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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

auch in Zukunft thun. – Haben Durchlaucht sonst noch Befehle für mich?“

„Nein, Du alter Grobian!“ rief der junge Fürst, halb lachend, halb ärgerlich. „Mach’, daß Du fortkommst, wir brauchen keine Moralpredigten.“

Stadinger gehorchte, er grüßte und marschirte ab. Rojanow blickte ihm nach und zuckte spöttisch die Achseln.

„Ich bewundere Deine Langmuth, Egon, Du gestattest Deinem Diener wirklich eine sehr weitgehende Freiheit.“

„Ja, der Stadinger ist eine Ausnahme,“ erklärte Egon. „Der erlaubt sich schließlich alles und übrigens hat er gar nicht so unrecht, wenn er die Zenz fortschickt, ich glaube, ich hätte es an seiner Stelle auch gethan.“

„Es ist aber nicht das erste Mal, daß dieser alte Schloßverwalter sich herausnimmt, Dich und mich förmlich zurechtzuweisen. Wenn ich sein Herr wäre – er hätte in der nächsten Stunde seine Entlassung.“

„Das sollte ich einmal probiren, das würde mir übel bekommen!“ lachte der junge Fürst. „Solch ein altes Familienerbstück, das schon der dritten Generation dient und einen als Kind auf den Armen getragen hat, will mit Hochachtung behandelt sein. Mit Befehlen und Verbieten richte ich da gar nichts aus, Peter Stadinger thut doch, was er will, und liest mir auch gelegentlich den Text, wenn es ihm gerade einfällt.“

„Wenn Du es Dir gefallen läßt – mir ist so etwas unbegreiflich.“

„Das kannst Du auch nicht begreifen, Hartmut,“ sagte Egon ernster. „Du kennst nur die sklavische Unterwürfigkeit der Diener in Deiner Heimath und im Orient. Das kniet und beugt sich bei jeder Gelegenheit und bestiehlt und betrügt seinen Herrn, wo es nur weiß und kann. Stadinger ist von einer beneidenswerthen Grobheit, meine Durchlauchtigkeit schüchtert ihn nicht im mindesten ein, er sagt mir oft die ärgsten Dinge ins Gesicht, aber ich könnte Hunderttausende in seine Hände legen, es würde kein Pfennig davon veruntreut, und wenn Rodeck in Flammen stände und ich wäre drinnen, der Alte, mit seinen siebzig Jahren, ginge ohne sich zu besinnen mitten in das Feuer hinein – bei uns in Deutschland ist das eben anders.“

„Ja, bei Euch in Deutschland!“ wiederholte Hartmut langsam, und dabei verlor sich sein Blick träumerisch in das Waldesdunkel.

„Bist Du noch immer so dagegen eingenommen?“ fragte Egon. „Es hat mich Ueberredung und Bitten genug gekostet, Dich zu bewegen, daß Du mir folgtest, Du wolltest ja durchaus den deutschen Boden nicht wieder betreten.“

„Ich wollte auch, ich hätte es nicht gethan!“ sagte Rojanow finster. „Du weißt –“

„Daß hier allerlei bittere Erinnerungen für Dich wurzeln – ja, das hast Du mir gesagt, aber Du mußt doch damals noch ein Knabe gewesen sein, hast Du den alten Groll noch nicht überwunden? Du bist überhaupt in diesem Punkte von einer hartnäckigen Verschlossenheit, ich habe noch bis heute nicht erfahren, was es eigentlich gewesen ist, das Dich –“

„Egon, ich bitte Dich, laß das!“ fiel ihm Hartmut schroff ins Wort. „Ich habe Dir ein für allemal erklärt, daß ich Dir darüber nicht Rede stehen kann und will. Wenn Du mir mißtraust, so laß mich gehen, ich habe mich Dir nicht aufgedrängt, das weißt Du, aber dies Fragen und Forschen ertrage ich nun einmal nicht.“

Der stolze, rücksichtslose Ton, den er dem fürstlichen Freunde gegenüber anschlug, schien diesem nichts Neues zu sein, er zuckte nur die Achseln und sagte beschwichtigend:

„Wie gereizt Du wieder bist! Ich glaube, Du hast recht, wenn Du behauptest, die deutsche Luft mache Dich nervös, Du bist wie verwandelt, seit Du den Fuß auf diesen Boden gesetzt hast.“

„Möglich! Ich fühle es ja selbst, daß ich Dich und mich quäle mit diesen Stimmungen, darum laß mich fort, Egon!“

„Ich werde mich hüten! Habe ich Dich darum mit so vieler Mühe eingefangen, um Dich nun wieder fliegen zu lassen? Daraus wird nichts, Hartmut, ich lasse Dich um keinen Preis los.“

Die Worte klangen scherzhaft, aber Rojanow schien sie übel zu nehmen, seine Augen blitzten fast drohend auf, als er erwiderte:

„Und wenn ich nun fort will?“

„Dann halte ich Dich so fest“ – Egon legte mit einem unendlich liebenswürdigen Ausdruck den Arm um die Schulter des Freundes – „und frage, ob dieser schlimme, starrsinnige Hartmut es verantworten kann, mich allein zu lassen. Fast zwei Jahre lang haben wir zusammen gelebt und Gefahr und Genuß getheilt wie zwei Brüder, und jetzt willst Du wieder in die Welt hinausstürmen, ohne nach mir zu fragen? Gelte ich Dir so wenig?“

Es lag eine so warme, herzliche Bitte in den Worten, daß Rojanows Gereiztheit davor nicht standhielt. Seine Augen leuchteten auf mit einem Ausdruck, der verrieth, daß er die leidenschaftlich schwärmerische Neigung, die der junge Fürst ihm entgegen trug, ebenso leidenschaftlich erwiderte, wenn er auch in ihrem beiderseitigen Verhältnisse unbedingt der Herrschende war.

„Glaubst Du, daß ich einem anderen zuliebe nach Deutschland gegangen wäre?“ fragte er leise. „Vergieb, Egon! Ich bin nun einmal eine unstete Natur, ich habe es nirgends lange ausgehalten an einem Orte, seit – seit meinen Knabenjahren.“

„So lerne es hier in meiner Heimath!“ fiel Egon ein. „Ich bin eigens nach Rodeck gegangen, um sie Dir in ihrer ganzen Schönheit zu zeigen. Dieses alte Gemäuer, das sich so mitten im tiefen Forst eingenistet hat wie ein Märchenschloß, ist ein Stück Waldpoesie, wie Du sie bei keinem meiner anderen Schlösser findest, ich kenne Deinen Geschmack. – Aber jetzt muß ich wirklich fort! Du fährst also nicht mit nach Fürstenstein?“

„Nein, ich will Deine vielgepriesene Waldpoesie genießen, die Dir bereits langweilig zu sein scheint, da Du Besuche machen willst.“

„Ja, ich bin kein Poet wie Du, der den ganzen Tag schwärmen und träumen kann,“ sagte Egon lachend. „Wir haben ja eine volle Woche lang ein wahres Einsiedlerdasein geführt, aber nur von Sonnenschein und Waldesduft und den Moralpredigten Stadingers allein kann ich nicht leben. Ich brauche Menschen, und der Oberforstmeister ist so ziemlich der einzige Umgang, den wir in der Nähe haben. Uebrigens ist dieser Herr von Schönau ein prächtiger, jovialer Mann, Du wirst ihn auch noch kennen lernen.“

Er rief durch einen Wink den harrenden Wagen herbei, reichte seinem Freunde die Hand und stieg ein. Rojanow blickte ihm nach, bis das Gefährt hinter den Bäumen verschwunden war, dann wandte er sich um und schlug einen der Wege ein, die in den Forst führten.

Er trug die Flinte über der Schulter, dachte aber augenscheinlich nicht an Jagen und Schießen, sondern schritt, wie in Gedanken verloren, immer weiter und weiter, planlos, ohne auf den Weg und die Richtung zu achten, bis ihn ringsum die tiefste Einsamkeit umgab.

Fürst Adelsberg hatte recht, er kannte den Geschmack seines Freundes. Diese Waldpoesie mit ihrem ganzen Zauber nahm ihn gefangen. Er war endlich stehen geblieben und athmete tief, tief auf, aber die Wolke auf seiner Stirn wollte nicht weichen, sie wurde nur düsterer, als er so an dem Stamme eines Baumes lehnte und die Augen umherschweifen ließ. Es lag etwas Friedloses und Freudloses in diesen schönen Zügen, das all die sonnige Schönheit ringsum nicht auszulöschen vermochte.

Er sah diese Gegend ja zum ersten Male; seine einstige Heimath lag weit entfernt, im Norden Deutschlands, hier erinnerte ihn nichts unmittelbar an die Vergangenheit und doch wachte gerade hier etwas auf, das längst erstorben zu sein schien, das sich nicht geregt hatte in all den Jahren, da er Länder und Meere durchmaß, da ihn die Wogen des Lebens umbrandeten und er in vollen, durstigen Zügen die Freiheit trank, der er so viel, der er alles geopfert hatte.

Die alten deutschen Wälder! Sie rauschten hier im Süden, wie dort im Norden, durch die Tannen und Eichen wehte derselbe Hauch, der dort in den Wipfeln der Föhren flüsterte, dieselbe Stimme, die einst dem Knaben so vertraut gewesen war, wenn er auf dem moosigen Waldboden lag. Er hatte so viele andere Stimmen seitdem gehört, lockend und schmeichelnd, berauschend und begeisternd, hier klang es so ernst und doch so süß aus dem Waldesrauschen – die Heimath sprach darin zu dem verlorenen Sohne!

Da regte sich etwas drüben im Gebüsche. Hartmut blickte gleichgültig auf, in der Meinung, daß irgend ein Wild dort vorüberstreife, aber statt dessen sah er deutlich ein helles Gewand durch die Zweige schimmern; auf einem schmalen Seitenpfad, der sich in Windungen durch den Forst zog, trat ihm eine Dame entgegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_075.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)