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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

möchte an Sie nur die Frage stellen, ob Sie auch nach dieser Unterredung noch beabsichtigen, hier zu bleiben und in den Kreisen zu verkehren, die Ihnen Fürst Adelsberg öffnet.“

Hartmut war leichenblaß geworden bei jener Andeutung von den trüben Quellen, aus denen die Mittel seiner Mutter geflossen sein könnten, und das starre Entsetzen, mit dem er den Sprechenden anblickte, verrieth, daß er in der That nichts wußte; bei der letzten Frage aber gewann er seine Fassung zurück. Seine Augen begegneten flammend denen des Gegners, und eine wilde Entschlossenheit klang aus seiner Stimme, als er antwortete:

„Ja, Herr von Wallmoden – ich bleibe!“

Der Gesandte schien diesen Trotz doch nicht erwartet zu haben, er hatte sich offenbar die Sache leichter gedacht, aber er bewahrte seine Gelassenheit.

„Wirklich? Nun, Sie sind es gewohnt, ein hohes Spiel zu spielen, Sie scheinen das auch hier – still, wir werden gestört! Ueberlegen Sie sich die Sache, vielleicht besinnen Sie sich doch eines Besseren.“

Er trat rasch in den anstoßenden Saal, wo jetzt der Oberforstmeister erschien.

„Wo steckst Du denn eigentlich, Herbert?“ fragte dieser, als er des Gesandten ansichtig wurde. „Ich habe mich überall nach Dir umgesehen.“

„Ich wollte meine Frau holen –“

„Die ist bereits im Speisesaal wie alle Welt, und Du wirst auch schon vermißt. Komm, es ist Zeit, daß wir etwas zu essen bekommen!“ Damit bemächtigte sich Herr von Schönau in seiner immer frohgelaunten Weise seines Schwagers und entfernte sich mit ihm.

Hartmut stand noch an seinem Platze, aber er rang nach Athem, die Aufregung drohte ihn zu ersticken, Scham. Haß und Empörung, das alles fluthete wild durcheinander in seinem Innern. Jene Andeutung Wallmodens hatte ihn furchtbar getroffen, obwohl er sie nur halb verstand. Sie zerriß den Schleier, mit dem er sich unbewußt, halb absichtlich die Wahrheit verhüllte. Er hatte in der That geglaubt, daß ein geretteter Rest des Vermögens ihm und seiner Mutter die Mittel zum Weiterleben lieferte, aber es war nicht das einzige Mal gewesen, wo er nicht hatte sehen wollen, was er doch hätte sehen müssen.

Als die Hand der Mutter ihn so jäh und plötzlich aus dem Zwange der väterlichen Erziehung in die schrankenloseste Freiheit riß, als er den Kreis strenger Pflichten mit einem Dasein voll berauschenden Genusses vertauschte, da hatte er dies Dasein in vollen Zügen genossen, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben. Er war zu jung, um zu urtheilen, und später – da war es eben zu spät für ihn, da hatten Beispiel und Gewohnheit ein unzerreißbares Netz um ihn gewoben. Jetzt zum ersten Male wurde ihm klar und deutlich gezeigt, was das Leben war, das er so lange geführt hatte, das Leben eines Abenteurers, und wie einen Abenteurer wies man ihn fort aus den Kreisen der Gesellschaft.

Aber noch heißer als die Scham darüber brannte der Schimpf, den man ihm angethan hatte, der Haß gegen den Mann, der ihm diese unerbittliche Wahrheit aufzwang. Das unselige Erbtheil der Mutter, das heiße, wilde Blut, das einst schon dem Knaben so verhängnißvoll geworden war, wallte auf wie ein Feuerstrom, und jeder andere Gedanke ging unter in dem Gefühl einer wilden, maßlosen Rachsucht. Die sonst so schönen Züge Hartmuts waren entstellt bis zur Unkenntlichkeit, als er endlich stumm, mit zusammengebissenen Zähnen das Zimmer verließ. Er wußte und fühlte nur eins, daß er sich rächen mußte, rächen um jeden Preis! – –

Es war schon ziemlich spät, als das Fest sein Ende erreichte. Nachdem das herzogliche Paar sich zurückgezogen hatte, erfolgte der allgemeine Aufbruch, ein Wagen nach dem anderen rollte den Schloßberg hinab, das helle Licht der Säle erlosch und Fürstenstein begann, sich in Dunkel und Schweigen zu hüllen.

Die beiden Zimmer, welche der Gesandte und seine Gemahlin in der Wohnung des Oberforstmeisters innehatten, waren noch erleuchtet; Adelheid stand am Fenster, sie trug noch die reiche Festkleidung und blickte wie in Gedanken verloren hinaus, aber es war eine eigenthümlich müde Bewegung, mit der sie das Haupt an die Scheiben lehnte.

Wallmoden saß am Schreibtische und durchflog einige Briefe und Depeschen, die während der letzten Stunden eingegangen waren. Sie schienen Wichtiges zu enthalten, denn er legte sie nicht zu den übrigen Papieren, die morgen früh erledigt werden sollten, sondern ergriff eine Feder und warf rasch einige Zeilen hin; dann erhob er sich und trat zu seiner Frau.

„Das kommt unerwartet,“ sagte er. „Ich werde nach Berlin reisen müssen.“

Adelheid wandte sich überrascht um.

„So plötzlich?“

„Ja, ich dachte die betreffende, allerdings wichtige Sache brieflich zu erledigen, aber der Minister wünscht dringend persönliche Rücksprache. Ich werde mich also morgen früh von dem Herzog beurlauben, vorläufig auf acht Tage, und dann sofort abreisen.“

Man konnte in dem Halbdunkel die Züge der jungen Frau nicht unterscheiden, aber ihre Brust hob sich unter einem tiefen Athemzuge, der eine vielleicht unbewußte Erleichterung verrieth.

„Und um welche Stunde fahren wir?“ fragte sie rasch. „Ich möchte meine Kammerfrau benachrichtigen.“

„Wir? Es ist eine rein geschäftliche Angelegenheit und da reise ich selbstverständlich allein.“

„Aber ich könnte Dich trotzdem begleiten.“

„Wozu denn, Du hörst ja, daß es sich nur um eine Abwesenheit von acht bis vierzehn Tagen handelt.“

„Gleichviel, ich – ich möchte Berlin einmal wiedersehen.“

„Welch ein Einfall!“ sagte Wallmoden achselzuckend. „Ich werde diesmal so in Anspruch genommen sein, daß ich Dich nirgends begleiten kann.“

Die junge Frau war an den Tisch getreten und stand jetzt im vollen Schein der Lampe. Sie war viel bleicher als sonst und ihre Stimme hatte einen gepreßten Klang, als sie antwortete:

„Nun, so bleibe ich zu Haus, aber hier in Fürstenstein möchte ich wirklich nicht allein bleiben, ohne Dich.“

„Allein?“ Der Gefandte sah sie befremdet an. „Du bleibst bei unseren Verwandten, deren Gäste wir sind. Seit wann bist Du denn überhaupt so schutzbedürftig? Das ist eine Eigenschaft, die ich bisher noch nie an Dir bemerkt habe. Ich begreife Dich nicht, Adelheid, was ist das für eine seltsame Laune, daß Du mich durchaus begleiten willst?“

„Nun, so nimm es als eine Laune, aber laß mich mit Dir reisen, Herbert – ich bitte Dich darum!“

Sie legte bittend die Hand auf seinen Arm und ihre Augen waren mit einem beinahe angstvollen Ausdruck auf den Gatten gerichtet, dessen schmale Lippen sich jetzt spöttisch verzogen. Es war jenes überlegene Lächeln, das bisweilen so verletzend sein konnte.

„Ah so, jetzt begreife ich! Die Scene mit der Prinzessin ist Dir unangenehm gewesen, Du fürchtest erneute Plänkeleien, die ja allerdings nicht ausbleiben werden. Diese Empfindlichkeit mußt Du Dir abgewöhnen, mein Kind, Du solltest im Gegentheil einsehen, daß gerade diese Begegnung Dich in die Nothwendigkeit versetzt, hier zu bleiben. Bei Hofe wird jedes Wort, jeder Blick gedeutet, und eine plötzliche Abreise Deinerseits würde zu allen möglichen Deutungen Anlaß geben. Du hast jetzt standzuhalten, wenn Du Dir Deine Beziehungen zum Hofe nicht dauernd erschweren willst.“

Die Hand der jungen Frau glitt langsam von seinem Arme und ihr Blick sank zu Boden bei dieser kühlen Abweisung ihrer fast flehenden Bitte, der ersten, die sie überhaupt aussprach in ihrer kurzen Ehe.

„Standhalten!“ wiederholte sie leise. „Das thue ich, aber ich hoffte, Du würdest mir zur Seite bleiben.“

„Das ist für den Augenblick nicht möglich, wie Du siehst. Uebrigens verstehst Du es ja meisterhaft, Dich zu wehren. Das hast Du heute mir und dem ganzen Hofe gezeigt, aber ich verlasse mich darauf, daß der Wink, den ich Dir vorhin gab, befolgt wird und Du künftig vorsichtiger in Deinen Antworten bist. Jedenfalls bleibst Du in Fürstenstein, bis ich zurückkehre und Dich abhole.“

Adelheid schwieg, sie sah, daß hier nichts zu erreichen war. Wallmoden trat wieder an den Schreibtisch und verschloß die eingegangenen Schriftstücke; dann ergriff er das Blatt, auf dem er die Antwort niedergeschrieben hatte, und faltete es zusammen.

„Noch eins, Adelheid!“ sagte er flüchtig. „Der junge Fürst Adelsberg war heut unausgesetzt in Deiner Nähe, er huldigt Dir in etwas auffallender Weise.“

„Wünschest Du, daß ich diese Huldigungen zurückweise?“ Sie fragte das sehr obenhin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_216.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)