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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

etwas zurückhaltender, er hegte eine gewisse Scheu vor seinem diplomatischen Schwager, dessen Sarkasmen er im geheimen fürchtete, während Toni sich weder durch den Onkel Excellenz nach durch dessen Gemahlin aus ihrer Gelassenheit bringen ließ.

An Herbert von Wallmoden waren die Jahre nicht so spurlos vorübergegangen wie an seiner Schwester. Er hatte recht gealtert, sein Haar war völlig ergraut und der sarkastische Zug um die schmalen Lippen hatte sich vertieft. Sonst aber war er ganz der kühle, vornehme Diplomat geblieben, vielleicht noch um einige Grade kälter und zurückhaltender als früher. Mit der hohen Stellung, die er gegenwärtig einnahm, schien auch die Ueberlegenheit gewachsen zu sein, die er von jeher gegen seine Umgebung gezeigt hatte.

Die junge Frau an seiner Seite wäre allerdings von jedem Fremden für die Tochter des Gesandten gehalten worden. Jedenfalls hatte dieser bei seiner Wahl Geschmack bewiesen. Adelheid von Wallmoden war in der That schön, freilich von jener kühlen, ernsten Schönheit, die auch nur kühle Bewunderung zu erwecken pflegt, aber sie schien der Lebensstellung, die diese Ehe ihr gab, in jeder Hinsicht gewachsen zu sein. Die kaum neunzehnjährige Frau, die erst seit sechs Monaten vermählt war, zeigte eine so vollendete Sicherheit des Benehmens, eine so unbedingte Beherrschung aller Formen, als habe sie bereits ein halbes Menschenalter an der Seite des alternden Gemahls gelebt.

Wallmoden war seiner jungen Gattin gegenüber die Artigkeit und Aufmerksamkeit selbst. Er bot ihr auch jetzt den Arm, um sie nach ihrem Zimmer zu führen, er selbst aber kehrte schon nach Verlauf von einigen Minuten zurück, um seine Schwester aufzusuchen, die ihn auf der Terrasse erwartete.

Das Verhältniß zwischen den beiden Geschwistern war in mancher Hinsicht ein eigenthümliches. Sie waren die schroffsten Gegensätze in der äußeren Erscheinung wie im Charakter und auch gewöhnlich verschiedener Meinung, aber die Blutsverwandtschaft gab ihnen trotzdem das Gefühl engster Zusammengehörigkeit. Das zeigte sich jetzt, wo sie nach langer Trennung wieder beieinander saßen.

Herbert wurde zwar wieder etwas nervös bei diesem Gespräche, denn Regine fand es nicht für gut, ihre derbe Art zu mäßigen, und setzte ihn mehr als einmal in Verlegenheit mit ihren rücksichtslosen Fragen und Bemerkungen, aber er hatte längst gelernt, das als unvermeidlich hinzunehmen, und ergab sich auch jetzt mit einem Seufzer darein.

Man sprach zunächst von der bevorstehenden Verlobung Willibalds und Tonis, die Wallmoden vollständig billigte. Er fand die Partie gleichfalls sehr passend, und man war ja auch in der Familie längst einig darüber. Jetzt aber schlug Frau von Eschenhagen ein anderes Thema an.

„Nun, wie fühlst Du Dich denn eigentlich als Ehemann, Herbert?“ fragte sie. „Du hast Dir allerdings Zeit gelassen, aber besser spät als gar nicht, und im Grunde hast Du mit Deinen grauen Haaren doch noch ein unverschämtes Glück gemacht.“

Dem Gesandten schien diese Anspielung auf seine Jahre nicht gerade angenehm zu sein, er preßte einen Augenblick die schmalen Lippen zusammen und entgegnete dann mit einiger Schärfe:

„Du könntest wirklich in Deinen Ausdrücken etwas taktvoller sein, liebe Regine! Ich kenne mein Alter sehr genau, aber die Lebensstellung, die ich meiner Braut als Morgengabe brachte, dürfte den Unterschied der Jahre doch einigermaßen ausgleichen.“

„Nun, ich dächte, die Mitgift, die sie Dir zubrachte, wäre auch nicht zu verachten!“ meinte Regine, ganz unbekümmert um die Zurechtweisung. „Hast Du Deine Frau schon bei Hofe vorgestellt?“

„Erst vor vierzehn Tagen in der Sommerresidenz. Die Trauer um meinen Schwiegervater legte uns ja bisher noch Zurückgezogenheit auf, im Winter werden wir allerdings ein Haus machen, wie meine Stellung es erfordert. Uebrigens war ich aufs angenehmste überrascht von der Art, wie Adelheid sich bei Hofe einführte. Sie bewegte sich auf dem ihr völlig fremden Boden mit einer Ruhe und Sicherheit, die geradezu bewundernswerth war. Ich habe da wieder von neuem eingesehen, wie glücklich meine Wahl in jeder Hinsicht gewesen ist. – Doch ich wollte Dich ja nach verschiedenen Dingen aus der Heimath fragen. Vor allem, wie geht es Falkenried?“

„Nun, das brauchst Du doch nicht erst von mir zu hören, Ihr schreibt Euch ja regelmäßig!“

„Ja, aber seine Briefe werden immer kürzer und einsilbiger. Ich habe ihm meine Vermählung ausführlich gemeldet, aber nur einen sehr lakonischen Glückwunsch erhalten. Du mußt ihn doch häufig sehen, seit er in das Kriegsministerium berufen ist, die Stadt ist ja nahe genug.“

Ueber Regines eben noch so helle Züge glitt ein Schatten und sie schüttelte leise den Kopf.

„Da bist Du im Irrthum, der Oberst läßt sich kaum mehr in Burgsdorf sehen, er wird immer starrer und unzugänglicher.“

„Das weiß ich leider, aber mit Dir pflegte er sonst immer eine Ausnahme zu machen, und ich hoffte viel von Deinem Einfluß, seit er wieder in Eurer Nähe weilt. Hast Du es denn nicht versucht, die alten Beziehungen wieder herzustellen?“

„Im Anfange wohl, aber ich habe es schließlich aufgegeben, denn ich sah, daß sie ihm lästig waren. Da ist nichts zu machen, Herbert! Seit der unglücklichen Katastrophe, die wir beide miterlebten, ist der Mann wie zu Stein geworden. Du hast ihn ja einige Male wiedergesehen seitdem und weißt, was da alles zu Grunde gegangen ist.“

Wallmodens Stirn hatte sich gleichfalls umwölkt und seine Stimme gewann einen herben Klang, als er erwiderte: „Ja, der Bube, der Hartmut hat ihn auf dem Gewissen! Aber jetzt liegen doch mehr als zehn Jahre dazwischen und ich hoffte, Falkenried würde sich allmählich dem Leben wieder zuwenden.“

„Ich habe es nie gehofft,“ sagte Frau von Eschenhagen ernst. „Der Streich ist an die Wurzel gegangen! Ich werde ihn mein lebelang nicht vergessen, den unglückseligen Abend in Burgsdorf, wo wir warteten und warteten, erst mit Unruhe und Sorge, dann mit Todesangst. Du erriethest gleich die Wahrheit, aber ich wollte sie nicht aufkommen lassen, und nun vollends Falkenried! Ich sehe ihn noch, wie er am Fenster stand und in die Nacht hinausstarrte, bleich wie ein Todter, mit zusammengebissenen Zähnen, und auf jede Befürchtung und Vermuthung nur die eine Antwort hatte: ‚Er kommt! Er muß kommen! Ich habe sein Wort!‘ Und als Hartmut trotz alledem nicht kam, als die Nacht hereinbrach und wir endlich auf unsere Anfrage bei der Bahnstation erfuhren, daß die beiden im Wagen angekommen und dann mit dem Kurierzuge davongejagt seien – Gott im Himmel, wie sah der Mann aus, als er sich so stumm und starr zum Gehen wandte! Ich nahm Dir das Versprechen ab, ihm nicht von der Seite zu gehen, denn ich glaubte, er würde sich eine Kugel vor den Kopf schießen.“

„Da hast Du ihn falsch beurtheilt,“ sagte Wallmoden mit voller Bestimmtheit. „Ein Mann wie Falkenried hält es für Feigheit, Hand an sich zu legen, selbst wenn ihm das Leben zur Folter wird. Er hält aus, auch auf dem verlorenen Posten. Was freilich geschehen wäre, wenn man ihn damals wirklich hätte gehen lassen, das wage ich nicht zu entscheiden.“

„Ich weiß, er forderte seinen Abschied, weil es sich mit seinen Ehrbegriffen nicht vertrug, weiter zu dienen, nachdem sein Sohn zum Deserteur geworden war. Es war ein Verzweiflungsschritt.“

„Ja wohl, und es war ein Glück, daß man eine militärische Kraft wie die seinige nicht entbehren konnte und wollte. Der Chef des Generalstabes nahm sich ja persönlich der Sache an und brachte sie vor den König, und man kam schließlich überein, den ganzen unseligen Vorfall, wenigstens so weit er für den Vater hätte Folgen haben können, als einen unsinnigen Knabenstreich zu behandeln, dem ein hochverdienter Offizier nicht zum Opfer fallen dürfe. Falkenried mußte sein Gesuch zurücknehmen, wurde in die ferne Garnison versetzt und die Sache selbst möglichst todtgeschwiegen. Jetzt, nach zehn Jahren, ist sie ja auch in der That begraben und vergessen von aller Welt.“

„Nur von einem nicht,“ ergänzte Regine. „Mir wendet sich oft das Herz im Leibe um, wenn ich denke, was Falkenried einst war und was er jetzt ist. Die bitteren Erfahrungen seiner Ehe hatten ihn wohl ernst und ungesellig gemacht, aber in guten Stunden brach es doch wieder so warm und herzlich aus seinem Innern hervor, da war er so ganz der Alte, mit der vollen Liebenswürdigkeit seines Wesens. Jetzt ist das alles vorbei, jetzt kennt er nur noch starres eisernes Pflichtgefühl, alles andere ist todt und erstorben. Sogar die alten Freundschaftsbeziehungen sind ihm peinlich geworden – man muß ihn seinen Weg gehen lassen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_072.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)