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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Gegenstand tief in das Gedächtniß der Menschheit, so tief, daß seinen Inhalt Jahrtausende nicht daraus verdrängen konnten.

Zwar entzieht sich die Geschichte und Wanderung dieses Liedes auf Jahrhunderte unseren spürenden Blicken, umgekommen aber ist das Blümlein der Poesie nicht. Im 10. Jahrhundert taucht es wieder auf, und von da an können wir seine weiteren Schicksale ziemlich deutlich verfolgen. Damals, im Zeitalter des Humanismus, blühte ja die klassische Dichtkunst neu auf, und so kam es, daß selbst dies kleine Machwerk einer längst entschwundenen Zeit wieder Leben gewann. Da war es zunächst ein Gelehrter, Ursinus Velius, der sich darüber hermachte, es zu neun lateinischen Hexametern umgestaltete und das Ganze „Amor Melligerus“ (Amor der Honigdieb) benamste. Auch andere zeitgenössische hochansehnliche Gelehrte fanden sich zu dem Theokritischen Idyll hingezogen und setzten es in lateinische Verse um, ja schließlich war es kein geringerer als Philipp Melanchthon selber, der als gewandter Meister in griechischer und lateinischer Sprache eine gleiche Uebersetzung in neun Zeilen versuchte. Sie alle geben wohl die einzelnen Worte des Urbildes in ihren Worten aufs genaueste wieder, doch die Glätte des griechischen Ausdrucks fehlt allen. Als aber im Laufe der Jahrhunderte der Glanz der lateinischen Sprache mehr und mehr erlosch, als die eigenen Muttersprachen wieder zur Geltung gelangten, da wollte man dies Liedchen vom Honigdieb im Klang der heimathlichen Mundart hören. Schnell ward es ins Italienische, ins Englische übersetzt, und selbst das islandische Idiom mußte sich dem Stoffe beugen.

Die Deutschen standen nicht zurück. Schon 1782 giebt Stäudlin im „Schwäbischen Musenalmanach“ eine niedliche deutsche Fassung, neben der andere ungefähr gleichzeitige Uebersetzungen kaum aufkommen können. Daß unser Lied in allen neueren Uebersetzungen des Theokrit oder des Anakreon nicht fehlt und auch in manche Blüthenlesen aus griechischen Dichtern Aufnahme fand, das versteht sich wohl bei der angedeuteten Beliebtheit von selbst. Ließ sich doch sogar ein Lessing, der die Schönheiten seiner Klassiker trefflich kannte, dazu herbei, den Anfang des Gedichtes zu benutzen und ihn in folgender Weise wiederzugeben:

„Als Amor in den goldnen Zeiten,
Verliebt in Schäferlustbarkeiten,
Auf bunten Blumenfeldern lief,
Da stach den kleinsten von den Göttern
Ein Bienchen, das in Rosenblättern,
Wo es sonst Honig holte, schlief.“

Aber auch die schönen Künste haben sich des reizenden Stoffes bemächtigt. Zunächst die Musik. Daniel Friederici setzt es vierstimmig in Musik und nimmt es in den 2. Theil seines „Musikalischen Sträußleins“ auf, der 1624 in Greifswald erschien. Auch den Text scheint er sich hierfür neu übersetzt zu haben, der bei ihm ganz selbständig lautet:

„Einstmals das Kind Cupido klein
Zum Bienenkorbe kame,
Den Bienlein ihren Honigseim
Zu essen daraus nahme.
Ung’fähr ihn in den Finger stach
Ein Bienlein mit dem Angel,
Drob er bekam groß Ungemach
Und in dem Finger Mangel.

Er lief bald zu der Mutter sein,
Thät ihr solches ansagen,
Sprach: „Mutter, liebste Mutter mein,
Was soll ich dir jetzt klagen!
Ich muß vor Schmerzen sterben schier,
Vom Bienlein ich’s bekommen,
Mich wundert, wo dies kleine Thier
So große Macht genommen.

Zu lachen fing die Mutter an,
Sprach: ‚Was hör’ ich jetzunder,
Hat dir das Bienlein leid gethan?
Das laß dir sein kein Wunder.
Du bist ja auch ein kleines Kind
Und thust oft großen Schaden
Denen, die da viel größer sind
Denn du, drum laß dein Klagen.‘“

Auch der bekannte Leipziger Thomaskantor Hermann Schein komponirte ein ähnlich anfangendes Gedicht, das freilich in der Form des 17. Jahrhunderts sich etwas dürftig ausnimmt:

„Einstmals von einem Bienelein
Amor sehr hart
Gestochen ward
In seine zarten Fingerlein,
Alß er zu tieff
In Bienstock griff,
Den Honig süß zu stehlen,
Er büßen mußt’
Die Honiglust,
Sein Anschlag thät’ ihm fehlen.“

Um 1650 singen ein ähnliches Liedlein zwei Mädchen im Walde, die der berühmte Satiriker Moscherosch in seinen „Gesichten Philanders“ einführt. Sie singen da:

„Hier auff dieser Liebesmatt’
0 Cupido vor dreien Tagen,
Weil er nichts zu schaffen hat’,
0 Wolt sein Zelt und Läger schlagen.
Ach Cupido, keiner Schelm
0 Wie machstu so große Wunden!“

Dann geht es aber anders weiter und schließt mit den poetischen Reimen auf Amor:

„Du Stupfer, du Hauser,
Du Lecker, du Lauser,
Du Schlecker, du Mauser,
So soll es dir gehen,
Recht ist dir geschehen,
So soll dir es gehen.“

In gleicher Weise machte sich die bildende Kunst den Vorwurf zu nutze. Lucas Cranach ist’s, der die Scene in einem Bilde von 1500 dargestellt hat, das sich jetzt in Weimar befindet, und ein diesem sehr nahe kommendes Bild treffen wir in der großherzoglich schwerinschen Galerie, unter welches ein paar lateinische Distichen geschrieben sind, die deutsch ungefähr so lauten:

„Während der Knabe Cupido entraubt dem Bienenkorb Honig,
0Sticht eine Biene den Dieb in seine Finger, o weh!
Also bringet auch uns das kurzverrauschte Vergnügen,
0Das wir ersehnen, nur Leid, bringt uns nur bitteren Schmerz.“

Erst neuerdings wieder zeigt uns den Gegenstand ein Aguarellbildchen: Amor, von einer großen Biene am Leibe gestochen, hält eine Fliegenkatsche in der Hand, um sich des Thieres zu erwehren. Das Blatt fertigte eine ruhmvolle Hand, der Künstler heißt Adolf Menzel. Es liegt in den Handzeichnungen der Berliner Nationalgalerie (Nr. 1630) und bildet daselbst einen werthvollen, treugehüteten Schatz. Vor Jahren wurde es nach dieser Skizze als Schmuck auf ein Tafelservice übertragen, das der verstorbene Kaiser Friedrich besaß.

So ist der eigentlich geringe Stoff des Theokrit und Anakreon allmählich in alle Kreise gedrungen. Leid in der Liebe: das ist ein altes Lied. Sogar unser moderner Roman hat sich nicht vor dem Eindringling schützen können! Ich erinnere nur an Georg Ebers’ „Aegyptische Königstochter“, wo er in das Gewebe des Werkes in einer Wiedergabe hineingeflochten ist, die ich hier zum Schluß herzusetzen mir nicht versagen kann, da sie den leichten Ton der Anakreontik in wunderbarer Weise trifft:

„Als Eros einstmals Rosen brach,
Da ist es ihm geschehen,
Daß seine Hand ein Bienlein stach,
Er hatt’ es nicht gesehen.

Nun schüttelt er die Händchen klein
Nun hub er an zu klagen
Und flog zu seinem Mütterlein
Mit schnellem Flügelschlagen.

‚O Mutter,‘ rief er, ‚Mutter, ach,
Mir ist so weh, so bange.
Ich werde sterben, denn mich stach
Gar eine böse Schlange.

Geflügelt ist das gift’ge Thier:
Du wirst es sicher kennen.
Es ist dasselbe, das allhier
Die Bauern Biene nennen.‘

Doch Kypris sprach: ‚Wenn du, mein Sohn,
Empfindest solches Wehe
Vom Stachel einer Biene schon:
Dann, lieber Sohn, gestehe:

Wie muß es erst dem Menschen sein
Mit deinem Pfeil im Herzen!
Ach, Eros, das ist eine Pein
Und schwerer zu verschmerzen.‘“

Reinhard Kade. 


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_015.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)