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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

neben dem jungen Manne auf dem Tische lag! Sie konnten es gar nicht begreifen, daß man mit einem solch unscheinbaren Instrumente solche Töne hervorzubringen vermöchte. Justinus Kerner aber überreichte, als Karl Eulenstrin ihn einige Wochen später in Weinsberg besuchte, ihm folgendes auf ihn und sein Maultrommelspiel verfaßtes Gedicht[1]:

„Kommt von Bienen, was ich höre?
0Nein, die schwärmen nicht bei Nacht!
Nun erklingt’s wie Geisterchöre
0Zarter Sylphen klar und sacht;
Nun wie Glöcklein, die im Berge
Rühren geisterhafte Zwerge.

Und aus diesen Tönen heben
0Sich Gestalten zart und klar –
Sterne – Sterne seh ich schweben,
0Zauberzeichen wunderbar;
Schaffet Licht, auf daß wir finden,
Welch ein Zauber uns will binden.

Ha! Es ist mit seinem Eisen
0Der bekannte gute Geist,
Der durch überird’sche Weisen
0Uns ins Land der Geister weist.
Doch er schweigt, und langsam wieder
Sinken wir zur Erde nieder.“

Das ist ganz der Sänger von Weinsberg, der romantische Arzt der Seherin von Prevorst, der Mann mit dem feinen Ohr für Geister- und Sphärenmusik! Der kluge kleine Karl aber behielt von diesem ersten, im Dunkeln geschehenen Auftreten für alle späteren Zeiten das bei, daß er, auf die Kraftübertragung der Sinne unter sich rechnend, die Zimmer womöglich dunkel oder dämmerig machen ließ, ehe er die zarten Klänge seiner eisernen Miniaturlyra anstimmte.

Des ehrwürdigen Meisters Gedicht machte solch tiefen Eindruck auf den Jungen, daß er damals auf dem Heimwege von Weinsberg nach Heilbronn den Entschluß faßte, sich zum berufsmäßigen Virtuosen auf diesem Instrumente auszubilden, ein Entschluß, der noch bestärkt wurde, als um jene Zeit der Maultrommelvirtuose Koch auf seinen Konzertreisen nach Heilbronn kam. Eulenstein hörte ihn und ruhte nicht, bis er nach einigen Monaten den ganzen Konzertzettel Kochs ebenfalls spielen konnte.

Eulenstein war am Schluß seiner Lehrzeit 19 Jahre alt und wollte nun seinen Plan, als Virtuose zu reisen, ausführen; allein da er gänzlich mittellos, ja selbst ohne die zu einem öffentlichen Auftreten nöthigen Kleider war, sein Onkel aber seinen Plan als abenteuerlich und unsinnig verlachte, durfte er dem Rufe der Musen einstweilen nicht folgen. Ein Verwandter in Lüneburg, ein Konditor, bot ihm zu jener Zeit an, auf vier Jahre ohne Lehrgeld bei ihm einzutreten, und da sich nichts anderes bot, reiste Eulenstein am 11. Oktober 1821 nach schwerem Abschiede von seiner Mutter ab und wanderte 18 Tage lang zu Fuß nach Lüneburg, wo er todmüde ankam, aber schon am andern Morgen um sechs Uhr in der Backstube antreten mußte. Da es gegen Weihnachten ging, blühte für den Konditor gerade das Geschäft . . . von sechs Uhr früh bis nachts elf, ja sehr oft bis zwölf und ein Uhr wurde streng gearbeitet, und vorläufig blieb unserem Kunstjünger nichts übrig, als Mandeln zu reiben und Zucker zu stoßen. Und doch vergaß er alle Tageslast und Backstubenhitze, wenn er die Maultrommel an seine Lippen setzen konnte – nach dem späten Feierabend spielte er noch jede Nacht in der Backstube, bis ihm vor Müdigkeit die Augen zufielen.

Und dennoch fand Eulenstein gerade in diesem Geschäfte den Weg zur Oeffentlichkeit. Mit der Konditorei war eine Wirthschaft mit Billard verbunden. Der aufgeweckte Karl schien dem Besitzer der richtige Mann zur höheren Kellnerei und Billardbedienung, in Abwechslung mit dem Sohne des Hauses. Oftmals am Tage mußte er jetzt den Teiglöffel weglegen, um den Gästen aufzuwarten; aber er that es gerne, forderten sie ihn doch mehr und mehr auf, ihnen etwas auf der Maultrommel vorzuspielen. Der Herr des Hauses lachte sich dazu ins Fäustchen . . . das lockte die Leute her; für Karl aber hatte es den großen Vorzug, daß er viel üben und seine große Schüchternheit vor zuhörendem Publikum allmählich überwinden lernen konnte.

Der Konditor in Lüneburg, ein unternehmender Mann, faßte den Gedanken, hinter seinem Hause ein Theater zu bauen. Damit kamen Schauspieler und Musiker in die Konditorei. Einige von den letzteren machten viel Aufhebens von Eulensteins Maultrommel, und als um jene Zeit der Virtuose Kunert in Lüneburg ein Konzert gab, hieß es: Eulenstein spielt ebenso gut. Wenn aber viele das glaubten, einer wußte es besser, nämlich Eulenstein selbst, der – im Gegensatz zu so vielen jugendlichen Talenten – von frühauf jenes heilsame Mißtrauen in das eigene Können besaß, welches der Sporn und Stachel wird zu immer neuem, zähem Fleiß, unermüdlichem, rastlos ausdauerndem Studium.

Am Schluß der Lehrjahre bei dem Konditor durfte Eulenstein ein „Abschiedskonzert“ in dem Theater seines Prinzipals geben – es gingen 65 Thaler ein und er fand großen Beifall, obschon er von einer namenlosen Angst gepeinigt ward und diese ihm den zum Maultrommelspiel so nöthigen ruhigen Athem benahm.

Was Wunder, daß der junge Mann nach diesem Erfolge Muth faßte zu einer Kunstreise! Und darin erschütterte ihn nicht einmal ein Brief des Onkels aus Heilbronn, der auf die Nachricht von jenem Konzerte ihm – sicher wohlmeinend und bei tausend anderen jungen Leuten berechtigt, aber gerade diesem Talente gegenüber nicht angebracht – schrieb: „Ein wahrer Musikus, welcher Klavier spielt, den Generalbaß kann und alle Blasinstrumente spielt, kannst Du doch nie werden. Weißt Du das Sprichwort nicht: ‚viel rutschen macht böse Hosen‘ oder ein Mensch, der das zweite und dritte Handwerk ergreift, wird ein Taugenichts oder ein Bettler? Willst Du ein brauchbarer Musikantengesell (wörtlich) werden, so mußt Du Dich zu jedem Instrument gebrauchen lassen können, oder willst Du etwa ein Virtuose auf einem Instrumente werden? Wie ist das möglich und wo sind denn die reichen Musici und Virtuosen zu finden, die imstande sind, eine Mutter zu ernähren? Ich könnte Dir Dutzende von Musikanten herzählen, die ihr Leben in Jammer und Elend, Hunger und Kummer aushauchten. Musikanten, Musiker, Virtuosen und Komödianten sind alle dem Zufall unterworfen und nehmen meistens ein trauriges Ende. Darum bitte ich Dich, bleibe bei Deinem erlernten Handwerk, das einen goldenen Boden hat. Folge mir und den sachverständigen Freunden, die ich darüber gehört und die Deinen Plan herzinnig tadeln und verachten. Traue auf Gott, bete, lerne und arbeite fleißig, so wird es Dir dereinst gelingen. Das ist die wahre Gesinnung
 Deines Dich liebenden Onkels J. C. K.“

Ach, der wackere Färbermeister, dem dieser Brief im Grunde alle Ehre macht, hatte ja in manchem so recht . . . Eulenstein sollte es nur zu bald erfahren! Denn als er trotz dieser Abmahnung nun doch sich aufmachte zu seiner Kunstreise, indem er mit einem jungen Knopfmacher als Handwerksbursche die Landstraße dahinpilgerte, wollte es ihm trotz aller Anstrengungen weder in Celle, noch in Braunschweig, Göttingen, Kassel und Frankfurt gelingen, ein Konzert zustande zu bringen. Schon war er im Begriffe, sich wieder nach einer Stelle umzusehen, als ihn die Nachricht vom Tode seines Großvaters in seine Heimathstadt zurückrief. Er hatte eine Reise von 140 Stunden gemacht, ohne ein einziges Konzert! Trotzdem kam er in Heilbronn mit 11 Dukaten[2] in der Tasche an, eine für seine damaligen Verhältnisse große Summe, welche uns einen Einblick gewährt in einen hervorstechenden Zug dieses Charakterbildes: eine schier ins Unbegreifliche gehende Bedürfnißlosigkeit und damit verbundene beispiellose Sparsamkeit, vermöge deren er trotz alles zeitweisen Unglückes sich immer wieder durchkämpfte zu der Möglichkeit, den Traum seines Lebens zu verwirklichen.

Natürlich suchte er in der Heimath bald seinen alten Beschützer Dr. Justinus Kerner in Weinsberg wieder auf und erhielt von ihm einen Empfehlungsbrief nach Oehringen, der ihm der Schlüssel wurde zum Landsitz der Fürsten von Hohenlohe-Oehringen in Friedrichsruhe. Als er vormittags um 11 Uhr die Nachricht erhielt, daß er vor der Fürstin spielen dürfe, befiel ihn eine derartige Angst, daß er bis zum Abend keinen Bissen essen konnte. Am Abend ließ er beim Hereintreten in den Saal auch glücklich seinen Hut fallen, stolperte unter vielen Bücklingen nach dem Tische, wo seine Maultrommeln schon gerüstet lagen, und wie sein Spiel ausfiel, mag man daraus entnehmen, daß nach seinem eigenen Zeugniß ihm sogar einige Maultrommeln aus der Hand glitten, so groß war seine Verlegenheit.

Die Fürstin aber schien sich an dem jungen „Maultrommler“ doch weidlich ergötzt zu haben, denn nicht nur erhielt er für sein Spiel 4 Kronenthaler (etwa 181/2 Mark) nebst gnädiger Versicherung

  1. Die hier mitgetheilte Fassung des Gedichtes ist diejenige, welche Kerner selbst in Eulensteins Stammbuch schrieb. Der etwas abweichende Text in der Cottaschen Ausgabe von Kerners Ausgewählten poetischen Werken beruht auf späterer Ueberarbeitung durch den Dichter.
  2. 1 Dukaten etwa = 91/2 Mark.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_318.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)