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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Einfluß unterworfen bezeichnet, besteht in diesem Verhältniß meist nur auf Grund von Abmachungen zwischen den europäischen Kabinetten, die Völker aber, welche in dergleichen Gebieten wohnen, haben auch nicht die entfernteste Ahnung, daß und wie man über sie verfügt hat; sie würden auch eine Uebersetzung der in Europa getroffenen Abmachungen in entsprechende Handlungen auf afrikanischem Boden entschieden zurückweisen.

An den inneren Einrichtungen will man nicht rütteln. Und eine der wichtigsten, in den afrikanischen Verhältnissen am tiefsten wurzelnden ist die Sklaverei. Nur müssen wir uns davor hüten, in dieses für unsere Ohren so mißtönende Wort alles das hineinzutragen, was wir aus andern Ländern, insonderheit aus den Vereinigten Staaten, darüber erfahren haben. Die Greuel von „Onkel Toms Hütte“ auf afrikanischen Boden zu versetzen, wäre abgeschmackt. Freilich sind die hier verübten Barbareien nicht weniger entsetzlich, nur finden wir sie nicht in der häuslichen Sklaverei, sondern bei dem Fange, der Beschaffung der Sklaven.

Wo der Sklave „nur ein Rädlein in einem mächtigen Arbeitsmechanismus“ ist, wird die Ausnutzung und Belastung seiner Kräfte eine ganz andere als bei niedrigstehenden Völkern. Es ist eine traurige, nicht zu leugnende Thatsache, daß die Fortschritte menschlicher Kultur mit dem Fortschreiten der Sklaverei Hand in Hand gingen. Das klingt widersinnig, aber es ist unzweifelhaft wahr. Solange der Mensch auf der niedrigen Stufe des Jägers verharrt oder als Nomade die Triften wüste liegen läßt, braucht er keine Sklaven. Darum tödtet das Hirtenvolk der Massai in Ostafrika stets alle Gefangenen. Sobald aber die höhere Stufe des Ackerbaus erreicht ist, werden Arbeiter gebraucht, und da den Menschen in den ersten Stadien ihrer Entwicklung die Arbeit immer als eine Last erschien, so war es natürlich, daß überall der Versuch gemacht wurde, die widerwillig getragene Bürde auf die Schultern anderer abzuwälzen. Bei den beständigen Kriegen bot sich in den Gefangenen immer ein Ersatz, der Sieger konnte feiern, während die Hörigen sich plagten.

Es ist richtig, daß bei den höchstgebildeten Völkern die Einrichtung der Sklaverei längst nicht mehr besteht. Dennoch hat die Milderung dieses der Menschheit zur Unehre gereichenden Verhältnisses keineswegs einen gleichmäßigen Schritt eingehalten mit dem Gang der Geschichte. Die Odyssee zeigt uns den schlauen Herrscher von Ithaka als geliebt von seiner Dienerschaft, solchen Leuten wie der „göttliche Sauhirt“ und die alte Amme; die Römer der Kaiserzeit aber erachteten es kaum für verwerflich, die Fische ihrer Teiche mit Sklaven zu mästen. Das Christenthum brachte eine Wandelung. Es forderte für alle die gleichen Menschenrechte, nur die Nachkommen Hams, d. h. im wesentlichen die afrikanischen Völkerstämme, auf denen der Fluch Noahs lastete, wurden ausgenommen. Sie hatte der Patriarch zu Knechten aller Knechte der Brüder Sem und Japhet verdammt. Mehr als dreiundeinhalbes Jahrhundert sind verflossen, seit der Priester Las Casas aus den menschenfreundlichsten Beweggründen die Einführung von Negersklaven zum Ersatz für die schnell hinsterbenden Urbewohner Amerikas empfahl, und erst am 13. Mai 1888 wurde der letzte Sklave in Brasilien frei. Damit war der bis dahin am Körper des amerikanischen Festlands nagende Krebsschaden in seiner einzigen noch bestehenden Spur entfernt. Aber dieser Prozeß hat einen blutigen Krieg entzündet und einen Thron gestürzt!

Man darf nicht meinen, daß die Sklaverei nach Afrika erst von außen hereingebracht worden sei. Sklaverei und auch Sklavenhandel sind eine mit den Anschauungen der afrikanischen Völker eng verwachsene Einrichtung. So tief eingewurzelt ist dieselbe, daß in Französisch-Senegambien, wo die Sklaverei bereits seit 40 Jahren aufgehoben ist, Neger sich immer noch für Sklaven halten. In Westafrika finden wir eine Theilung in Feld- und Haussklaven; letztere sind die Freunde und Vertrauten ihrer Herren, erstere Last- und Arbeitsthiere. Es ist hier bemerkenswerth, daß die Behandlung der Sklaven bei den höher stehenden Völkern am schlechtesten, bei den niedrigeren am besten ist. Man überläßt ihnen gewöhnlich alle Arbeit, nur nicht den Handel, ohne sie aber zu überbürden oder hart zu behandeln. Aber sie sind und bleiben nur eine Sache und es ist durchaus selbstverständlich, daß, wenn die Nothwendigkeit es erheischt, ein Menschenopfer zu bringen, unbedenklich einer der Sklaven hingeschlachtet wird. Doch finden die Sklaven in Westafrika auch einen gewissen Schutz durch die Priester. Mißhandelte Sklaven können ihre Freiheit erlangen, indem sie den großen Fetisch anrufen, sie hinfort als seine Sklaven anzunehmen. Besprengt dann der Priester oder Hohepriester den Schutzsuchenden mit Weihwasser, so ist er fortan Sklave des Fetisches, kann aber auch unter Umständen frei gehen, wohin er will.

Wir wissen durch Wolf und Wißmann, daß, wiewohl die Sklaverei in Westafrika von Rechts wegen abgeschafft ist, dieselbe thatsächlich noch immer besteht und daß der als Arbeiter gekaufte Sklave bei seinem Herrn in der Regel ausharrt.

Sklaven zu dem billigen Preis von 50 bis 60 Mark fürs Stück zu erhalten, ist nicht schwer, denn die Negerstämme im Innern Afrikas halten überall Sklaven, die einige derselben sehr gut, andere aber sehr schlecht behandeln. Bei manchen Stämmen würde den Besitzer eine schlechte Behandlung seiner Sklaven bei seinen Stammesgenossen unfehlbar stark heruntersetzen. Dennoch schwebt wie ein Damoklesschwert stets die Gefahr über dem Sklaven, verkauft zu werden, eine Gefahr, welche Frauen und Kinder mit ihm theilen: nur die erwachsenen Söhne sind ausgenommen. Bei einigen Stämmen am Kongostrom werden ältere Männer gekauft, um bei dem Tode angesehener Eingeborener als Schlachtopfer zu dienen, und je vornehmer und reicher die Familie ist, welcher der Verstorbene angehört hat, desto größer die Zahl dieser Opfer. Der Menschenhandel steht in diesem Theil Afrikas noch in voller Blüthe, ohne daß derselbe durch die Bedürfnisse außerafrikanischer Länder erregt wäre.

Aber diese Seite der Sklaverei ist nicht die schlimmste. Nicht die einheimische Sklaverei ist es, welche so unaussprechliche Greuel über Afrika gebracht hat, vielmehr war es Europa, insonderheit England, welches dem in kleinem Maßstabe längst bestehenden Handel einen mächtigen Schwung gab. England war es aber auch wieder, welches die ersten Schritte zur Abschaffung dieses Schandflecks christlicher Gesittung gethan, ungeheure Summen hergegeben, um den bisher Geknechteten ihre Freiheit zu erkaufen, und bis heut eine Flottille unterhalten hat, um das schändliche Gewerbe auszurotten. Vorher aber hatte es freilich an diesem Handel nach einer glaubwürdigen Berechnung an 400 Millionen Dollar verdient, während das unglückliche Afrika um 40 Millionen Menschen ärmer geworden war. Und dabei erreichte nur ein kleiner Prozentsatz dieser ungeheuren Menschenmenge sein Ziel, die Pflanzungen der Neuen Welt. Der bei weitem größte Theil ging zu Grunde auf den Märschen zur Küste, auf der Fahrt, deren Entsetzlichkeit man nur mit Grauen lesen kann, endlich im Hafen nach der Ankunft infolge der ausgestandenen Leiden.

Dem Handel an der Westseite Afrikas wurde ein Ende gemacht. Dafür sorgte das englische „Sarggeschwader“, so benannt nach der entsetzlichen Sterblichkeit der Schiffsmannschaften an der fieberhauchenden Küste. Die aus den gekaperten Schiffen befreiten Neger brachte man auf das menschenleere St. Helena oder siedelte sie auf den englischen Besitzungen an der Küste Nordwestafrikas an. Aber den Sklavenhandel nach dem afrikanischen Norden und Osten aus der Welt zu schaffen, das hat sich trotz aller Bemühungen Europas bisher als unerreichbar erwiesen.

Der ganze Norden Afrikas ist dem Islam verfallen, nicht nur die einstmals christlichen Landschaften am Mittelmeer, auch das Oasengebiet in dem weiten Wüstenstrich der Sahara und die südlich sich daran schließenden gutbevölkerten Negerstaaten des Sudans, vom Atlantischen Ocean bis zum Rothen Meer, in dessen Nähe das christliche Abessinien auf hohem Felsplateau wie ein von der Sturmfluth umbrauster Fels sich behauptet.

Islam und Sklaverei sind untrennbar, denn wenn auch Mohammed die Sklaverei verbot, so hat dies Verbot doch nie bezüglich der Ungläubigen gegolten. Die Seeräuberstaaten an der nordafrikanischen Mittelmeerküste waren lange Jahre der Schrecken der Christenheit und Tausende der Hinweggeschleppten schmachteten in afrikanischer Gefangenschaft, zu den schwersten und niedrigsten Diensten verdammt, während die christlichen Staaten Gleiches mit Gleichem vergalten und von italienischen und spanischen Herren gern mohammedanische Gefangene an die Ruderbänke ihrer Galeeren gekettet wurden.

Die Eroberung Algeriens durch Frankreich und die spätere Besitzergreifung von Tunis haben in diesen beiden Ländern den Sklavenhandel endgültig beseitigt, und seitdem Aegypten unter englischer Verwaltung steht, kann auch dort das bis dahin trotz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_190.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)