst ansteigenden Ebene umfaßt den Reisenden eine Gebirgslandschaft, die von Südwest nach Nordost sich dahinzieht. Die Eingeborenen nennen sie „Obossum“, d. h. „Fetischberge“, außerdem trägt sie verschiedene Namen, welche den einzelnen Landschaften entlehnt sind, wie „Aposso“, „Kebu“, „Adeli“ etc. Das Klima ist hier sehr günstig; es regnet hier häufig auch außer der Regenzeit, und da auch der Boden vorzüglich ist, so prangen die abwechslungsreichen Formen des Gebirgs in einem wunderbar frischen Pflanzenwuchs. Die Kämme und die breiten Thalmulden sind von Savannen, dünn mit Bäumen bestandenen Grasebenen, bedeckt; auf den Abhängen und an den Flußläufen stehen breite Streifen Galeriewald. Nach der Schätzung von François ist ein Drittel des Gebirges mit Wald bedeckt, ein kleiner Theil ist unter Kultur und der Rest ist Savanne. Der Wald ist beachtenswerth, denn neben den zahlreichen Palmen findet sich prachtvolles nutzbares Ebenholz und unter den Schlingpflanzen die Kautschuk liefernde Liane (Landolphia) in solcher Menge, wie kaum an irgend einem anderen Orte in Afrika. In der Savanne dagegen begegnet man zahlreichen Büffelspuren, die anzudeuten scheinen, daß diese Grasfluren sich für Rindviehzucht eignen, während die Kulturen der Eingeborenen auf die Möglichkeit eines günstigen Plantagenbaus hinweisen.

In diese Gebirgsgegend führt uns das Bild Franz Leuschners ein. Wir sehen vor uns den Palaverplatz des berühmten Fetischortes Perëu im Adelilande. Bevor wir jedoch dieses Bild selbst erklären, möchten wir zunächst berichten, wie die Deutschen überhaupt nach dem Adeliland gekommen sind und dort eine „Burg“ gründeten.

Dr. E. Wolf, der ausgezeichnete Begleiter Wißmanns auf seinen Reisen zur Erforschung der südlichen Gebiete des Kongostaates, erhielt den Auftrag, im Hinterlande von Togo eine wissenschaftliche Station zu errichten. Auf seinem Zuge durch das Innere kam er Mitte Mai d. J. 1888 auch an die Grenzen des Adelilandes, welches durch seine Fetische in hohem Ansehen steht, und er hegte wenig Hoffnung, daß es ihm gelingen werde, den Durchmarsch durch diese geheiligten Stätten zu erzwingen. Die Häuptlinge machten die Erlaubniß von einem Orakel abhängig: ein Huhn sollte offenbaren, ob der Fremde als Freund oder als Feind komme. Vor einer großen Volksversammlung erschien der Fetischpriester und bestrich mit dem Huhn den Dolmetscher und Führer Wolfs, die als seine Stellvertreter galten. Beide mußten hierauf in den geöffneten Schnabel hineinspucken, um dem Thiere dadurch ihre und vor allem Wolfs

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_874.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)