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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ich denken kann, hat er mich gequält. Er war mein Oberjäger und kein gutes Wort hat er mir je gegönnt. Immer hart, immer roh, und nur wenn’s in die Schlacht ging, war er wie’n Ohrwurm. Es giebt eben Kugeln, die sich verirren. Und dann, Herr Pastor, wenn er nicht gewesen wär’, so hätt’ ich das Kreuz. Aber er hat dagegen gesprochen. Und was hat er gesagt? Ich taugte nichts, ich wäre frech und übermüthig und man könne nicht jedem das Kreuz geben, der ein paarmal aus einem Fenster geschossen habe, bei guter Deckung. Wahr und wahrhaftig, ,bei guter Deckung’, so hat er gesagt, der schlechte Kerl. Und er war gar nicht einmal dabei. Ich will nicht sagen, daß er feig ist, nein, feig ist er nicht, aber ein Neidhammel ist er. Und was dann nachher kam, ich meine das vorige Jahr, nun das weiß der Herr Pastor. Von Unschlitt und Schimmelbrot will ich leben, wenn ich’s dem Kerl verzeih, daß er mich belauert und an die Grenzaufseher verrathen hat, und daß sie mich nach Jauer abgeliefert haben. Und warum? Um ein Stück Reichenberger Tuch, nicht der Rede Werth! Immer hat er mir den Weg gekreuzt. Hol ihn der Teufel!“

Siebenhaar drohte halb scherzhaft mit dem Finger. Lehnert, aber trat an den Alten heran und bat in einem Tone, drin sich Ernst und gute Laune die Wage hielten, um Entschuldigung.

„Ich will Dir den ,Teufel’ zu gute halten, Lehnert, wiewohlen man ihn nicht anrufen soll. Aber versprich mir dafür, Friede zu halten. Ich weiß nicht, ob Opitz Dir unrecht gethan hat mit dem Kreuz, aber wenn es auch wäre. Du mußt es vergessen.“

„Will’s versuchen.“

„Versprichst Du’s ernsthaft? Hab’ ich Dein Wort?“

„Ja! Aber wenn er wieder anfängt . . .“

„Er wird nicht. Ich werde mit ihm sprechen und Du sollst Bescheid haben. Vielleicht bald. Und dann komm ich selbst.“


3.

Während Lehnert dieses Gespräch hatte, schritt der, dem all diese Drohungen galten, heimwärts auf Wolfshau zu, wo seine Försterswohnung mit der Menzschen Stellmacherei zusammengrenzte. Der nächste Weg nach Haus wäre der unten im Thal, an der Lomnitz hin, immer flußaufwärts, gewesen, er mied ihn aber, weil dieser nähere Weg ohne Wirthshaus war und er ernstlich vorhatte, sich bei einem Glase Bier und einem guten Gespräch von den Anstrengungen der Siebenhaarschen Predigt, die wie gewöhnlich gut, aber etwas lang gewesen war, zu erholen.

So stieg er denn, den Umweg nicht scheuend, die große Straße bergan auf Krummhübel zu, wo er sicher war, in dem prächtig gelegenen Wirthshause „Zur Schneekoppe“ den ersehnten guten Trunk und vor allem auch eine gute, das heißt eine gefällige Gesellschaft zu finden, die sich’s angelegen sein ließ, ihn reden zu lassen und ihn bei jedem dritten Worte „Herr Förster“ zu nennen. Denn sich umworben und ausgezeichnet zu sehen und Ehre vor den Menschen zu haben, war das, wonach ihm zumeist der Sinn stand.

Sein Hühnerhund Diana, der darauf dressiert war, die Predigt draußen auf einer von der Sonne beschienenen Kiesstelle zu verschlafen, folgte dicht hinter ihm, ein schönes, schwarz und weiß geflecktes Thier. Und keine halbe Stunde, so bog er in Krummhübel ein, drin eine sonntägliche Stille herrschte. Links lief ein Wässerchen und schäumte, Hühner und Sperlinge pickten überall umher, wo eine Krippe gestanden hatte, und in der offnen Hausthür lehnten einzelne Dorfbewohner und genossen der Sonntagsruhe.

„Guten Tag, Herr Förster,“ sagte Gerichtsmann Klose, seine Pfeife respektvoll aus dem Munde nehmend, und „Guten Tag, Herr Förster“ wiederholte die nebenanwohnende, für gewöhnlich mit ihren Gunstbezeigungen etwas kargende Frau Böhmer den Gerichtsmann Kloseschen Gruß auch ihrerseits und trat aus ihrem Kramladen in die Dorfstraße hinaus, um dem Vorübergehenden die Hand zu geben, ja, sie schien ihn sogar anreden zu wollen. Des Försters Haltung aber war so steif und gemessen, daß selbst Frau Böhmer mit ihrer Frage zurückzuhalten für gut fand.

Und nun noch hundert Schritte, so stand unser Förster Opitz vor Exners „Schneekoppe“,“ trat aber nicht über den Schwellstein in den Flur, sondern bog gleich daneben in einen von einem Staketenzaun eingefaßten Garten ein, in dem um einen plätschernden Springbrunnen herum vor einer großen Veranda viele Sommergäste saßen. Sich diesen zu gesellen, fiel Opitz aber nicht ein, weil er im Vorübergehen herausgehört hatte, daß es Berliner waren, also Leute, von deren eigener Eingebildetheit er für die seinige nicht viel zu hoffen hatte. So ging er denn lieber auf eine kleine, von wildem Wein umwachsene Holzlaube zu, wo noch niemand saß, und ließ sich hier an einem langen braungestrichenen Eßtisch nieder; unmittelbar an der Wand daneben war ein Klingeldraht angebracht, der nach dem Wirthshause hinüber führte. Diesen zog er. Die Bedienung war aber einigermaßen säumig, was ihn, weil er eine Verkennung seiner Wichtigkeit und Würde darin erblickte, sofort heftig ärgerte. Wirklich, sein ohnehin etwas auf Schlagfluß deutendes Gesicht wurde von Minute zu Minute röther, und erst den Hut vom Kopf nehmend und gleich danach Unruhe bald mit dem einen bald mit dem andern zu beschäftigen. Endlich kam die Bedienung, eine schöne schwarze Person, von der es hieß, daß sie Kunstreiterin gewesen und als Kind durch fünf Reifen gesprungen sei, was ihr jetzt freilich etwas schwer geworden wäre, und entschuldigte sich, daß der „Herr Förster“ so lange habe warten müssen.

„Schon gut, Marie, schon gut.“

Und nun bestellte er eine Kulmbacher und ein Schnitzel. „Aber ohne Kapern und Sardellen!“

Die Kulmbacher kam denn auch bald, aber das Schnitzel ließ auf sich warten und in seiner sofort wiederkehrenden Unruhe nahm Opitz diesmal, statt des Sacktuches, ein Notizbuch aus seiner Tasche und begann Einzeichnungen zu machen, die, seiner Miene nach, von besonderer Wichtigkeit sein mußten. In Wahrheit aber waren es bloß Krikelkrakel, bei deren gedankenloser Hinmalung er, aller Aufregung und Wichtigthuerei zum Trotz, neugierig nach der großen Veranda und den vor derselben stehenden Tischen hinüber sah.

Endlich unterbrach die Marie mit dem Schnitzel diese nervöse Geschäftigkeit, und einige Augenblicke nachher bekam Opitz auch Lehrer Wonneberger, dessen Schule bei den „Baberhäusern“ hoch oben im Gebirge lag, waren in den Exnerschen Garten eingetreten, und Opitz ging ihnen, was eine große Auszeichnung war, drei Schritte entgegen und begrüßte jeden einzeln. Er sei froh, daß sie kämen, denn er hab’ einen ganzen Sack voll Neuigkeiten. Es gehe wieder was vor und der gottvergessene Kerl, der Sambetta, stecke dahinter. „Was meinen Sie, Kraatz? Sie sind ja doch auch ein Mann, der was hört und weiß und mit dabei war.“

Während Opitz noch so sprach, hatte man sich’s um den Tisch her bequem gemacht. Die Klingel wurde gezogen, eine Bestellung folgte der anderen, und ehe zehn Minuten um waren, hörte man aus der Holzlaube her nichts als Lachen und das Zusammenstoßen der Seidel.

Vor der nachbarlichen Veranda aber, wo die Berliner gesessen hatten, war alles still und leer geworden.

Ja, alles war still und leer geworden, und doch wurden Opitz und seine Freunde beobachtet, nicht von Gästen draußen, deren es kaum noch gab, wohl aber von Gästen, die drinnen im Exnerschen Hause saßen und durch die Fenster der Gaststube nach der Holzlaube hinübersahen, kleine Leute von Querseiffen und Wolfshau her, Freunde Lehnerts, Führer und Träger, auch wohl Pascher und Wilderer, die hier wie herkömmlich nach dem Gottesdienst ihren Sonntag feierten. Allen gemeinsam war das Gedienthaben bei den „Görlitzern“ oder den Siebenundvierzigern oder den Königsgrenadieren in Liegnitz, und kaum einer befand sich unter ihnen, der nicht die Kriegsdenkmünze getragen hätte. Von einer richtigen Mahlzeit war nicht die Rede, sie begnügten sich mit einem „Grünen“ oder einer Stonsdorfer und die kleine Stummelpfeife ging nicht aus.

„Opitz läßt heute was drauf gehn,“ sagte der dem Fenster zunächst Sitzende. „Wenn ich recht gezählt hab’, ist er schon beim dritten Seidel und sieht aus wie’n Puter. Ihr sollt sehen, er trinkt sich noch den Schlag an den Hals, und eh’ man den Schaden recht besieht, ist er um die Ecke.“

„Du mußt ihm heute was zu gute halten, Schmidt. Siebenhaar hat ja gepredigt, als ob Krummhübel und Wolfshau so was wie Sodom und Gomorrha wären. Und so was hört Opitz gern. Und was ihn am meisten gefreut haben wird, nu das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_023.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)