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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

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so eine Art Schöngeist und glaubt in Dir eine verwandte Seele gefunden zu haben. Gott sei Dank! Dann befiehlt sie mich wenigstens nicht fortwährend an ihre Seite und vielleicht vergißt sie darüber auch die unglückseligen Heirathspläne. Aber Du scheinst mir sehr unempfindlich zu sein gegen die fürstlichen Liebenswürdigkeiten, die schon gestern von allen Seiten auf Dich einregneten. Du antwortest ja kaum, bist Du nicht wohl?“

„Ich bin müde! Ich wollte, ich könnte all diesem Lärm entrinnen und mich nach dem stillen Rodeck flüchten.“

„Nach Rodeck? Nun, da muß es jetzt lieblich sein, im Novembernebel und in den nassen entblätterten Wäldern. Brrr – ein wahrer Gespensteraufenthalt!“

„Gleichviel, ich habe eine förmliche Sehnsucht nach dieser düsteren Einsamkeit und ich gehe auch nächstens auf einige Tage dorthin. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen?“

„Sehr viel habe ich dagegen!“ rief Egon entrüstet. „Ich bitte Dich um Gotteswillen, was ist das für ein Einfall! Jetzt, wo die ganze Stadt den Dichter der ‚Arivana‘ auf den Schild hebt, willst Du ihr Deine hohe Gegenwart entziehen und all den Triumphen und Huldigungen entfliehen, um Dich bei lebendigem Leibe in ein spukhaftes kleines Waldnest zu vergraben, das höchstens bei Sonnenschein erträglich ist. Man wird das unerhört finden.“

„Meinetwegen! Ich brauche jetzt Einsamkeit und Ruhe – Ich gehe nach Rodeck!“

Der junge Fürst schüttelte den Kopf. Er war es zwar gewohnt, daß sein Freund in dieser herrischen rücksichtslosen Weise verfügte, wenn ihn gerade die Laune anwandelte, und hatte ihn selbst nach Kräften darin verwöhnt; dieser Einfall aber erschien ihm doch gar zu sonderbar.

„Ich glaube, unsere Allergnädigste hat recht,“ sagte er, halb scherzend, halb vorwurfsvoll. „Sie meinte gestern im Theater: ‚Unser junger Dichter hat Launen, wie alle Poeten!‘ Ich finde das auch. Was hast Du denn eigentlich, Hartmut? Gestern und heute den ganzen Tag strahltest Du nur Triumph und Freude, und jetzt, wo ich Dich kaum eine Stunde allein gelassen habe, finde ich Dich in einem förmlichen Schwermuthsanfall. Haben Dich etwa die Zeitungen geärgert? Vielleicht irgend eine boshafte, neidische Kritik?“

Er deutete nach dem Schreibtische, wo die Abendzeitungen entfaltet lagen.

„Nein, nein!“ entgegnete Rojanow hastig, aber er wandte dabei den Kopf seitwärts, so daß sein Gesicht im Schatten blieb.„Die Blätter bringen ja erst vorläufige Besprechungen und die sind sämmtlich schmeichelhaft. Du weißt ja, ich bin bisweilen solchen Stimmungen unterworfen, die mich oft ohne jede Ursache überfallen.“

„Ja, das weiß ich, aber jetzt, wo das Glück Dich von allen Seiten überströmt, sollten sie Dir doch fern bleiben. Du siehst wirklich angegriffen aus, das kommt von der Aufregung, die wir beide in den letzten Wochen durchgemacht haben.“

Er beugte sich besorgt über den Freund, der ihm, wie in aufwallender Reue über sein schroffes Wesen, die Hand hinstreckte.

„Verzeih, Egon! Du mußt Geduld mit mir haben – es wird vorübergehen.“

„Das hoffe ich, denn ich will doch heut abend Ehre einlegen mit meinem Dichter. Jetzt aber werde ich gehen, damit Du Dich ausruhen kannst. Laß Dich heut von niemand mehr stören, wir haben noch drei volle Stunden bis zur Abfahrt.“

Der junge Fürst ging. Er hatte es nicht gesehen, wie bitter es um Hartmuts Lippen zuckte, als er von dem „überströmenden Glück“ sprach, und doch hatte er die Wahrheit gesprochen. Ruhm war ja Glück, vielleicht das höchste im Leben, und der heutige Tag hatte den Triumph des gestrigen nur fortgesetzt bis plötzlich, vor einer Stunde, ein greller Mißton in diese schmeichelnden Klänge gefallen war.

Der junge Dichter hatte, als er in sein Zimmer zurückkehrte, die Zeitungen durchflogen, die er auf denm Schreibtische fand. Sie brachten zwar noch keine ausführlichen Besprechungen der „Arivana“, erkannten aber einstimmig den großen Erfolg und den mächtigen Eindruck des Werkes an und verhießen eingehende Kritiken für morgen; überall war von Hartmut Rojanow die Rede. Da stieß dieser, als er das letzte Blatt umwandte, auf einen anderen Namen, bei dem es ihn mit jäher, schreckensvoller Ueberraschung durchzuckte. Im nächsten Augenblick erkannte er freilich, daß er nicht damit gemeint war. Die betreffende Notiz berichtete, die jüngste Reise des preußischen Gesandten nach Berlin scheine doch bedeutungsvoller gewesen zu sein, als man annehme. Herr von Walmoden habe in der Audienz, die er gleich nach seiner Ankunft bei dem Herzog gehabt, offenbar wichtige Dinge zur Sprache gebracht, und jetzt werde ein höherer preußischer Offizier erwartet, der Träger einer besonderen Sendung bei Seiner Hoheit sei. Es handele sich zweifellos um militärische Angelegenheiten, und Oberst Hartmut von Falkenried werde schon in den nächsten Tagen eintreffen.

Hartmut hatte das Blatt fallen lassen, als sei es plötzlich glühendes Eisen geworden. Sein Vater kam hierher und erfuhr dann sicher durch Walmoden alles, musste alles erfahren; die Möglichkeit eines Zusammentreffens war ja dann unendlich nahe gerückt!

„Wenn Du Dir eine große, stolze Zukunft errungen hast, dann tritt wieder vor ihn hin und frage, ob er es noch wagt, Dich zu verachten!“ hatte Zalika ihrem Sohne zugeflüstert, als er sich gegen die Flucht, gegen den Bruch seines Ehrenwortes sträubte. Jetzt war der Anfang zu dieser Zukunft gemacht. Der Name Rojanow trug bereits den Lorbeer des Dichters, und damit war die ganze Vergangenheit ausgelöscht; sie sollte und mußte es sein, diese Ueberzeugung stand in dem Blick, den Hartmut gestern so triumphierend zu der Loge des Gesandten emporgeschickt hatte. Aber jetzt, wo es sich darum handelte, dem Auge des Vaters zu begegnen, erbebte der Trotzige doch, dies Auge war das einzige, was er fürchtete auf der Welt.

Er war halb und halb entschlossen, nach Rodeck zu gehen und erst zurückzukehren, wenn er durch die Zeitungen erführe, daß jener „hohe Offizier“ wieder abgereist sei. Und doch hielt ihn etwas, eine geheime, aber brennende Sehnsucht. Vielleicht war gerade jetzt, wo sein Dichterruhm so glänzend aufstieg, die Stunde der Versöhnung gekommen, vielleicht sah Falkenried ein, daß eine solche Kraft Freiheit und Leben brauchte, um sich zu enthalten, und verzieh den unseligen Knabenstreich, der ihn bei seinen Anschauungen sicher tief und schwer getroffen hatte. Es war ja doch sein Kind, sein einziger Sohn, den er damals an jenem letzten Abende in Burgsdorf mit so leidenschaftlicher Zärtlichkeit in die Arme geschlossen hatte. In der Seele Hartmuts wuchs bei dieser Erinnerung übermächtig die Sehnsucht nach diesen Armen, nach der Heimath, die ihm ja dann auch nicht mehr verloren war, nach der ganzen, trotz des äußeren Zwanges doch so glücklichen, so reinen und schuldlosen Knabenzeit.

Da öffnete sich die Thür, und der Diener trat ein mit einer Karte auf dem Teller, die er überreichen wollte. Rojanow machte eine ungeduldig zurückweisende Bewegung.

„Ich sagte Ihnen doch, daß ich heute niemand mehr spreche, ich will ungestört sein.“

„Ich habe den Herrn auch abgewiesen,“ berichtete der Diener, „aber er bat mich, in diesem Falle Herrn Rojanow wenigstens seinen Namen zu nennen – Willibald von Eschenhagen.“

Hartmut fuhr plötzlich aus seiner liegenden Stellung empor, er glaubte nicht recht gehört zu haben.

„Wie nennt sich der Herr?“

„Von Eschenhagen, hier ist seine Karte.“

„Ah – lassen Sie ihn eintreten! Sofort!“

Der Diener ging, und in der nächsten Minute trat Willibald ein, blieb aber ungewiß und zögernd an der Thür stehen. Hartmut war aufgesprungen und blickte ihm entgegen: ja, das waren noch die alten Züge, das liebe vertraute Gesicht, die ehrlichen blauen Augen seines Jugendfreundes, und mit dem leidenschaftlichen Ausrufe: „Willy! Mein alter lieber Willy, Du bist es! Du kommst zu mir!“ warf er sich stürmisch an seine Brust.

Der junge Majoratsherr, der nicht ahnte, wie seltsam sein Erscheinen gerade in diesem Augenblick mit alten Erinnerungsträumen seines Jugendfreundes zusammenfiel, war fast bestürzt über diesen Empfang. Er erinnerte sich, wie Hartmut sich immer herrisch gegen ihn gezeigt und ihn seine geistige Ueberlegenheit bei jeder Gelegenheit hatte fühlen lassen; er hatte gemeint, der gestern so hoch gefeierte Dichter der „Arivana“ müsse noch viel herrischer und hochmüthiger sein, und nun fand er eine überströmende Zärtlichkeit.

(Fortsetzung folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_284.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)