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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Polizisten kamen, um Haussuchung zu halten, und sie fanden mich in das Anschauen meines Raubes versunken. Alles weitere geschah dann, wie es eben nicht anders geschehen konnte.“

„Und statt in ein Irrenhaus, wie sich’s gehört hätte, sperrte man Sie Gefängniß! Ja, ja, das ist so die Weisheit der Herren von der Polizei und vom grünen Tisch! Uebrigens könnte ich die ganze Geschichte ja ebensogut für Schwindel halten, aber ich will sie glauben, weil – na, weil ich sie eben glauben will. Sie können also meinetwegen wohnen bleiben! Das heißt – wohlverstanden! – wenn Sie pünktlich bezahlen und wenn Sie sich nicht wieder in was verlieben, das Ihnen nicht gehört! Was vorbei ist, ist vorbei! Ein Raubmörder, der seine Strafe abgesessen hat und ein anständiger Kerl werden will, ist mir lieber als ein reicher Halsabschneider oder Leuteschinder, dem keine Polizei und kein Gericht was anthut und vor dem alle Welt auf dem Bauche liegt. Aber keine neuen Streiche, das will ich mir ausgebeten haben! Uebrigens, wovon leben Sie denn eigentlich? Mit dem Studieren ist es jetzt doch wohl Essig?“

Hudetz hatte seinen Blick wieder dem schwelenden Lampendocht zugewendet, als wäre es dieser, zu dem er spräche.

„Als ich meine Strafe verbüßt hatte, wurde ich vor einen höheren Polizeibeamten geführt, und dieser eröffnete mir, daß ich innerhalb vierundzwanzig Stunden nicht nur die Stadt Breslau, sondern das Gebiet des preußischen Staates überhaupt zu verlassen habe. Ich bin ja in einem kleinen galizischen Städtchen geboren und österreichischer Staatsangehöriger. In Deutschland aber wird, wie mir der Beamte sagte, Ausländern, die wegen eines gemeinen Verbrechens bestraft sind, der Aufenthalt grundsätzlich nicht mehr gestattet. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ich wie ein Verbrecher in meine Heimath geschafft werden würde, sobald die hiesigen Behörden von meinem Dasein Kenntniß erlangten.“

„Darum also die Angst vor der Polizei! Und weshalb gehen Sie nicht freiwillig dahin, wo Sie hergekommen sind? Haben Sie denn keine Familie?“

„Meine Mutter ist längst todt; mein Vater war ein unverbesserlicher Trinker und sitzt seit Jahren halb blödsinnig im Armenhause, meine beiden älteren Schwestern, die als Dienstmädchen nach Wien gingen, sind auf schlechte Wege gerathen und längst verschollen.“

Die Alte stützte die Arme wieder auf die Tischkante und grub die knochigen Finger in das unordentliche weiße Haar. Hudetz aber fuhr fort:

„Was könnte ich in meiner elenden Vaterstadt beginnen? Ich müßte unfehlbar verhungern, denn ich tauge nicht zum Handelsmann, und für körperliche Arbeit bin ich zu schwach. Hier sammle ich Anzeigen für die Tageszeitungen und schreibe gelegentlich kleine Lokalnachrichten, die mir von den Redaktionen bezahlt werden, ohne daß man mich viel um meine Papiere und um meine Verhältnisse befragt. Aber das ist schließlich nur Nebensache. Das Wichtigste ist, daß ich mein Werk daheim in Galizien nimmermehr vollenden könnte.“

„Ihr Werk? – Was für ein Werk?“

„Einen Versuch über altniederländische Malerei, insbesondere über die Brüder van Eyck. Er wird ohnedies unvollkommen genug bleiben, was die geschichtlichen Unterlagen anbetrifft, denn ich muß ja sehr vorsichtig sein bei meinen Studien, und viele wichtige Quellen bleiben mir deshalb verschlossen. Aber die herrlichen Werke der Brüder von Maaseyck in der königlichen Gemäldegalerie sind mir doch immer zugänglich. Es achtet da niemand mit besonderer Aufmerksamkeit auf einen von den Hunderten, die sich unaufhörlich durch die Säle bewegen.“

„So? – Und wenn nun das Werk fertig ist, werden Sie dann ein ordentliches Stück Geld dafür bekommen?“

„Geld? Wohl kaum! Ich werde es vielleicht sogar auf meine eigenen Kosten drucken lassen müssen. Aber es ist mir ja auch nicht um Geld zu thun, sondern um meine Rechtfertigung – um den Beweis, daß ich kein gemeiner Verbrecher bin – um die Reinigung meines Namens!“

Seine eintönige Stimme war nicht lauter und wärmer geworden, als er dies sprach; aber in den letzten Worten zitterte etwas wie ein mühsam unterdrücktes Schluchzen. Frau Haberland sah ihn verwundert an und schüttelte den Kopf.

„Na, dann beeilen Sie sich nur mit Ihrem Werk, damit Sie’s noch erleben, daß es fertig wird! Und jetzt gehen Sie zu Bett! Es ist nicht gut für Sie, bis Mitternacht aufzusitzen.“

Er folgte dem neuen Befehl ebenso gehorsam wie ihrer vorigen Weisung. Aber als er dann bei dem flackernden Licht einer Kerze in seiner armseligen Stube stand, blickte er verwirrt umher und griff sich mit beiden Händen an die Stirn.

Was hatte er gethan! Was war über ihn gekommen, daß er sein ängstlich gehütetes Geheimniß einer wildfremden Person in der ersten Stunde der Bekanntschaft preisgegeben – daß er sich auf Gnade oder Ungnade in die Hände eines rohen, ungebildeten Weibes geliefert hatte! Wenn sie nun morgen hinging, ihn anzuzeigen, um den vorausbezahlten Zins behalten und ihr Zimmer von neuem vermiethen zu können! Ein Zittern überlief seinen Körper, als er daran dachte. Aber bei alledem fühlte er doch etwas wie eine Erleichterung, hatte er eine unbestimmte Empfindung, als ob seine Kräfte plötzlich gewachsen seien. Und die jäh aufgestiegene tödliche Angst wich ebenso schnell und unerklärlich einem Bewußtsein fast behaglicher Sicherheit, als er durch die dünne Wand den trockenen, bellenden Husten der Alten hörte.

Er legte sich nieder und seine blassen Lippen zuckten wie zu einem Lächeln. – Zum ersten Male in seinem einsamen Leben hatte er ja eine Vertraute, eine Mitwisserin seiner geheimsten Hoffnungen und Sorgen!




Schnell und angenehm, fast wie ein schöner, lebhafter Traum vergingen Marie von Brenckendorf die Stunden ihres ersten Besuches im Hause des Generals.

Der alte Herr hatte nicht gesäumt, sein Vorhaben zur Ausführung zu bringen, und es waren kaum vierundzwanzig Stunden seit seiner Unterredung mit Wolfgang verstrichen, als er die unbequemen Treppen zu Mariens Wohnung erstieg. Seine weltmännische Liebenswürdigkeit und der herzliche Ton, in welchem er sich über ihre stolze Zurückhaltung beklagte, hatten die erste, leicht begreifliche Verlegenheit der jungen Dame rasch besiegt und ihr Zutrauen gewonnen. Unbedenklich und mit einer Freudigkeit, welche vielleicht noch deutlicher, als sie es beabsichtigt hatte, verrieth, wie ihr damit nur ein lange gehegter Herzenswunsch in Erfüllung ging, hatte sie seine Einladung angenommen. Und nun war die Aufnahme, welche man ihr in dem schönen Heim an der Viktoriastraße bereitet hatte, wahrlich ganz danach angethan gewesen, all ihre Erwartungen und Hoffnungen zu übertreffen.

Der General war trotz seiner weißen Haare artig und ritterlich wie der jüngste Kavalier, und in der schwerfälligen, wortkargen Ruhe seiner wohlbeleibten Gemahlin fand Marie viel eher eine gewisse anheimelnde Gemüthlichkeit als etwas Abstoßendes und Erkältendes. Cilly aber offenbarte die ganze übersprudelnde Lustigkeit und Frische ihres sprühenden Temperaments, und ihre fröhliche Ausgelassenheit wirkte bald so ansteckend auf Marie, daß die beiden jungen Damen vertraulich lachten und scherzten, als hätten sie niemals aufgehört, im engsten verwandtschaftlichen Verkehr miteinander zu leben.

„Eigentlich ist es nicht sehr schmeichelhaft für meine Brüder, daß Du noch gar nicht nach ihnen gefragt hast,“ sagte Cilly, als sie Marie in ihr Zimmer geführt hatte, um sie die dort in reizendem Durcheinander aufgestapelte Fülle allerliebster Nichtigkeiten bewundern zu lassen. „Du und Engelbert, Ihr waret doch seinerzeit die dicksten Freunde.“

„Wirklich? Ein wie gutes Gedächtniß Du hast, liebe Cilly!“ erwiderte Marie, sehr angelegentlich ein paar zierliche Meißner Figürchen betrachtend. „Nun, ich hoffe, Deine Herren Brüder befinden sich bei guter Gesundheit.“

„Ich bedanke mich in ihrem Namen für diesen rührenden Ausdruck Deiner Theilnahme. Ja, es geht ihnen ganz gut. Engelbert steht bei den Dragonern. Er ist ein wenig gewachsen, seitdem er Dich damals bei der kleinen Ueberschwemmung über die Straße trug.“

Marie vermied es noch immer, ihrem Bäschen das Gesicht zuzuwenden.

„Und Lothar?“ fragte sie rasch. „Mein Bruder sagte mir, daß er im Begriff sei, die richterliche Laufbahn einzuschlagen.“

„Ja – leider! Es ist unbegreiflich! Und er war schon nahe daran, Landrath zu werden. Aber er läßt nicht mit sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_267.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)