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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Eine unnachahmlich stolze und verächtliche Bewegung ihres Hauptes zeigte ihm, daß er gar nicht die Macht besaß, sie zu verletzen, sie zuckte kaum merklich die Achseln.

„Ich will Ihre Meinung durchaus nicht beeinflussen, aber jedenfalls sind unsere Standpunkte in dieser Sache so verschieden, daß wir wohl besser thun, das Gespräch abzubrechen.“

Rojanow bezeigte gleichfalls keine Lust, es fortzusetzen. Jetzt wußte er freilich, daß diese kalten blauen Augen aufflammen konnten, er hatte es ja gewollt und erzwungen, aber die Sache endete doch anders, als er gedacht hatte. Er streifte mit einem halb feindseligen Blick die schlanke Gestalt an seiner Seite, und dann verloren seine Augen sich wieder grollend in die eben noch so bitter geschmähten grünen Tiefen des Waldes.

Sie hatte doch etwas seltsam Bestrickendes, diese Waldeinsamkeit, die der erste leise Hauch des Herbstes durchwehte, jener Hauch, der noch kein Entblättern und Verwelken bringt, sondern die Landschaft nur in seine tieferen Farben taucht. Nur hier und da schimmerte es goldig und röthlich aus den Gebüschen hervor, aber die Waldgründe ruhten noch frisch und duftig im grünen Dämmerlicht. Unter den Wipfeln der hundertjährigen Bäume, die sich leise schwankend zu einander neigten, lagerten tiefe, kühle Schatten, dann wieder that sich eine Waldwiese auf, ganz überfluthet von dem Sonnengolde, das leuchtend und schimmernd auf all den Blumenkelchen lag, die sich hier noch dem Lichte öffneten, und bisweilen blinkte in der Ferne der Spiegel eines stillen, kleinen Gewässers auf, das einsam, wie verloren mitten im tiefen Forste lag. Dazu tiefe Stille ringsum, nur das leise, leise Rauschen der mächtigen Wipfel und das Summen und Singen der tausend Insekten, die auf den Sonnenstrahlen zu schweben schienen, all jene geheimnißvollen Stimmen, die sich nur in der Einsamkeit regen, das süße, träumerische Lied des Waldes. Er lockte und winkte unwiderstehlich mit dieser Melodie, mit seinen grünen Tiefen, die sich endlos ausdehnten, immer weiter und weiter, als wollten sie die beiden, die einmal in ihren Bann gerathen waren, darin festhalten für immer.

Da tauchte plötzlich ein ganz unerwartetes Hinderniß vor ihnen auf. Von einer dicht bewachsenen Anhöhe rauschte und schäumte es hernieder, ein breiter Waldbach suchte sich mit lustigem Ungestüm seinen Weg zwischen Gebüschen und Felsgestein. Rojanow hemmte seinen Schritt und musterte mit einem raschen Blick die Umgebung, wo nirgends ein Steg oder ein Uebergang zu entdecken war, dann wandte er sich zu seiner Gefährtin.

„Ich fürchte, wir kommen hier in eine unangenehme Lage, der Bach verlegt uns vollständig den Weg. Er ist sonst mit einiger Vorsicht leicht zu überschreiten, die moosigen Steine da auf dem Grunde bilden eine ziemlich bequeme Brücke, aber der gestrige Regen hat sie vollständig überfluthet.“

Die junge Dame war gleichfalls stehen geblieben und schien nach irgend einem Uebergange zu suchen.

„Sollte es nicht dort unten möglich sein?“ fragte sie, den Bach abwärts deutend.

„Nein, dort ist das Wasser noch tiefer und reißender, wir müssen hier an dieser Stelle hindurch. Selbstverstandlich nicht Sie, mein Fräulein, Sie erlauben mir wohl, daß ich Sie hinübertrage.“

Das Anerbieten wurde mit voller Artigkeit und Zurückhaltung gestellt, aber die Augen Rojanows blitzten triumphirend auf dabei. Jetzt rächte ihn der Zufall an dieser Unnahbaren, die nicht einmal seine Hilfe dulden wollte, um ihren Schleier aus der Dornhecke zu befreien. Jetzt mußte sie sich dieser Hilfe bedingungslos anvertrauen, auf seinen Armen mußte sie sich hinübertragen lassen an das andere Ufer, es blieb ihr keine Wahl. Er trat auf sie zu, als sei die erbetene Erlaubniß selbstverständlich, aber sie wich zurück.

„Ich danke, Herr Rojanow.“

Hartmut lächelte mit einer Ironie, die er sich gar nicht Mühe gab zu verbergen. Jetzt war er Herr der Lage und dachte es zu bleiben.

„Befehlen Sie, daß wir umkehren?“ fragte er. „Es ist ein Umweg von mehr als einer Stunde und hier sind wir in wenigen Minuten drüben. Sie dürfen sich unbesorgt meinen Armen anvertrauen, der Uebergang ist ganz ungefährlich.“

„Das glaube ich auch,“ war die ruhige Antwort, „und deshalb werde ich ihn allein versuchen.“

„Allein? Das ist unmöglich, mein Fräulein!“

„Durch einen Waldbach zu schreiten? Ich halte das für keine besondere Heldenthat.“

„Aber das Wasser ist tiefer als Sie glauben, Sie werden vollständig durchnäßt und überdies es ist wirklich unmöglich.“

„Ich bin nicht verweichlicht und erkälte mich nicht so leicht. Bitte, gehen Sie voran, ich werde folgen.“

Das war deutlich genug und klang so befehlend, daß ein Widerspruch nicht möglich war. Hartmut verneigte sich schweigend und schritt durch das Wasser, das seinen hohen Jagdstiefeln allerdings nicht viel anhaben konnte. Es war in der That ziemlich tief und ziemlich reißend, so daß er Mühe hatte, auf den Steinen festen Fuß zu fassen. Um seine Lippen spielte ein leiser Hohn, als er jetzt drüben stand und seine „Schutzbefohlene“ erwartete, die so hochmüthig jeden Schutz abwies. Mochte sie nun allein den Uebergang wagen, das wilde Wasser würde ihr schon Angst machen, sie konnte sich nicht dagegen behaupten und mußte ihn schließlich doch zu Hilfe rufen, trotz all ihres Sträubens.

Sie war ihm ohne Zögern gefolgt und stand bereits im Wasser, gegen welches die ebenso zierlichen als dünnen Stiefelchen nicht den geringsten Schutz gewährten und das überdies empfindlich kalt war. Die junge Dame schien das aber kaum zu empfinden, mit beiden Händen ihr Kleid aufraffend, schritt sie vorsichtig und langsam, aber vollkommen sicher vorwärts bis zur Mitte des Baches.

Hier aber, inmitten der schäumenden, reißenden Fluth gehörte der feste Tritt eines Mannes dazu, um stand zu halten, der schmale, zarte Frauenfuß suchte vergebens nach einem Stützpunkte auf den glatten Steinen. Die hohen Absätze der Stiefel waren dabei ebenso hinderlich wie das Kleid, dessen Saum von den Wellen erfaßt wurde. Die muthige Spaziergängerin verlor augenscheinlich die bisherige Sicherheit, sie strauchelte einige Male, schwankte und blieb endlich stehen; dabei flog ein rathloser Blick nach dem Ufer hinüber, wo Rojanow stand, entschlossen, nicht eher die Hand zu rühren, als bis sie geängstigt um Hilfe rufen werde.

Sie mochte diese Absicht in seinen Augen lesen, und das schien ihr auf einmal die versagende Kraft zurückzugeben. Einen Augenblick lang stand sie unbeweglich,, aber jener energische Ausdruck in ihren Zügen trat dabei in voller Schärfe hervor: dann glitt sie plötzlich von den überflutheten Steinen, die trotzdem noch eine Art Uebergang bildeten, in das fußtiefe Wasser, wo sie nun allerdings auf dem Grunde des Baches sofort festen Boden gewann und unbeirrt dem Ufer zuschreiten konnte. Hier ergriff sie statt der dargebotenen Hand Hartmuts einen Baumast und schwang sich auf das Trockene.

Sie selbst war freilich stark durchnäßt, das Wasser rieselte von ihrem Kleide, das sie ebenso rücksichtslos preisgegeben hatte wie die Fußbekleidung, aber sie wandte sich mit voller Gelassenheit an ihren Begleiter:

„Wollen wir unseren Weg nicht fortsetzen? Es kann nicht mehr weit bis Fürstenstein sein.“

Hartmut erwiderte keine Silbe, aber es wallte etwas wie Haß in ihm auf gegen diese Frau, die lieber in die kalte Fluth glitt, ehe sie sich seinen Armen anvertraute. Der stolze, verwöhnte Mann, dessen blendende Eigenschaften ihm alle Herzen gewannen, fühlte um so schärfer die Demüthigung, die ihm hier aufgezwungen wurde; er war nahe dran, diese ganze Begegnung zu verwünschen.

Sie gingen weiter; Rojanow warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf den nassen, schweren Saum des Gewandes, das neben ihm den Boden streifte und dort eine feuchte Spur zurückließ; im übrigen aber wandte er seine ganze Aufmerksamkeit der Umgebung zu, die allerdings jetzt etwas lichter zu werden schien. Dieses Waldesdickicht mußte doch endlich einmal ein Ende nehmen!

Seine Voraussetzung erfüllte sich in der That: er hatte Glück gehabt mit seiner Führerschaft, die eigentlich nur aufs Gerathewohl eingeschlagene Richtung war die rechte gewesen. Nach ungefähr zehn Minuten standen sie auf einer kleinen Anhöhe, die einen freien Ueberblick gewährte. Dort drüben, über einem Meer von Baumwipfeln, tauchten die Thürme von Fürstenstein auf, während sich ein ziemlich breiter Fahrweg, den man deutlich mit den Augen verfolgen konnte, bis an den Fuß des Schloßberges schlängelte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_103.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)