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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Leider! Aber ich habe ihm diesen Ausgang vorhergesagt, als ich von Zalikas Rückkehr hörte. Er hätte gleich damals mit seinem Sohn sprechen müssen. Jetzt, fürchte ich, fügt er einen zweiten Mißgriff zu dem ersten und sucht mit Verboten und mit Zwang eine Trennung herbeizuführen. Dieser unselige Starrsinn, der nur ein ‚entweder – oder‘ kennt! Er ist hier gerade am wenigsten am Platze.“

„Ja, mir dauert die Geschichte da drüben auch zu lange,“ sagte Frau von Eschenhagen besorgt. „Ich werde einmal nachsehen, wie weit die beiden eigentlich miteinander sind, ob der Major das übelnimmt oder nicht: Bleibe hier, Herbert, ich komme sogleich zurück.“

Sie verließ das Zimmer, und während Wallmoden unmuthig auf- und niederschritt, saß sein Neffe einsam am Tische mit dem Vesperbrot, um das sich noch immer kein Mensch kümmerte. Sich allein darüber herzumachen wagte er nicht, denn es herrschte ja heute eine förmliche Aufregung in Burgsdorf und die Frau Mama war äußerst ungnädig gestimmt. Zum Glück kehrte sie schon nach Verlauf von einigen Minuten zurück, und diesmal lag auf ihrem Gesicht der hellste Sonnenschein.

„Die Sache ist in Ordnung,“ sagte sie kurz und bündig. „Er hält seinen Jungen in den Armen und der hängt an seinem Halse, und das weitere wird sich nun schon von selbst machen – Gott sei Dank! Und nun kannst Du auch Dein Vesperbrot essen, Willy, die Konfusion, die uns die ganze Hausordnung gestört hat, ist zu Ende.“

Willy ließ sich das nicht zweimal sagen und machte schleunigst von der ertheilten Erlaubniß Gebrauch. Wallmoden schüttelte aber den Kopf und sagte halblaut:

„Wenn sie nur auch wirklich zu Ende ist!“




Falkenried und sein Sohn hatten es nicht bemerkt, daß die Thür leise geöffnet und wieder geschlossen wurde. Hartmut hing noch immer am Halse des Vaters. Er schien auf einmal alle Scheu, alle Zurückhaltung verloren zu haben und er war hinreißend liebenswürdig in seiner neuerwachten stürmischen Zärtlichkeit, von welcher der Major vielleicht nicht mit Unrecht fürchtete, daß sie ihn wehrlos machen könnte. Er sprach nur wenig, aber er drückte wieder und immer wieder seine Lippen auf die Stirn seines Sohnes und blickte unverwandt in das schöne lebensvolle Antlitz, das sich dicht an das seinige schmiegte. Endlich fragte Hartmut leise:

„Und – meine Mutter?“

Ueber Falkenrieds Stirn flog wieder ein Schatten, aber er ließ seinen Sohn nicht aus den Armen.

„Deine Mutter wird Deutschland verlassen, sobald sie sich überzeugt, daß sie Dir auch in Zukunft fernbleiben muß,“ sagte er, diesmal ohne Härte, aber mit vollster Entschiedenheit. „Du magst ihr schreiben, ich werde einen Briefwechsel unter gewissen Einschränkungen gestatten, einen persönlichen Verkehr kann und darf ich nicht zulassen.“

„Vater, bedenke –“

„Ich kann nicht, Hartmut, es ist unmöglich!“

„Hassest Du sie denn so sehr?“ fragte der Jüngling vorwurfsvoll. „Du hast die Trennung gewollt, nicht meine Mutter, ich weiß es von ihr selbst.“

Falkenrieds Lippen zuckten, er wollte ein bitteres Wort aussprechen und seinem Sohne sagen, daß jene Trennung ein Gebot der Ehre gewesen sei; aber da sah er wieder in die dunklen, fragenden Augen, und jenes Wort erstarb. Er konnte die Mutter nicht vor ihrem Kinde anklagen.

„Laß die Frage!“ entgegnete er düster. „Ich kann sie Dir nicht beantworten; vielleicht lernst Du später einmal meine Gründe kennen und würdigen. Jetzt kann ich Dir die herbe Wahl nicht ersparen, Du darfst nur einem von uns gehören, das andere mußt Du meiden – nimm es als ein Verhängniß!“

Hartmut senkte das Haupt, er mochte wohl fühlen, daß sich für jetzt nichts weiter erreichen ließ. Daß die Zusammenkünfte mit der Mutter ein Ende nehmen mußten, wenn er nach Haus, in die strenge Disziplin der Anstalt zurückkehrte, wußte er ja längst; jetzt wurde ihm sogar ein Briefwechsel gestattet, das war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte.

„So will ich es der Mutter sagen,“ versetzte er niedergeschlagen. „Jetzt, wo Du alles weißt, darf ich doch wohl offen zu ihr gehen.“

Der Major stutzte, er hatte an diese Möglichkeit noch gar nicht gedacht.

„Wann wolltest Du sie wiedersehen?“ fragte er.

„Heute, um diese Stunde, am Burgsdorfer Weiher. Sie wird sicher schon dort sein.“

Falkenried schien mit sich zu kämpfen, in seinem Innern erhob sich eine warnende Stimme und mahnte ihn, diesen Abschied nicht zuzulassen, und doch fühlte er, daß es grausam wäre, ihn zu verweigern.

„Wirst Du in zwei Stunden zurück sein?“ fragte er endlich.

„Gewiß, Vater, noch früher, wenn Du es verlangst.“

„So geh’!“ sagte der Major mit einem tiefen Athemzuge; man hörte es, wie schwer ihm die Einwilligung wurde, die sein Gerechtigkeitsgefühl ihm abrang. „Sobald Du zurückkehrst, fahren wir nach Hause, Deine Ferien nehmen ja ohnehin bald ein Ende.“

Hartmut, der schon im Begriff war, zu gehen, hielt plötzlich inne. Die Worte riefen ihm auf einmal wieder in das Gedächtniß, was er in der letzten halben Stunde völlig vergessen hatte, den Zwang und die Strenge des so gehaßten Dienstes, der nun wieder seiner harrte. Er hatte es bisher nicht gewagt, seine Abneigung dagegen offen zu verrathen, aber diese Stunde nahm mit der Scheu vor dem Vater auch das Siegel von seinen Lippen. Einer augenblicklichen Eingebung folgend, kehrte er um und legte von neuem seine Arme um den Hals des Vaters.

„Ich habe eine Bitte,“ flüsterte er, „eine große, große Bitte, die Du mir gewähren mußt, und Du wirst es thun, ich weiß es, als Beweis, daß Du mich wirklich liebst.“

Zwischen den Brauen des Majors erschien eine Falte und er fragte mit leisem Vorwurf.

„Verlangst Du erst noch Beweise dafür? Nun, so laß hören!“

Hartmut schmiegte sich noch fester an ihn, seine Stimme gewann wieder jenen schmeichlerisch süßen Klang, der sein Bitten so unwiderstehlich machte, und die dunklen Augen baten so heiß und flehend mit.

„Laß mich nicht Soldat werden, Vater! Ich liebe den Beruf nicht, für den Du mich bestimmt hast, werde ihn niemals lieben lernen. Wenn ich mich bisher Deinem Willen gebeugt habe, geschah es mit Widerstreben, mit heimlichem Groll, und ich bin grenzenlos unglücklich dabei gewesen; ich wagte nur bisher nicht, Dir das zu gestehen.“

Die Falte auf der Stirn Falkenrieds vertiefte sich und langsam ließ er seinen Sohn aus den Armen.

„Das heißt mit anderen Worten, Du willst nicht gehorchen!“ sagte er herb, „und gerade Dir ist das nothwendiger als jedem anderen.“

„Ich kann aber keinen Zwang ertragen!“ brach Hartmut leidenschaftlich aus, „und der Dienst ist ja nichts anderes als Zwang und Ketten. Immer und ewig gehorchen, nie einen eigenen Willen haben, sich Tag für Tag einer eisernen Disziplin beugen, starren kalten Formen, mit denen man jede eigene Regung niederhält – das ertrage ich nicht länger! Alles in mir drängt nach Freiheit, nach Licht und Leben. Laß mich hinaus, Vater! Halte mich nicht länger fest an der Kette, ich sterbe, ich ersticke darin!“

Er hätte seine Sache nicht schlimmer führen können als mit diesen unvorsichtigen Worten vor einem Manne, der mit Leib und Seele Soldat war. Noch klangen sie in stürmischer, glühender Bitte. noch lag sein Arm um den Hals des Vaters; aber dieser richtete sich jetzt plötzlich auf und stieß ihn zurück.

„Ich dächte, der Waffendienst wäre eine Ehre, keine Kette!“ sagte er schneidend. „Schlimm genug, daß ich meinem Sohne das erst in das Gedächtniß rufen muß. Freiheit, Licht und Leben? Meinst Du vielleicht, man hat mit siebzehn Jahren schon das Recht, sich ohne weiteres in das Leben zu stürzen und all seine Güter an sich zu reißen? Für Dich wäre die ersehnte Freiheit nur die Zügellosigkeit – das Verderben!“

„Und wenn das wäre!“ rief Hartmut völlig außer sich. „Lieber verderben in der Freiheit, als weiter leben in diesem Zwang. Für mich ist er nun einmal eine Kette, eine Sklaverei –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_042.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)