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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Aber diese Papiere werden niemals ankommen, verlassen Sie sich darauf! Uebrigens ist es wohl eine Unbescheidenheit, daß ich mich in diese Dinge mische.“

O nein! Ich bin Ihnen im Gegentheil dankbar dafür! Und für Sie ist es ja gewissermaßen auch von Wichtigkeit; denn das gnädige Fräulein Schwester hat ja sozusagen mit dem verdächtigen Menschen förmlich Freundschaft geschlossen. Vorgestern abend war er nicht weniger als eine Stunde und vierzig Minuten in ihrem Zimmer. Mein Gott, wenn er nicht gar so jämmerlich aussähe, hätte man wahrhaftig glauben können –; aber das ist natürlich Unsinn – Sie werden mich nicht mißverstehen! – Und wenn nicht bis spätestens übermorgen die Zeugnisse dieses Herrn Hudetz eingetroffen sind, so muß er hinaus, das ist keine Frage! Ich dulde nichts Zweifelhaftes unter meinem Dache!“

Wolfgang verabschiedete sich und stieg die drei steilen Treppen hinab, um unten die erste Droschke anzurufen, deren er habhaft werden tonnte. Die Persönlichkeit des angeblichen Journalisten mußte seine Gedanken noch immer lebhaft beschäftigen; denn während das Gefährt über den Asphalt der Friedrichstraße rollte, sagte er vor sich hin:

„Vielleicht thue ich dem Burscheu unrecht – nun, dann ist ja der Schaden für ihn nicht so groß, und von ihrem Lebenswege muß er jedenfalls entfernt werden. Ueberdies möchte ich darauf schwören, daß ich ihn richtig beurtheile. So verängstigte und verhetzte Augen macht man wahrhaftig nicht aus bloßer Schüchternheit.“




Vor das Gartengitter einer zweistöckigen Villa in der Viktoriastraße rollte eine offene Droschke erster Klasse, und ein reckenhaft gebauter junger Dragoneroffizier sprang säbelklirrend auf das Pflaster.

„Volle einundzwanzig Minuten!“ sagte er, sein hübsches, von Luft und Sonne gebräuntes Gesicht mit dem fast überlangen blonden Schnurrbart dem Kutscher zuwendend. „Es ist ein Skandal! Ihr spathlahmer Gaul da hätte doch wahrhaftig längst verdient, in ein besseres Jenseits oder in den Wurstkessel einzugehen!“

Trotz dieser Entrüstung mußte der junge Krieger das Fahrgeld nicht eben kärglich bemessen haben; denn das rothe Gesicht des Droschkenkutschers verzog sich zu einem breiten Grinsen und er lüftete höflich seinen lackierten Hut.

„Danke ooch scheen, Herr Leitnant! – Aber keen Spath is det nich bei meine olle Liese. Sie hat bloß manchmal en bisken Rheimatismus, wenn det Wetter umschlagen duht.“

Der Dragoner lachte und ging raschen Schrittes in das Haus, dessen Thür bereits von dem Pförtnerzimmer aus geöffnet worden war. Ein Diener in einfacher Livree und von militärischer Haltung war ihm behilflich, Mantel und Säbel abzulegen.

„Herrschaften schon beim Frühstück?“ fragte er, vor dem Spiegel sein wohl gekämmtes Haar mit einem Taschenbürstchen bearbeitend.

„Zu Befehl, Herr Lieutenant – seit zehn Minuten!“

„Natürlich! – Mußte ich auch an diese unglückselige Rosinante mit dem Rheumatismus gerathen! – Na, ich kann’s nicht ändern.“

Er ging durch mehrere mit großer Ueppigkeit ausgestattete Gemächer und schlug mit kräftiger Armbewegung den Vorhang zurück, welcher die Thüröffnung nach dem Speisezimmer verkleidete.

„Ich melde mich zur Stelle, Herr General! – Und ich wünsche meinen theuren Angehörigen einen guten Morgen! – Ah, welch’ ein herzerfreuender Anblick!“

Es blieb zweifelhaft, ob die letzten Worte sich auf den mit allerlei ausgesuchten Leckerbissen besetzten Früstückstisch inmitten des hohen, holzgetäfelten Gemaches bezogen, oder ob sie den vier Personen galten, welche sich um diesen gruppiert hatten. Die zierliche, junge Dame mit den dunklen krausen Tituslöckchen und den großen, lebensprühenden Augen, welche der Thür gegenüber neben der wohlbeleibten und etwas gleichmüthig dreinschauenden Generalin saß, mußte wohl das letztere annehmen, denn sie rief dem Eintretenden fröhlich zu:

„Im Namen der übrigen danke ich Dir für die Liebenswürdigkeit! Aber Du hättest Dir diese Herzensfreude recht gut schon eine halbe Stunde früher verschaffen können.“

„Wir glaubten in der That, Du würdest die Küche des Herrn Uhl wieder einmal der unsrigen vorziehen,“ sagte der General, eine trotz des grauen Schnurrbarts und des beinahe weißen Haupthaars noch immer jugendlich schlanke und straffe Männergestalt. „Ich habe Cilly im Verdacht, daß diese Schildkrötenbouillon nur Dir zuliebe gebraut wurde, und Dir zuliebe haben wir sie nun auch trinken müssen, als sie dem Gefrierpunkt bereits sehr bedenklich nahe war.“

„Ich hoffe, die Zerknirschung ist mir deutlicher aufs Gesicht geschrieben, als ich sie in Worte zu fassen vermöchte,“ versetzte der Dragoner, indem er eine drollige Grimasse schnitt und sich auf den leeren Stuhl an der Seite seiner Schwester Cilly setzte. „Guten Morgen, Lothar! – Eine dienstliche Abhaltung natürlich! - Aber an meinem Kommen hättet Ihr nicht zweifeln dürfen! Ich hatte es ja versprochen, und was ich verspreche –“

„Pflege ich nur mitunter zu vergessen!“ fiel Cilly ein, mit spitzem Mündchen von ihrem Madeiraglase nippend. „Hast Du Dein schreckliches Benehmen vom vorgestrigen Charlottenburger Rennen schon wieder abgebüßt, daß Du es wagst, Dich in meiner Gegenwart auf die Verläßlichkeit Deiner Versprechungen zu berufen?“

„Mein schreckliches Benehmen?“ fragte er mit erheuchelter Verwunderung, „ich weiß in der That nicht – mein Gewissen ist rein und fleckenlos wie Dein Elfenbeinteint, theuerste Cilly!“

Sie gab ihm einen leichten Schlag auf den Arm.

„So will ich es zu Deiner Strafe hier öffentlich erzählen! Weil ich auf der Tribüne nicht eine einzige mir bekannte Dame in meiner Nähe sah, hatte er mir feierlich geloben müssen, nicht einen Augenblick von meiner Seite zu weichen. Eine Viertelstunde lang hielt er es aus, obwohl ich nie in meinem Leben einen zerstreuteren Gesellschafter gehabt habe. Dann erbettelte er sich einen Urlaub von fünf Minuten, und ich war gutmüthig genug, ihn zu gewähren. Genau dreiviertel Stunden später sah ich den Abtrünnigen zum ersten Mal wieder, und Ihr könnt Euch meine Entrüstung vorstellen, als er es nicht einmal für erforderlich hielt, sich zu entschuldigen. Giebt es einen parlamentarischen Ausdruck, Lothar, um solches Verhalten gebührend zu bezeichnen?“

Der Angeredete, welcher seinen Bruder beim Eintritt nur stumm begrüßt und seitdem unverwandt durch das breite Fenster auf die fast völlig entlaubten Baumwipfel des kleinen Gartens hinaus geschaut hatte, wandte sich etwas betroffen um. Er war dem heiteren Geplänkel der beiden offenbar gar nicht gefolgt; aber der Dragonerlieutenant ersparte ihm das Eingeständniß dieser Unaufmerksamkeit.

„Du brauchst kein juristisches Gutachten, Cilly,“ sagte er, „denn ich bekenne reumüthig meine Schuld. Wenn es nicht auf der Stelle geschah, so hat das seine Ursache lediglich darin, daß ich Dich in der allerbesten Gesellschaft fand und in einer Gemüthsstimmung, die mich unmöglich auf den Gedanken bringen konnte, Du habest Dich gelangweilt oder mich vermißt.“

Das reizende Titusköpfchen neigte sich etwas tiefer auf den Teller hinab; aber der rosige Hauch, der plötzlich auf den zarten Wangen lag, konnte den anderen darum doch nicht ganz verborgen bleiben.

„Was für eine Gesellschaft war denn das, die dieser Taugenichts die allerbeste nennt?“ fragte der General.

„O, ich bin sicher, Papa, daß auch Du sie nicht anders bezeichnen kannst. Es war Seine Durchlaucht der Prinz Lamoral von Waldburg, der unserer Cilly nach allen Regeln der Kunst den Hof machte.“

„Engelbert!“ mahnte die Generalin mit einem strafenden Blick, ohne jedoch ihre angenehme Beschäftigung mit dem zarten Bruststück eines Fasanenhahns zu unterbrechen.

Die scharfen Augen des Generals hatten der, noch immer eifrig auf den Teller schauenden Tochter einen raschen, prüfenden Blick zugeworfen, dann sagte er in einem ziemlich gleichgültig klingenden Tone:

„Lamoral? – Das ist der Jüngere, der bei den Garde-Kürassieren steht – nicht wahr?“

„Jawohl, Papa!“ antwortete Engelbert, „ein hübscher Junge, wenn es auch immerhin ganz gut ist, daß das Pulver schon vor seiner Geburt erfunden worden war.“

Cilly legte ihr silbernes Messer auf den Tellerrand, daß es klirrte.

„Ich weiß wirklich nicht, was Du immer über ihn zu spötteln hast, Engelbert! Denselben ausgezeichneten Witz machtest Du

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_230.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)