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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

selbst der Verlassenste unter ihnen durch irgend ein gemeinsames Interesse noch mit hundert Fäden an andere geknüpft?“

„Gewiß! Aber ich meine, das müßte ein wenig doch auch auf Sie zutreffen. Und haben Sie sich denn wirklich jemals ernstlich bemüht, die Freunde zu finden, deren Dasein Sie jetzt vermissen?“

Er schüttelte den Kopf.

„Ich bin einer von denen, die das Recht verwirkt haben, um Liebe und Freundschaft zu werben. Glauben Sie nicht, Fräulein von Brenckendorf, daß es Menschen giebt, die mit dem Unglück behaftet sind wie mit einer ansteckenden Krankheit? Man muß sich hüten, Gemeinschaft mit ihnen zu haben.“

Er sprach immer mit gedämpfter Stimme, in einer eigenthümlich eintönigen Weise, die seine Worte noch melancholischer machte. Auf dem Gesicht seiner jungen Zuhörerin zeigte sich etwas wie ein leichtes Unbehagen.

„Sie sind heute in übler Stimmung, Herr Hudetz, und Sie sehen ein wenig angegriffen aus. Darf ich Ihnen eine Tasse Thee bereiten?“

Hudetz machte eine verneinende Bewegung.

„Sie sollen sich nicht bemühen um meinetwillen! Es ist Güte genug, daß Sie mich zuweilen in Ihrer Nähe dulden. Aber es ist wahr: ich bin schlecht gestimmt heute, und ich hätte Ihnen nicht lästig fallen sollen.“

Er erhob sich von seinem Stuhlrand; aber er machte doch noch nicht Miene, zu gehen. Die junge Dame war an den Tisch getreten, auf welchem, in auffallendem Gegensatz zu der einfachen Zimmereinrichtung, eine schön gearbeitete, silberne Theemaschine stand. Das Licht der Lampe fiel hell auf das hübsche Gesicht des Mädchens und auf die schlanken, weißen Hände, die das Spiritusflämmchen unter dem Kessel entzündeten. Und den Besucher schien dieser Anblick mit magnetischer Gewalt zu fesseln. Den Kopf ein wenig auf die Seite neigend, betrachtete er sie unverwandt, wie man ein prächtiges Gemälde betrachtet, mit weit geöffneten Augen und einem seltsam weltvergessenen Ausdruck des blassen Antlitzes.

Fräulein von Brenckendorf hatte ihn nicht aufgefordert, zu bleiben; da er aber trotz seiner letzten Worte nicht geneigt schien, zu gehen, sagte sie, ohne daß der Klang ihrer Stimme an herzlicher Freundlichkeit verloren hätte: „Sie sind ja ein Kunstverständiger, Herr Hudetz! – Wollen Sie mich nicht Ihr Urtheil über die kleine Malerei da vernehmen lassen, mit der ich heute glücklich – oder muß ich sagen: unglücklich? – fertig geworden bin?“

Bei ihrer Anrede war er sichtlich zusammengefahren wie jemand, der aus tiefem Nachdenken aufgeschreckt wird. Nun aber trat er ohne weiteres an die im hellen Lichte stehende Staffelei und entfernte die leichte Hülle von dem darauf befindlichen winzigen Rahmen. Das weißseidene Blatt eines Ballfächers kam zum Vorschein, und einige in zarten Farbentönen ausgeführte, geflügelte Amorettengestalten, die zwischen den Ranken eines blühenden Apfelzweiges ihr Wesen trieben, bildeten die von der jungen Dame erwähnte Malerei.

Hudetz betrachtete das kleine Werk sehr lange; aber er sagte kein Wort.

„Nun?“ kam es endlich ermunternd vom Theetische herüber. „Wenn es Ihnen so schwer wird, Ihre Kritik zu äußern, muß ich ja wohl fürchten, daß sie nicht sonderlich günstig sei.“

Er wandte ihr das Gesicht wieder zu und entgegnete in seiner melancholisch eintönigen Weise: „In der That, Fräulein von Brenckendorf, ich finde das Bildchen nicht gut, wenigstens nicht gut genug für ein Werk von Ihrer Hand.“

„Ist das etwa eine verschleierte Schmeichelei?“ fragte die Getadelte ohne Empfindlichkeit zurück. „Meinen Sie, daß ich Talent genug habe, Besseres zu leisten?“

„Nein! Nach allem, was ich bisher von Ihnen gesehen habe, fürchte ich eben, Sie haben es nicht. Es ist nichts als mittelmäßige Dilettantenarbeit, und gerade Sie sollten die edelste aller Künste nicht zu solchen Handwerksdiensten erniedrigen. Ist es denn möglich, daß Sie diese Art unfruchtbaren Schaffens nicht selber wie eine beständige Demüthigung empfinden?“

Das schöne Gesicht des jungen Mädchens war nun doch sehr ernst geworden, und die Tassen, mit denen sie sich zu schaffen machte, klirrten leise zusammen. „Es ist mein Broterwerb, Herr Hudetz,“ sagte sie, „die Waffe, mit der ich den Kampf ums Dasein führe. Es ist nicht meine Schuld, wenn das Schicksal mich nicht besser ausgerüstet hat für diesen Kampf.“

„Nein, Sie können wahrhaftig nicht geschaffen sein, um zu kämpfen!“ erwiderte er, indem er abermals mit dem vorigen weltvergessenen Ausdruck zu ihr hinüberstarrte. „Ich weiß nicht, wie es zugeht; aber so oft ich Sie sehe, ist es mir immer, als wären Sie nur in einer Verkleidung oder in einer Verzauberung, wie die Königstöchter aus den Kindermärchen. Kennen Sie Rubens’ Porträt der Elisabeth von Frankreich?“

„Nein, ich kenne es nicht,“ gab sie zurück, und es war trotz aller Freundlichkeit etwas wie vornehme Ablehnung in ihren Worten, „aber ich bin nichts destoweniger überzeugt, daß Sie mir ganz unverdiente Ehre erweisen, wenn Sie mich etwa mit demselben vergleichen wollen. Seien Sie versichert, daß ich nichts anderes bin, als ich augenblicklich zu sein scheine, und daß ich mich leider niemals als eine verkleidete oder verzauberte Prinzessin entpuppen werde!“

„Sie wissen wohl, daß meine Worte nicht buchstäblich zu nehmen waren,“ beharrte er, ohne Verständniß für ihren Wunsch, dies Thema abgebrochen zu sehen. „Auch war es nicht gerade meine Absicht, Sie mit dem Bilde jener spanischen Königin zu vergleichen. Das ist ja eben das Wunderbare, daß Ihre Züge nicht die geringste Aehnlichkeit mit demselben haben, und daß ich doch den Gedanken an das Bild nicht los werden kann, sobald ich Ihnen ins Gesicht blicke. Etwas rein Geistiges, Unfaßbares muß es sein, das Sie mit ihm gemeinsam haben – das Anmuthig-Hoheitsvolle vielleicht, das bei aller Zartheit und Weiblichkeit wahrhaftig Königliche, welches jenes Porträt für mich zum herrlichsten aller Fürstenbildnisse macht. Ich würde es nicht glauben, wenn die Weltgeschichte erzählte, diese Elisabeth habe je etwas Unweibliches oder Unkönigliches gethan, und ebensowenig vermag ich es zu fassen, daß Ihre Hände es gewesen sein sollen, welche für den rohen Geschmack einer verständnißlosen Menge jene abscheulichen Photographien mit schreiend bunten Farben übermalt oder jene Putten mit der gezierten Haltung und dem unmöglichen Gliederbau geschaffen haben.“

Vielleicht würde die junge Dame sich nun doch veranlaßt gesehen haben, weitere Bekenntnisse ihres sonderbaren Besuchers durch eine unzweideutige Entgegnung abzuschneiden; aber das Wort erstarb ihr auf den Lippen, als sie in diesem Augenblick draußen auf dem Gange eine kräftige Männerstimme sagen hörte:

„Jawohl, das Freifräulein Marie von Brenckendorf – mit Ihrer gütigen Erlaubniß! – Wollen Sie nicht die Freundlichkeit haben, mir mitzutheilen, durch welche von diesen dreihundert Thüren man zu ihr gelangen kann?“

„Ein Besuch für Sie!“ flüsterte Hudetz, sich hinter der Staffelei an die Wand drückend. In seinem auf die Thür des Zimmers gehefteten Blick war dieselbe tödliche Angst, mit welcher er vorhin auf der Straße das Zusammenschließen des fluchthemmenden Menschenringes beobachtet hatte.

Nun wurde ziemlich ungestüm geklopft, und ehe noch die junge Malerin ein „Herein!“ hatte aussprechen können, trat der neue Besucher über die Schwelle.

„Guten Abend, mein Herzensmariechen! – Wirf mich hinaus, wenn es nicht anders sein kann; aber gestatte mir wenigstens zuvor, Dir einen Kuß zu geben!“

Mit ausgebreiteten Armen war er neben der Thür stehen geblieben, und mit dem jubelnden Ausruf: „Wolfgang – lieber Wolfgang!“ flog Marie an seine Brust.

Hätte nicht die ungewöhnlich hohe und breitschultrige Gestalt des Fremden den einzigen Ausgang versperrt, welchen das Gemach außer der Thür zum Schlafzimmer besaß, so würde Hudetz unzweifelhaft diesen Augenblick benützt haben, um sich hinaus zu stehlen. Mit seinem scheu blickenden Augen, seiner in furchtsamer Erregung gekrümmten Gestalt und seinen schlaff herabhängenden Armen, deren Hände sich doch unwillkürlich zu Fäusten geballt hatten, gemahnte er an das Aussehen einer geängstigten Katze, die sich vielleicht widerstandslos todtschlagen, vielleicht aber auch von der Verzweiflung hinreißen lassen wird, ihrem Gegner ins Gesicht zu springen und ihm mit scharfen Krallen die Haut zu zerreißen.

Die Malerin mochte unter dem Eindruck mächtiger Ueberraschung seine Anwesenheit vergessen haben, die Augen des stattlichen Herrn aber, dem sie so bereitwillig erlaubte, ihre Lippen zu küssen, hatten die dürftige Gestalt rasch genug erspäht.

„Ah, ich bitte um Entschuldigung,“ sagte er, ohne das Mädchen freizugeben, „Du hast einen Besuch.“

Mit einem kleinen Anflug von Verlegenheit hob Marie das Köpfchen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_199.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)