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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

seinen Willen auch durchzusetzen, die äußere Zurüstung war eine glänzende, die Rollen wurden durchweg mit den ersten Kräften des Hoftheaters besetzt, und sogar das Opernpersonal wurde herangezogen, da eine der Rollen eine ziemlich bedeutende Gesangspartie enthielt. Einer Schauspielerin konnte man das nicht zumuthen, so wurde denn eine junge Sängerin, Marietta Volkmar, damit betraut. Die Aufführung, die ursprünglich weit später stattfinden sollte. wurde jetzt so viel als möglich beschleunigt, weil man bei Hofe fürstlichen Besuch erwartete und das neue Drama, das sich so poetisch und märchenhaft auf dem Hintergrunde der indischen Sagenwelt abspielte, den hohen Gästen vorführen wollte. Man versprach sich einen ungewöhnlichen Erfolg davon.

Das war die Lage der Dinge, als Herbert von Wallmoden zurückkehrte, der natürlich dadurch aufs peinlichste überrascht wurde. Er hatte allerdings auf eine kurze, wie beiläufig hingeworfene Frage von seiner Frau erfahren, daß Rojanow noch in Fürstenstein verkehre, aber er hatte auch nicht auf ein plötzliches Verschwinden desselben gerechnet, das nothwendig hätte auffallen müssen. Dagegen war er der festen Ueberzeugung, Hartmut werde, trotz seiner hochmüthigen Erklärung, bleiben zu wollen, sich eines Besseren besinnen und, sobald Fürst Adelsberg Rodeck verließ, seinen Rückzug antreten. Jedenfalls durfte er es nicht wagen, an der Seite des Fürsten in der Stadt zu erscheinen, wo man ihm mit den angedrohten „Aufklärungen“ das Auftreten unmöglich machen konnte.

Aber der Gesandte hatte nicht mit dem unbeugsamen Trotze des Mannes gerechnet, der in der That auch hier ein hohes Spiel wagte. Jetzt, nach wenigen Wochen, fand er ihn bereits in einer nach allen Seiten hin bevorzugten Stellung, im engsten Verkehr mit dem Hofe und der Gesellschaft. Wenn man jetzt, unmittelbar vor der Aufführung eines Werkes, das der Herzog so auffallend begünstigte, von dem bereits die ganze Stadt sprach, Enthüllungen über das Vorleben des Dichters brachte, so mußte das in allen Kreisen ebenso peinlich berühren als gehässig erscheinen. Der erfahrene Diplomat verhehlte sich nicht, daß die tiefe Mißstimmung, die dann zweifellos bei dem Herzog eintrat, auf ihn selbst zurückfallen würde, weil er nicht rechtzeitig, bei dem ersten Erscheinen Rojanows, gesprochen hatte. Es blieb nichts übrig, als einstweilen noch abzuwarten und zu schweigen.

Wallmoden war weit entfernt, zu ahnen, daß gerade ihm von jener Seite eine schwere Gefahr gedroht hatte, denn er nahm an, seine Frau kenne Hartmut höchstens als Begleiter des Fürsten Adelsberg. Sie hatte den Namen nicht wieder ausgesprochen, seit sie damals bei ihrer Ankunft in Berlin auf eine anscheinend flüchtige Frage eine ebenso flüchtige Antwort gab, und er hatte das gleichfalls nicht gethan. Sie sollte und durfte nicht von jenen alten Beziehungen erfahren, die er ihr von Anfang an verschwiegen hatte.

Aber seinem Neffen Willibald gegenüber durfte er nicht schweigen, wenn er nicht eine ähnliche Erkennungsscene erleben wollte wie damals auf dem Hochberg. Der junge Majoratsherr hatte seine Verwandten nach Süddeutschland begleitet, sollte aber nur einige Tage in der Residenzstadt bleiben und sich dann nach Fürstenstein zu seiner Braut begeben, denn der Oberforstmeister forderte nachdrücklichst, daß der im September so plötzlich abgebrochene Besuch nunmehr nachgeholt werde.

„Ihr seid kaum acht Tage hier gewesen,“ schrieb er seiner Schwägerin, „und jetzt bitte ich mir meinen Herrn Schwiegersohn doch auf etwas länger aus. In Eurem vielgeliebten Burgsdorf ist ja nun glücklich alles wieder in Ordnung gebracht und zu thun giebt es auch nicht viel im November. Also schicke uns wenigstens den Willy, wenn Du nicht abkommen kannst. Ein Nein wird nicht angenommen, Toni erwartet ihren Bräutigam – Punktum!“

Frau von Eschenhagen sah ein, daß er recht hatte, und war auch geneigt, ihren Willy zu schicken, denn sie bestimmte natürlich allein über seine Reise. Er hatte keinen Versuch mehr gemacht, sich gegen die mütterliche Herrschaft aufzulehnen, und schien überhaupt vollständig wieder zu Vernunft gekommen zu sein. Er war wohl stiller als sonst und stürzte sich nach der Rückkehr mit ganz ungewohntem Eifer in seine landwirthschaftliche Thätigkeit, benahm sich aber sonst musterhaft. Nur in einem Punkte blieb er hartnäckig: er wollte seiner Mutter durchaus nicht Rede stehen über jene „Dummheit“, welche damals die plötzliche Abreise veranlaßt hatte, und vermied jede Erörterung darüber. Er schämte sich offenbar jener flüchtig auflodernden Regung, die wohl überhaupt nie bedenklich gewesen war, und wollte nicht daran erinnert sein. Uebrigens schrieb er regelmäßig an seine Braut und erhielt ebenso pünktlich Antwort. Der Briefwechsel war allerdings mehr praktischer als zärtlicher Natur und drehte sich hauptsächlich um Wohnungs- und Wirthschaftseinrichtungen, aber man ersah doch daraus, daß der junge Majoratsherr seine Heirath, für welche der Zeitpunkt bereits festgesetzt war, als selbstverständlich betrachtete, und Frau Regine, die es als ihr unbestreitbares Recht ansah, die Briefe des Brautpaares zu lesen, erklärte sich zufrieden mit denselben.

Willibald erhielt also die allerhöchste Erlaubniß, seine Braut besuchen zu dürfen, was um so weniger bedenklich war, als die gefährliche kleine Person, diese Marietta Volkmar, jetzt in der Stadt weilte, wo ihre Stellung sie festhielt. Um aber ganz sicher zu gehen, stellte Frau von Eschenhagen ihren Sohn unter den Schutz ihres Bruders, der auf der Rückreise von den Stahlbergschen Werken mit seiner Frau einen kurzen Besuch in Burgsdorf abgestattet hatte. Wenn Willibald während der zwei oder drei Tage seines Aufenthaltes in der Stadt im Wallmodenschen Hause wohnte und ausschließlich dort verkehrte, war nichts zu besorgen.

Der Gesandte sah nun freilich sofort nach der Ankunft ein, daß er genöthigt sein werde, seinen Neffen aufzuklären, denn der Name Hartmut Rojanow wurde schon am ersten Tage von verschiedenen Seiten genannt. Willy, der seinerzeit der Vertraute der geheimen Zusammenkünfte Hartmuts mit seiner Mutter gewesen war und deren Namen und Abstammung kannte, horchte auf dabei, und die Bemerkung, daß es sich um einen jungen Rumänen handele, machte ihn vollends stutzig. Er sah in äußerster Betroffenheit seinen Onkel an, der ihm noch rechtzeitig einen Wink gab, nicht weiter zu fragen, und dann das erste Alleinsein benutzte, um ihm die Wahrheit zu enthüllen.

Er that das selbstverständlich in der rücksichtslosesten Weise und stellte Hartmut als einen Abenteurer der schlimmsten Art dar, den er schon in der nächsten Zeit zwingen werde, die Rolle aufzugeben, die er hier so unberechtigterweise spiele.

Dem armen Willibald wirbelte der Kopf bei diesen Nachrichten. Sein Jugendfreund, an dem er stets mit herzlicher Zuneigung gehangen hatte und noch immer hing trotz des Verdammungsurtheils, das man daheim über ihn fällte, war hier, in seiner unmittelbaren Nähe, und er durfte ihn nicht wiedersehen, nicht einmal kennen, wenn der Zufall eine Begegnung herbeiführte! Das letztere schärfte Wallmoden seinem Neffen besonders ein, und dieser, ganz betäubt, versprach auch Gehorsam und Schweigen sowohl Adelheid als seiner Braut und dem Oberforstmeister gegenüber, aber begreifen konnte er die Sache noch lange nicht. Er brauchte Zeit dazu, wie überhaupt zu allen Dingen.

Der Tag, an welchem „Arivana“ auf der Bühne erscheinen sollte, war herangekommen. Es war das erste Werk eines jungen, als Dichter noch ganz unbekannten Verfassers, aber die Umstände machten es zu einem künstlerischen Ereigniß, dem man mit allseitiger Spannung entgegensah. Das Hoftheater war beim Beginn der Vorstellung bis auf den letzten Platz gefüllt, und jetzt erschien auch das fürstliche Paar mit seinen Gästen und nahm in der großen Hofloge Platz. Die Aufführung hatte, obgleich das nicht förmlich angekündigt war, doch den Charakter einer Festvorstellung, und das in all seinen Räumen blendend erhellte Haus und der reiche Schmuck der Damen trugen dem Rechnung.

Fürst Adelsberg, der gleichfalls in der Hofloge erschien, war so aufgeregt, als habe er selbst das Drama geschrieben. Uebrigens befand er sich heute in einer ebenso seltenen als erfreulichen Uebereinstimmung mit seiner allergnädigsten Tante, die ihn zu sich gerufen hatte und gerade jetzt mit ihm über die Dichtung sprach, die sie mit ihrer höchsten Aufmerksamkeit beehrte.

„Unser junger Dichter scheint Launen zu haben wie alle Poeten,“ bemerkte sie. „Welch ein Einfall, noch in letzter Stunde den Namen der Heldin zu ändern!“

„In letzter Stunde geschah das gerade nicht,“ entgegnete Egon, „die Aenderung wurde schon in Rodeck vorgenommen. Hartmut hatte es sich auf einmal in den Kopf gesetzt, der Name ‚Ada‘ sei zu kühl und rein für die Gluthgestalt seiner Heldin, und sie wurde ohne weiteres umgetauft!“

„Aber der Name Ada steht doch hier auf dem Theaterzettel,“ warf die Prinzessin ein.

„Gewiß, aber er ist auf eine ganz andere Person des Dramas übergegangen, die überhaupt nur in einer einzigen Scene auftritt.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_279.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)