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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und kann, und der Herr Bräutigam läuft immer mit und benutzt das zu den Zusammenkünften, das ist ja himmelschreiend! Du hast etwas Schönes erzogen an Deinem Mustersohne, Regine!“

„Denkst Du vielleicht, ich werde ihn entschuldigen?“ fuhr Regine auf. „Er soll mir, uns beiden, Rede stehen, deshalb bin ich gekommen. Er soll mich kennenlernen!“

Sie hob wie zu einem Racheschwur die Hand empor, und Schönau, der noch immer durch das Zimmer stürzte, wiederholte zornschnaubend: „Ja, er soll uns kennenlernen!“

Da öffnete sich die Thür, und mitten in diese Aufregung hinein trat die verrathene Braut, Fräulein Antonie von Schönau, ruhig und bedächtig wie immer, und sagte im harmlosesten Tone: „Ich höre eben von Deiner unvermutheten Ankunft, liebe Tante – herzlich willkommen!“

Sie erhielt keine Antwort, statt dessen schallte ihr von zwei Seiten die grimmige Frage entgegen:

„Wo ist Willibald?“

„Er wird sogleich, kommen, er ist nur auf einige Minuten zu dem Schloßgärtner gegangen, da er noch nichts von der Ankunft seiner Mutter wußte.“

„Zum Schloßgärtner? Wohl wieder, um Rosen zu holen wie damals?“ brach Frau von Eschenhagen los; der Oberforstmeister aber breitete die Arme aus und rief in erschütternden Tönen:

„Mein Kind, mein armes verrathenes Kind, komm zu mir! Komm in die Arme Deines Vaters!“

Er wollte die Tochter an seine Brust reißen, aber da kam Regine von der anderen Seite und riß sie gleichfalls an sich, indem sie ebenso erschütternd rief:

„Fasse Dich, Toni, Dir steht ein furchtbarer Schlag bevor, aber Du mußt ihn tragen. Du mußt Deinem Bräutigam zeigen, daß Du ihn und seinen Verrath verabscheust in tiefster Seele!“

Diese stürmische Theilnahme hatte etwas geradezu Beängstigendes, aber zum Glück besaß Antonie starke Nerven; sie machte sich los aus der doppelten Umarmung, trat zurück und sagte mit ruhiger Entschiedenheit:

„Das fällt mir gar nicht ein, der Willy fängt jetzt erst an, mir eigentlich zu gefallen.“

„Um so schlimmer!“ fiel Schönau ein. „Armes Kind, Du weißt ja noch nichts, ahnst noch gar nichts! Dein Bräutigam hat sich geschossen, hat ein Duell gehabt um einer anderen willen!“

„Das weiß ich, Papa.“

„Um Mariettas willen!“ erläuterte Frau von Eschenhagen.

„Das weiß ich, liebe Tante.“

„Aber er liebt Marietta!“ schrieen jetzt die beiden einstimmig.

„Weiß ich alles!“ erklärte Toni mit überlegener Miene. „Schon seit acht Tagen.“

Die Wirkung dieser Erklärung war eine so niederschmetternde, daß die beiden wüthenden Herrschaften verstummten und sich ganz verblüfft ansahen. Inzwischen fuhr Toni mit unzerstörbarer Gelassenheit fort:

„Willy hat mir gleich nach seiner Ankunft alles gesagt; er sprach so schön und herzlich, daß ich weinte vor Rührung, und gleichzeitig traf ein Brief von Marietta ein, in dem sie mich um Verzeihung bat, das war noch viel rührender. Da blieb mir doch nichts anderes übrig, als meinem Bräutigam sein Wort und die Freiheit zurückzugeben.“

„Ohne uns zu fragen?“ fuhr Regine auf.

„Das Fragen hätte in diesem Falle gar nichts genützt,“ sagte Antonie ruhig. „Ich kann doch nicht einen Mann heirathen, der mir erklärt, daß er eine andere liebt. Wir haben deshalb in aller Stille unsere Verlobung aufgehoben.“

„So, und das erfahre ich jetzt erst? Ihr seid ja sehr eigenmächtig geworden!“ rief der Oberforstmeister gereizt.

„Willy wollte schon am nächsten Tage mit Dir sprechen, Papa, aber nach einer solchen Erklärung hätte er doch nicht länger hier bleiben können, und nun kam gerade die schwere Erkrankung des Doktor Volkmar und Mariettas Ankunft. Sie war ganz verzweifelt, die arme Marietta, und dem Willy brach fast das Herz darüber, daß er sie in dieser Angst allein lassen und abreisen sollte, ohne zu wissen, welche Wendung die Krankheit nahm. Da schlug ich ihm vor, einstweilen noch zu schweigen, bis die Gefahr vorüber sei, aber ich ging täglich mit ihm nach Waldhofen, damit er Marietta sehen und trösten konnte. Sie waren mir so dankbar, die beiden, sie haben mich den Schutzengel ihrer Liebe genannt!“

Die junge Dame schien das wiederum sehr rührend zu finden, denn sie führte ihr Taschentuch an die Augen. Frau von Eschenhagen stand starr und steif wie eine Bildsäule, Schönau aber faltete die Hände und sagte mit einem Stoßseufzer: „Nun, Gott segne Deine Gutmüthigkeit, mein Kind! So etwas ist denn doch noch nicht dagewesen! Aber gemüthlich habt Ihr die Geschichte abgemacht, das muß man zugestehen. Du hast also ganz ruhig dabei gesessen und es mit angesehen, wie Dein Bräutigam einer anderen schön that?“

Antonie schüttelte unwillig den Kopf. Sie gefiel sich offenbar sehr in der Rolle eines Schutzengels und fand sich ohne große Schwierigkeit darein, da ihre Zuneigung zu dem Verlobten von Anfang an eine sehr kühle gewesen war.

„Von Schönthun war gar keine Rede, dazu war der Doktor viel zu krank,“ versetzte sie. „Marietta weinte fortwährend, und wir hatten genug zu thun, sie nur zu trösten. Ihr seht jetzt doch ein, daß ich ganz und gar nicht verrathen bin und daß Willy offen und ehrlich gehandelt hat. Ich selbst habe ihn aufgefordert, noch zu schweigen gegen Euch, und im Grunde geht die Sache doch auch nur uns beide an –“

„Findest Du das? Uns geht sie also gar nichts an?“ warf der Oberforstmeister zornig dazwischen.

„Nein, Papa! Willy meint, man dürfe sich in solchem Falle gar nicht um die Eltern kümmern.“

Was meint Willy?“ fragte Frau von Eschenhagen, die bei dieser unerhörten Behauptung die Sprache zurückgewann.

„Daß man sich lieben muß, um zu heirathen, und da hat er recht,“ erklärte Toni mit ungewohnter Lebhaftigkeit. „Bei unserer Verlobung ist nicht die Rede davon gewesen, wir sind eigentlich gar nicht gefragt worden, aber zum zweiten Male lasse ich mir das nicht wieder gefallen. Ich sehe erst jetzt, was es heißt, wenn zwei sich von ganzem Herzen liebhaben, und wie merkwürdig Willy sich dabei verändert hat. Jetzt will ich auch so geliebt werden wie Marietta, und wenn ich nicht einen Mann finde, der mich ganz genau ebenso liebt, dann heirathe ich überhaupt nicht!“

Und mit dieser Erklärung, die an Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig ließ, schritt Fräulein Antonie hochgehobenen Hauptes aus dem Zimmer, Vater und Tante in einer ganz unbeschreiblichen Stimmung zurücklassend.

Der Oberforstmeister faßte sich zuerst; allerdings verrieth sich noch ein mühsam unterdrückter Aerger in seiner Stimme, als er sich an seine Schwägerin wandte und sagte: „Dein Junge hat etwas Hübsches angerichtet, Regine! Jetzt will Toni auch geliebt sein und fängt an, sich romantische Grillen in den Kopf zu setzen, und Willy scheint in dem Punkte schon ziemlich weit zu sein. Ich glaube wahrhaftig, er hat die zweite Liebeserklärung allein zustande gebracht.“

Frau von Eschenhagen beachtete die bittere Anspielung auf ihr damaliges Eingreifen nicht, ihr Gesicht hatte einen Ausdruck, der nichts Gutes verhieß.

„Du scheinst die Angelegenheit von der komischen Seite zu nehmen,“ versetzte sie. „Ich fasse sie anders auf.“

„Das wird Dir nicht viel helfen,“ meinte Schönau; „wenn ein solcher Musterknabe erst einmal anfängt zu rebelliren, dann ist die Geschichte meistentheils hoffnungslos, besonders wenn er verliebt ist. Aber ich bin doch neugierig, wie der Willy sich eigentlich als Liebhaber ausnimmt, das muß ein ganz merkwürdiger Anblick sein!“

Seine Neugier sollte auf der Stelle befriedigt werden, denn jetzt erschien Willibald. Er hatte inzwischen schon die Ankunft seiner Mutter erfahren, war also einigermaßen vorbereitet, denn daß es etwas Besonderes sein mußte, was sie so unerwartet nach Fürstenstein führte, konnte er sich sagen. Der junge Majoratsherr wich aber diesmal nicht ängstlich zurück wie vor zwei Monaten, wo er die Rosen in der Tasche versteckt hatte, sondern seine Haltung verrieth, daß er entschlossen war, den nun einmal unvermeidlichen Kampf aufzunehmen.

„Da ist Deine Mutter, Willy,“ begann der Oberforstmeister.

„Du bist wohl recht überrascht, sie hier zu sehen?“

„Nein, Onkel, das bin ich nicht,“ lautete die Antwort; der junge Mann machte aber keinen Versuch, sich seiner Mutter zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_347.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)