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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

durch die zwei Mitspieler und zuletzt sogar durch die hinzugekommene Kretschamwirthin unterstützt wurde, gab er seinen Widerstand auf und sagte: „Gut denn, es kann am Ende so was sein, will’s nicht geradezu bestreiten. Ein Förster hat immer viel Feindschaft und Opitz nicht zum wenigsten. Und so wollen wir denn mit dem frühsten nach der Hampelbaude hinauf. Vorher aber ist nichts zu machen, trotzdem wir das bißchen Mondschein haben. Ich denk’ also, wir sind morgen in aller Frühe hier wieder beisammen, sagen wir um fünf, und nehmen dann mit uns, was wir von Mannschaften zu so früher Stunde, zur Hand haben können. Vor allem aber halten wir reinen Mund, daß die Fremden keinen Schreck kriegen und nicht etwa denken, unser altes Krummhübel sei über Nacht eine Mördergrube geworden.“

Alle waren einverstanden, und Frau Opitz, der die gutmüthige Kretschamwirthin eine von ihren Mägden als Begleitung mit nach Hause gab, stellte ihr Weinen und Schluchzen schließlich ein und beruhigte sich in dem Gefühl, daß, was es auch sein möge, der nächste Tag ihr jedenfalls Gewißheit bringen müsse. –

Auf dem Kapellchen läutete es zum ersten Mal, als man am anderen Morgen zwischen fünf und sechs vom Gerichtskretscham in einem starken Trupp aufbrach, denn es hatten sich ihrer erheblich mehr eingefunden, als anfänglich erwartet worden war. Außer den drei Herren vom Abend vorher, unter denen jetzt Gerichtsmann Klose den Skatspieler völlig abgestreift hatte, waren auch der Lehrer und ein junger Forstaspirant erschienen, findige Leute, die zu sehen und zu beobachten verstanden. Ebenso hatte sich ein Grenzaufseher, mit dem Gewehr am Bandelier, ihnen angeschlossen. Was sonst noch folgte, waren Führer und Dienstleute, mit allem ausgerüstet, was zu solcher Suche herkömmlich gehörte: Stricke, Leitern, Spaten und Aexte. Eine frische Brise kam von der Koppe her und erleichterte wenigstens einigermaßen das Steigen, das bei der trotz früher Stunde schon stechenden Sonne ziemlich beschwerlich fiel. Von Kirche Wang ab hatte man Waldesschatten, und als es unten im Thale sieben schlug, war man oben auf der Hampelbaude, wo zunächst Rast gemacht und nach Befund dessen, was man dort erfahren würde, der weitere Vormarsch verabredet werden sollte. Der Wirth wurde gerufen und bestätigte, daß Opitz, von den Holzschlägern kommend, am Sonnabend um die achte Stunde dagewesen sei und nach kurzem Aufenthalt seinen Weg nach der Riesenbaude zu genommen habe, vielleicht an den Teichen vorüber und dann über den Kamm hin, aber vielleicht auch den neuen schmalen Querweg entlang, der beim Quell und dem Steintrog in den großen Gehängeweg einmünde. Noch ein paar andere Fragen wurden gestellt, vor allem auch, wer sonst noch oben genächtigt habe, worauf der Wirth berichtete, daß nur Berliner oben gewesen seien und Lehnert Menz aus Wolfshau.

Dieser Name, wenn auch nur kurz hingeworfen, bewirkte doch, daß sich die Gerichtsmänner unter einander ansahen; aber kein Wort wurde laut, und nachdem man einen Imbiß genommen hatte, brach man wieder auf, um auf dem vom Wirthe bezeichneten schmalen Querpfade – denn daß Opitz auf die Teiche zugegangen sei, war nicht wahrscheinlich – den Weg nach dem Gehänge hin einzuschlagen. In einer Art Treiben ging man dabei vor, derart, daß der alte Gerichtsmann und drei, vier von den Gebirgsführern den eigentlichen Weg einhielten, während, was sonst noch verblieb, zu beiden Seiten des Weges ausschwärmte. Die Geduld einzelner – die hier oben, wo nur Kusseln standen, wieder arg von der Stichsonne zu leiden begannen – erschöpfte sich bereits, und schon hörte man, daß es eine nutzlose Quälerei sei, als Lehrer Lösche, der die rechte Seitenkolonne führte, plötzlich ein Volk Krähen auffliegen sah. Krähen! Das wäre an und für sich nichts Sonderbares gewesen, aber es waren ihrer zuviel, und so sagte denn Lösche: „Paßt Achtung, Kinder! Ich wette, da giebt es was.“ Und von einer starken Vorahnung erfüllt, daß sich ihm, auf zehn Schritt Entfernung, etwas Grausiges vor Augen stellen würde, schritt er jetzt langsam und zögernd weiter und suchte nach vorn hin mit seinen Blicken. Richtig, da lag jemand. Aber wer? War er es? Was man zunächst sah, war nur die Mütze, die das Gesicht halb zudeckte, daneben ein blinkender Gewehrlauf, alles andere barg sich noch hinter einem Busch, dessen blätterreiches Gezweigs den Todten wie hinter einem Schirm versteckte. Lösche wußte: noch drei Schritt, so mußte sich’s zeigen. Und sich einen Ruck gebend, trat er von links her um das Gezweige herum und sah nun den Todten ausgestreckt vor sich. Es war Opitz. Aber das Grauen, auf das sich Lösche gefaßt gemacht hatte, blieb aus und er empfing nur den Eindruck eines erschütternden Todesernstes. Wenn dieser Mann sich jahrelang durch mitleidslose Strenge vergangen hatte, so hatte sein Tod seine Strenge gesühnt und mehr noch die Art, wie er diesem Tod ins Auge gesehen und sich auf ihn vorbereitet hatte. Lösches Auge ging der Blutspur nach, die sich oben von dem Busch her, wo der Tobte jetzt lag, bis zu dem schmalen Querpfade hinabzog. Es war ersichtlich, daß sich der auf den Tod Getroffene nur mit höchster Anstrengung von dem kaum zehn Schritt entfernten Wege bis zu der ansteigenden Stelle hinaufgeschoben und hier, um gegen die Sonne oder vielleicht auch nachts gegen die Kälte geschützt zu sein, sich unter die Zweige des Busches gebettet hatte. Dann, als er sein herannahendes Ende gefühlt, hatte er sich zum Sterben zurecht gelegt, und so lag er nun da, die Jagdtasche unterm Kopf, das Gewehr links neben sich, die Hände gefaltet und im Antlitz die Ruhe des Todes, aber freilich auch die Spuren vorangegangenen Kampfes.

Inzwischen waren auch die anderen herangekommen, und da standen sie nun erschüttert und stumm. Zuletzt nahm Gerichtsmann Klose seine Kappe vom Kopf und sagte: „Beten wir!“ So verging eine Weile. Dann, als sich die Köpfe wieder bedeckt hatten, wurden auch einzelne Worte laut, und der Alte stellte nun zur Frage, wie man den Tobten am besten nach Wolfshau hinabschaffe. Einen Handwagen oder auch nur eine Karre von der Hampelbaude herbeizuholen, wurde, wegen zu weiter Entfernung, abgelehnt und statt besten beschlossen, zwei zusammengebundene Leitern als Tragbahre zu benutzen. Das geschah denn auch, und nun legte man den Todten hinauf und bedeckte sein Gesicht mit Zweigen desselben Busches, unter dem man ihn gefunden hatte. Gleich danach setzte sich der Zug in Bewegung und schritt auf den Punkt zu, wo der Querpfad in den breiten Gehängeweg einmündete. Hier endlich fand er Waldesschatten, und als man aus dem Quell getrunken und sich auf der Bank an der anderen Seite des Weges eine kleine Weile ausgeruht hatte, nahm man die Leiterbahre wieder auf und schritt das steile Gehänge weiter hinab. Die mit jeder Viertelstunde wachsende Gluth erschwerte den Abstieg, aber mit Hilfe häufigen Trägerwechsels war es doch möglich, in einem ziemlich raschen Marschtempo zu bleiben, und ehe es noch auf dem Kapellchen Mittag läutete, passierte man das Gatter und trat auf das mit Kusseln besetzte Waldvorland hinaus, darauf Lehnert zwei Tage zuvor den Schulkindern begegnet war und in ihren Gesang mit eingestimmt hatte. Die Straße lief von hier aus beinah’ geradlinig auf die Försterei zu; da man aber der armen Frau den Todten nicht unmittelbar vor Gesicht führen, sie vielmehr erst vorbereiten wollte, so bog man links in einen in mäßiger Schrägung wieder ansteigenden Querweg ein, der sich schließlich bis auf die hochgelegene Krummhübler Chaussee hinaufschlängelte. Die Stelle, wo der Querweg die Chaussee traf, hieß „der goldene Frieden“ und war ein hochgelegener Punkt, von dem aus man nicht nur das langgestreckte Dorf Krummhübel überblicken, sondern auch auf einem mäßig hohen Vorsprung den alten Gerichtskretscham deutlich erkennen konnte, zu dessen Häupten eben die Mittagssonne flimmerte. Das war das Ziel. Dort sollte der Todte zunächst niedergelegt und über alles weitere befunden werden.

Eine Viertelstunde später hatte man den Kretscham erreicht, aber nicht mehr allein. Alles, was in dem Oberdorfe wohnte, hatte sich angeschlossen und stand nun draußen und wartete der Dinge, die kommen würden. Am zahlreichsten waren natürlich die Wolfshauer erschienen, unter ihnen auch Lehnert. Er begrüßte diesen und jenen, und wiewohl ihn Blicke trafen, aus denen er einen Verdacht herauslesen konnte, so war doch niemand da, der ihm Wort oder Handschlag versagt hätte. Manche traten freilich bei Seit’, aber mehr um untereinander ihre Zustimmung zu dem Geschehenen, als ihren Abscheu davor auszusprechen.

„Er hat einen schweren Tod gehabt.“

„Und wir vorher ein schweres Leben.“

Gleich daneben stand eine zweite Gruppe, die noch leiser sprach.

„Wer’s ihm nur gegeben hat?“

Wer? Das is gleich. Ob sie’s ihm beweisen können, das is die Frage.“

{{center|(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_094.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)