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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

hinaus zu sehen wäre und die Welt also den Anblick der schönen Augen verlöre.

Ich weiß nicht, ob Ihr dort in jenen Gegenden auch die merkwürdige Erscheinung habt, daß die Welt verkehrt geht: wir stehen hier um acht Uhr des morgens auf, weil es früher noch ganz dunkel ist, und gehen im Schummerabend zu Bett. Da ich nun weiß, daß Deine Uhr ganz richtig geht, weil Du sie ja erst kürzlich gestellt hast, bin ich auf die Vermuthung gekommen, daß die Sonne nicht mehr richtig geht, wenigstens hier nicht, im Demminer Kreis. Ich schlage Dir vor, Deine Uhr an die Berliner Sternwarte zu verkaufen, ich weiß, man sucht dort eine, die der Sonne das Widerpart halten kann, weil man vermuthet, die Sonne sei zu den Demokraten übergegangen. Du kannst ein schön Stück Geld dafür lösen, was sehr gut wäre, da das Deine unter meiner Verwaltung verteufelt schnell Abschied nimmt; aber wir leben auch danach! Dein Wein ist hier in Thalberg noch nicht angekommen[1], er konnte es auch füglich nicht gut, da wir (eine kleine Gesellschaft von 16 Personen, die ich zu Golreider[2] geladen hatte) ihn schon in Treptow ausgetrunken haben.

Das neue Eisen ist hier und das alte ist auch hier und der Töpfer[3] ist nicht hier; der Kerl heißt Erdmann und ich glaube, es ist nicht viel Verlaß auf ihn, weil auf alle irdischen Dinge kein Verlaß ist und ein Töpfer mit Namen Erdmann doch ein sehr irdisches Ding ist.

Nachdem ich Frühstück gegessen habe, fahre ich fort. Dein Sohn M.[4] schreit ganz hübsch, er bildet seine Kehle wirklich bewundernswerth aus und ich habe stets das Glück, Zeuge seiner Kehlübungen zu sein, denn sowie er brüllt, hat sich Mine[5] es zur Pflicht gemacht, ihn mir zu präsentiren; überhaupt bin ich mehr Zeuge der Schmerzen Deiner Kinder als ihrer Freuden, was gewiß für mich ein günstiges Zeugniß ist, weil darin die Ueberzeugung meines Mitgefühls enthalten ist. Ich freue mich auch sehr darüber; es ist sehr erquicklich, so unter Schreien und Thränen umherzuwandeln, es stimmt das Herz zu absonderlicher Milde. –

Vorgestern war Leisten wirklich bei mir zum Kaffee, blieb auch zum Abendbrod, wo wir uns einen Braten von dem besagten Hammel zeugten[6] und, um den Proceß im Gange zu erhalten, eine kleine Bowle Ananaskardinal von Selleriewurzeln machten; was wir wohl heute Abend und wahrscheinlich später noch einmal wiederholen möchten, da er jetzt erst dabei ist, mir zu erzählen, was Schrader zu ihm gesagt hat, und gewiß das, was er zu Schrader gesagt hat, doppelt so viel Zeit erfordert. Uebrigens war seine Darstellung sehr klar und einleuchtend, vorzüglich was die mecklenburgische Justiz-Kanzelley betraf, über deren Geschäftsgang er mir viele neue Aufschlüsse gemacht hat.

So, lieber Fritz, nun weiß ich nichts mehr, als daß alles beim Alten ist und heute der letzte Weizen gesäet wird. Alles ist wohl auf und die rothen Röcke der beiden Mädchen[7] sind eben aus dem rothen Rock Deiner Gemahlin fertig und geboren worden. Papenthin und Höpper lassen Dir ihre besten Grüße und Tessin und dessen junge Braut ihre beste Empfehlung[8] vermelden und daß sie noch recht gesund sind.

Sollte dieser Brief etwas zu sentimental für Deinen Geschmack sein, so schiebe es gütigst auf den unglücklichen Umstand, daß ich in Liebe zu einer der Schneidermamsells gerathen bin, die unsere Einsamkeit durch ihre Gegenwart verschönen. Liebliches Geschöpf! wenn mein Fritz Dich erst sieht! Alles, selbst kleine Unregelmäßigkeiten, dienen dazu, ihre Schönheit in ein helleres Licht zu setzen; gestern hatte sie das Unglück, einen Hammel[9] an ihrem Kleide zu haben, er kam mir vor, wie ein Goldrahmen, in den ein schönes Bild gefaßt ist. Oh, Oh, Oh!!!

Sollte Dein Bruder Ernst nicht in Moifall zu Hause sein, so grüße ihn nicht von mir, sondern seine liebe Frau und sage ihr gefälligst, daß ich mich sehnte, sie wiederzusehen, und sage ihr soviel Süßes, als sie irgend mag und Dein altes vertrocknetes ledernes Herz herauszugeben vermag.

Madame Peters, ich empfehle mich Ihnen in Gehorsam und Unterwürfigkeit! Herr Peters, kommen Sie bald und theilen Sie das Glück.

Ihres ergebensten

F. Reuter.

Am Mittwochen schicke ich den Wagen.“


Die nun folgenden Briefe sind während eines Aufenthaltes in der Wasserheilanstalt Stuer geschrieben, die Reuter von Thalberg aus besuchte. Auch diese Kur in der Wasserheilanstalt hat Spuren in seinen Dichtungen hinterlassen. Wir würden schwerlich die humorvollen Berichte Bräsigs in der „Stromtid“ finden, wenn Reuter nicht aus eigener Erfahrung hätte schöpfen können.

Er war dorthin gegangen, um Heilung von einem quälenden Leiden zu finden, das ihn um so mehr drückte, als es seine Verheirathung mit Luise, die ihm gerade in diesem Jahre ihr Jawort gegeben hatte, ins Unbestimmte hinauszuschieben drohte; er war zugleich besorgt um die Gesundheit seiner geliebten Braut, welche in jener Zeit, glücklicherweise irrthümlich, für brustleidend gehalten wurde, und trübe genug mag es oft in seinem Herzen ausgesehen haben. Dennoch begegnen wir in seinen Briefen dem sprudelndsten, oft auch derbsten Humor, der ihm dann wieder selber unbegreiflich erscheint, aus dem er sich selber einen Vorwurf macht.

„Stuer, den 10. Nov. 1847.

Mein lieber Fritz!

Ich habe Dir versprochen zu schreiben und bin jetzt bereit, sothanes Versprechen zu halten; seit dem 5. d. M. erst hier, wirst Du einsehen, wie bereitwillig dies geschieht. Ueber die beiden Fälle, über Großmamas Unwohlsein und dem Asthma des p. Krüger muß ich jedoch noch schweigen, weil mein Aufenthalt hier zu kurz ist, um ein gediegenes Urtheil fällen zu können und ich ungern den Vorwurf auf mich laden wollte, zu einer Sache gerathen zu haben, die sich nachher nicht bewährte. Nur soviel für dies Mal …[10]

Du fragst mich nun wohl, wie es mir hier geht und wie es hier aussieht? Nun, die Gesellschaft ist sehr angenehm . . . Das Essen ist gut und reichlich, nur wird Abends und Morgens nur kalte Milch gegessen oder getrunken. (Es herrscht ein heiterer und gemüthlicher Ton, der nur dadurch auffällt, daß man sich hier zu allerlei krankhaften Erscheinungen Glück wünscht, daß man folgende Fragen aneinander richtet: Wie viel Geschwüre haben Sie jezt? Was macht Ihr Schorf? Was macht der Ausschlag an Ihren Beinen? Haben Sie heute noch zu arbeiten? [d. h. zu baden, zu douchen, zu schwitzen, zu brausen, zu sitzen]).[11] Hat nun einer so ein kleines Geschwür, wie ein 4schillingsstück groß, so wird er beneidet, hat er eins wie ein Taubenei, so wird er glücklich gepriesen, ist ihm das Heil widerfahren, mit einem von der Größe eines Hühnereis begnadigt zu werden, so wird er stolz und sieht auf die andern mit Hohnlächeln herab, und ist er gar von der Göttin der Wasserheilkunst mit einem schorfigen Ausschlag über den ganzen Körper gesegnet, so wagt keiner in ehrfurchtsvoller Scheu, ihm zu nahen, gleichsam, als wäre er ein übernatürliches Wesen, oder weil er – zu sehr stinkt. Bis dato kann ich natürlicher Weise noch nicht solche Auszeichnungen aufweisen und bin gehöriger Weise unglücklich darüber; aber man hat sich die möglichste Mühe gegeben, mir Muth einzusprechen. Ich lasse mir des Morgens, sowie ich aus dem Bette komme, 6 Grad kaltes Wasser über den Kopf gießen, sitze hernach des Tages zweimal, jedesmal 10 Minuten, in ebensolchem Wasser, wo mir denn ungefähr so zu Muthe ist, als Deiner E.[12], wenn sie einen tüchtige P . . . voll gekriegt hat; trage Tag und Nacht einen kalten, nassen Gürtel von 2 Handtüchern um den bloßen Leib und werde schon in dieser Woche täglich meinen Nachmittagsschlaf

in einem nassen Laken halten müssen, vielleicht werde ich auch später die Annehmlichkeit von nassen Strümpfen probiren und die Süßigkeit eines armdicken Wasserstrahls von der Höhe von 20 Fuß kosten; doch sind dies bis jetzt noch sehnsüchtige

  1. Die Bemerkung beruht lediglich auf scherzhafter Erfindung.
  2. Gastwirth in Treptow.
  3. Der nach dem vorigen Briefe aus Neubrandenburg bestellt worden war.
  4. Zweiter Sohn, damals ein Jahr alt.
  5. Kindermädchen.
  6. „Sich zeugen“ ist verhochdeutscht aus dem Plattdeutschen „sich tügen“, s. v. a. sich etwas Angenehmes gestatten.
  7. Der beiden Töchterchen.
  8. Spöttisch gemeinte Grußbestellung von unbrauchbaren Tagelöhnern.
  9. Nasser, erdiger Rand, der sich zuweilen bei feuchtem Wetter am unteren Saume der Frauenkleider bildet.
  10. Reuter kommt in dem Briefe vom 19. November 1847 (vergl. S. 111) auf das Leiden der Großmama und den für sie in Aussicht genommenen Aufenthalt in der Kaltwasserheilanstalt zurück.
  11. Die hier und weiter unten in Klammern gesetzten Stellen sind auch von Adolf Wilbrandt abgedruckt.
  12. Dreijähriges Töchterchen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_110.jpg&oldid=- (Version vom 26.11.2023)