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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Ueber Gehörinstrumente für Schwerhörige.
Von Prof. Dr. K. Bürkner.


Unter der erschreckend großen Zahl von Schwerhörigen giebt es leider nicht wenige, deren Gebrechen unheilbar ist. Diese schwersten Formen von Taubheit beruhen meist entweder auf einer durch Verdickungen und Verwachsungen hervorgerufenen verminderten oder aufgehobenen Beweglichkeit derjenigen Theile des Ohres, welche den Schall aufzufangen und durch ihre Schwingungen fortzuleiten haben, oder in Störungen des schallempfindenden, nervösen Ohrabschnittes. Häufig ist die Vernachlässigung eines anfangs geringfügigen Ohrkatarrhs von seiten der Kranken oder ihrer Aerzte schuld an dem Eintreten der schließlich unheilbaren üblen Folgen, in andern Fällen können die sehr oft nachweisbare, verhängnisvolle Vererbung einer Neigung zu Ohrleiden oder der allgemeine Körperzustand, sowie verschiedene Ansteckungskrankheiten, wie Scharlach, Masern, Typhus, den Ausgangspunkt der Taubheit bilden.

Ein jeder von diesen Unglücklichen, deren Dasein durch ein so schweres Gebrechen getrübt wird, hat den Wunsch, die durch die Schwerhörigkeit im geselligen und im geschäftlichen Verkehr entstehenden, nur zu leicht zu völliger Vereinsamung führenden Schwierigkeiten zu heben oder doch zu verringern, und wer selbst in der Nähe des Ohres laut Gesprochenes nicht mehr zu verstehen vermag, sucht meist auch ohne ärztliche Verordnung nach einem Mittel, welches zur verstärkten Wahrnehmung des Schalles dienen kann. Der einfachste Schallfänger, die hinter das äußere Ohr gelegte Hand, genügt in Fällen von hochgradiger Schwerhörigkeit nicht mehr, denn es wird dadurch nur eine geringe Vergrößerung der für die Gehörthätigkeit ohnehin untergeordneten Ohrmuschel erreicht; der Taube bedarf vielmehr eines von sachkundigem Arzte ausgewählten Hörwerkzeuges.

Solcher Vorrichtungen nun giebt es eine große Zahl in den verschiedensten Formen; aber leider findet sich darunter keine, welche etwa der von den Schwerhörigen so heiß ersehnten „Brille für die Ohren“ entspräche; denn sie sind alle unvollkommen und leisten bei weitem nicht das, was die Gläser für das Auge bieten. Sind doch auch die Verhältnisse bei beiden Sinnesorganen grundverschieden! Bei Anwendung der Brille für Kurz- und Weitsichtige sind wir in der Lage, nach physikalischen Gesetzen Unregelmäßigkeiten in der Lichtbrechung des Auges durch vorgesetzte Zerstreuungs- oder Sammellinsen aufzuheben, also das wahrzunehmende Bild außerhalb des Auges zu verändern, dem Fehler des Auges anzupassen, während wir den Ton vorläufig nur insofern beeinflussen können, als wir ihn verstärkt dem Ohre zuführen und durch den nun ausgiebigeren Reiz die verminderte Beweglichkeit der den Schall leitenden Gehörknöchelchen zu überwinden oder durch unmittelbare mechanische Einwirkung auf die letzteren eine lebhaftere Schwingungsthätigkeit herbeizuführen suchen müssen.

Leider sind auch die Hoffnungen, welche man auf die neueren akustischen Erfindungen, vor allem auf das „Mikrophon“[1] gesetzt hatte, nicht in Erfüllung gegangen. Bisher ist es wenigstens nicht gelungen, dieselben für Schwerhörige nutzbar zu machen.

Die schallverstärkenden Apparate sind im wesentlichen Trichter von verschiedener Größe und verschiedener Form, und zwar ist im allgemeinen die erstere für die Wirkung maßgebender als die letztere. Selten wird ein Schwerhöriger mit einem jener kleinen Instrumente, welche sich im Ohre verbergen lassen, eine erhebliche Gehörverbesserung erzielen, und an diesem Umstande scheitert nur zu häufig die Anwendung von Hörmaschinen überhaupt; denn es ist ein, zumal beim weiblichen Geschlechte, weitverbreitetes, im Grunde sehr thörichtes, durch eine gewisse Eitelkeit hervorgerufenes Bestreben, die Schwerhörigkeit möglichst zu verheimlichen; wird doch sogar die Empfehlung eines Hörrohrs von seiten eines Ohrenarztes zuweilen als eine beleidigende Zumuthung angesehen.

Betrachten wir die gebräuchlichsten Formen von Hörrohren etwas näher!

Die kleinsten Instrumente sind Röhren von Silber oder Hartgummi von kreisrundem oder ovalem Querschnitt, welche an dem einen Ende eine trichterförmige Erweiterung besitzen. Dieselben werden so tief in den Gehörgang eingeschoben, daß das weitere Ende in die Ohrmuschel zu liegen kommt, und sind daher allerdings nicht auffallend; allein da der geringe Querschnitt des Trichters in nur sehr beschränktem Maße zur Sammlung von Schallwellen geeignet ist, so nützen diese kleinen Röhrchen meist nur in Fällen, in welchen die Schwerhörigkeit durch das Zusammenfallen der erschlafften Gehörgangswände, wie es bei alten Leuten vorkommt, bedingt oder vermehrt wird; hier ist dann nicht die Verstärkung des Schalles, sondern die durch das Einführen des Instrumentes herbeigeführte Oeffnung des Kanals das Wesentliche.

Ein ähnliche, gleichfalls fast völlig zu verbergende kleine Vorrichtung besteht aus Hartgummi und besitzt eine jagdhornförmige Krümmung, auch hier wird der schmälere Theil in den Gehörgang geschoben, der weitere Theil hingegen erhält seinen Platz, mit der Oeffnung nach hinten, in der Ohrmuschel. Der Hauptzweck des Röhrchens ist, die Fläche des den Gehörgang von vorn her klappenartig schließenden, dreieckigen Knorpels zu vergrößern, weil diesem eine besondere Thätigkeit bei der Zuleitung der Schallwellen beigemessen wird. Allein ein bedeutender Erfolg wird auch durch diesen Apparat nur selten erzielt.

Hörschlauch.

Die größeren, wirklich brauchbaren Schallfänger bestehen aus einem trichter- oder becherförmigen, behufs Abschwächung von Nebengeräuschen zuweilen mit einem Drahtgeflecht oder Metallsieb gedeckten Sammelgefäß und einem in den Gehörgang einzufügenden, in sehr verschiedener Weise gekrümmten Ansatzrohr. Sie müssen in der Hand gehalten werden, lassen sich aber wohl auch auf dem Tisch aufstellen oder an Spazierstöcken befestigen. Diese Trichter oder Trompeten werden entweder aus Metall oder aus Hartgummi, Papiermasse u. dergl. hergestellt und besitzen je nach dem verwandten Material eine verschiedene Wirkungskraft; das Metall verstärkt den Ton zwar mehr, allein derselbe erhält leicht einen „blechernen“ Beiklang und wird durch das Auftreten störender Nebengeräusche mitunter so erheblich beeinträchtigt, daß im allgemeinen die Hartgummiapparate entschieden den Vorzug verdienen.

Von der früher fast ausschließlich verwendeten Trompetenform hat man in neuerer Zeit mehr und mehr abgesehen, indem man wohlüberlegter Weise versucht hat, durch Herstellung parabolisch gekrümmter Schallfänger den Zweck der Instrumente in befriedigenderer Weise zu erreichen. Solche parabolisch gekrümmte Apparate besitzen in der Regel die Form einer Suppenkelle, wenn der Ohransatz ziemlich lang und seitlich am Schallfänger angebracht ist, oder einer Tischglocke, wenn der Ohrtheil unmittelbar am Scheitel des Paraboloids ansetzt. Doch giebt es auch derartige Apparate von ganz anderer Form. Besonders zweckmäßig erscheinen parabolisch geformte Schallbecher, welche die Schallwellen in einen zweiten, nach innen, d. h. nach dem Ohransatz offnen, gleichfalls parabolisch gekrümmten Hohlraum werfen, von wo aus sie dann dem Ohr zugeleitet werden.

Dasjenige Instrument, welches weitaus am häufigsten bei hochgradig Schwerhörigen anwendbar ist, besteht in einem Trichter oder Becher aus Hartgummi, dem „Mundstück“, und einem etwa dreiviertel Meter langen Schlauch mit rechtwinkelig gekrümmtem Ohransatz. Das Mundstück ist so weit, daß es die Lippen des hinein Sprechenden nahezu bedeckt, der Schlauch, welcher aus spiralig aufgewundenem Draht mit Leder- und Seidenfadenüberzug besteht, verläuft am besten konisch, das heißt vom Trichter nach dem Ohrtheile zu enger werdend.

Diesem „Hörschlauche“ haftet gegenüber den größeren und

weiteren Schalltrichtern, welche sich entschieden für minder Schwerhörige am besten eignen, nur der eine Nachtheil an, daß er nicht wie jene das von mehreren Personen gleichzeitig Gesprochene und


  1. Eine schallverstärkende Vorrichtung in den Fernsprechleitungen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_010.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)