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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

zu haben wie heute in dem tiefen düsteren Schwarz, in dem Kreppschleier, unter dem das blonde Haar schimmerte. Sein Blick streifte immer wieder dies schöne, blonde Haupt, und immer wieder fragte er sich, was denn eigentlich mit diesem Antlitz vorgegangen sei, daß es so ganz anders erschien als sonst.

Auch Egon hatte die Frau, an deren Seite er jetzt dahinschritt, bisher nur in jener kühlen, stolzen Ruhe gekannt, die sie ihm und der Welt gegenüber so unnahbar gemacht hatte. Jetzt war diese Kälte geschwunden, er sah und fühlte es, aber er vermochte nicht, den seltsamen Zug zu enträthseln, der an ihre Stelle getreten war. Die junge Witwe konnte doch unmöglich so tief und schwer um einen Gatten trauern, der ihr im Alter so fern stand und der, selbst wenn er jung gewesen wäre, ihr mit seiner nüchternen, kalt berechnenden Natur nie die Liebe hätte geben können, welche die Jugend verlangt. Und doch lag über ihrer ganzen Erscheinung der Ausdruck eines geheimen Leidens eines stumm, aber schwer getragenen Wehs. Woher stammte denn nur dieser räthselhafte Zug, dieser feuchte Schimmer in den blauen Augen, die jetzt erst die Thränen kennengelernt zu haben schienen?

„Mir ist es immer, als könnte da einmal Gluth und Leben aufstrahlen und die Schneeregion in eine blühende Welt verwandeln!“ hatte Fürst Adelsberg einmal halb im Scherze ausgerufen. Jetzt vollzog sich diese Wandlung, langsam, fast unmerklich, aber dieser weiche, halb schmerzliche Zug, der den früheren strengen Ernst verdrängte, dieser träumerische Blick gaben der jungen Frau einen Reiz, der ihr bisher bei all ihrer Schönheit gefehlt hatte – die Anmuth!

Das Gespräch berührte anfangs nur gleichgültige Dinge, man tauschte die üblichen Fragen und Erkundigungen aus; Egon erzählte einiges, was während des Winters bei Hofe und in der Stadt vorgefallen war, und brachte dann auch hier dieselbe Erklärung seiner plötzlichen Ankunft vor, indem er von der unerträglichen Hitze in Ostende und seiner Sehnsucht nach der kühlen stillen Waldeseinsamkeit sprach. Ein flüchtiges Lächeln, das um die Lippen seiner Begleiterin zuckte, verrieth ihm jedoch, daß sie dem Vorwande ebensowenig glaubte wie der Oberforstmeister, und daß die betreffende Zeitungsnachricht auch bereits zu ihr gedrungen war. Er ärgerte sich unbeschreiblich darüber und sann eben nach, wie er hier, wo er doch nicht so offen sein durfte, den Irrthum aufklären könnte, als Adelheid plötzlich fragte:

„Werden Sie diesmal allein in Rodeck bleiben, Durchlaucht? Im vergangenen Sommer hatten Sie ja einen – Gast dort.“

Ueber das Gesicht des jungen Fürsten flog ein Schatten, er vergaß die Verlobungsgerüchte und seinen Aerger darüber bei dieser Erinnerung.

„Sie meinen Hartmut Rojanow?“ versetzte er ernst. „Er wird schwerlich kommen, er ist gegenwärtig in Sicilien, oder war es wenigstens nach vor zwei Monaten. Seitdem habe ich keine Nachricht von ihm und weiß nicht einmal, wohin ich ihm schreiben soll.“

Frau von Wallmoden beugte sich nieder und pflückte einige Blumen, die am Wege standen, während sie leise bemerkte:

„Ich glaubte, Sie ständen in lebhaftem brieflichen Verkehr miteinander.“

„Das hoffte ich auch bei unserer Trennung und an mir liegt die Schuld nicht, aber Hartmut ist mir in der letzten Zeit ein vollständiges Räthsel geworden. Sie waren ja Zeuge davon, welchen glänzenden Erfolg seine „Arivana“ bei uns davontrug, seitdem hat sich das an verschiedenen Bühnen wiederholt, das Werk siegt im Sturme, wo es nur erscheint, und der Dichter entreißt sich all diesen Triumphen, flüchtet förmlich vor seinem aufsteigenden Ruhme und verbirgt sich vor aller Welt, auch vor mir – das begreife, wer es kann!“

Adelheid hatte sich wieder emporgerichtet, aber ihre Hand, welche die eben gepflückten Blumen hielt, zitterte leise, während sich ihre Augen wie in athemloser Spannung auf den Fürsten richteten.

„Und wann hat Herr Rojanow Deutschland verlassen?“ fragte sie.

„Im Anfang des Dezember. Er war kurz vorher auf einige Tage nach Rodeck gegangen, unmittelbar nach der ersten Aufführung seines Werkes. Ich hielt das für eine Lanne und gab nach, da erscheint er urplötzlich bei mir in der Stadt, mit einem Aussehen und in einer Stimmung, die mich geradezu erschrecken, und kündigt mir seine Abreise an, hört auf keine meiner Bitten, hält keiner Frage stand, sondern bleibt dabei, daß er fort müsse, und geht auch wirklich wie im Sturmwinde! Es vergingen Wochen, ehe ich überhaupt wieder etwas von ihm hörte, und seitdem gab er mir bisweilen Nachricht, wenn auch selten genug, aber ich wußte doch wenigstens, wo er sich befand, und konnte ihm antworten. Er war einige Monate lang in Griechenland, bald hier, bald dort, dann ging er nach Sicilien, aber jetzt bleiben die Nachrichten aus und ich bin in der größten Unruhe.“

Egon sprach mit mühsam verhaltener Erregung. Man sah es, wie nahe ihm die Trennung von dem so leidenschaftlich geliebten Freunde ging. Er ahnte nicht, daß die junge Frau an seiner Seite ihm die Lösung des Räthsels hätte geben können. Sie wußte, was Hartmut jetzt so unstät von Land zu Land trieb, was ihn zurückschaudern ließ vor dem gefeierten Dichternamen, der einen geheimen, aber furchtbaren Makel trug. – Es war die erste Nachricht von ihm, die sie hörte, seit jener verhängnißvollen Nacht in Rodeck, die ihr alles enthüllt hatte.

„Dichter sind eben anders geartet als gewöhnliche Menschen,“ sagte sie, während sie langsam eine der Blumen zerpflückte. „Sie haben bisweilen das Vorrecht, unbegreiflich zu sein.“

Der junge Fürst schüttelte ungläubig und traurig den Kopf.

„Nein, das ist es nicht, das stammt aus ganz anderen Quellen! Ich ahnte ja längst, daß in Hartmuts Leben irgend etwas Dunkles, Räthselhaftes liegt, aber ich habe dem nie nachgeforscht, denn er vertrug auch nicht die leiseste Berührung dieses Punktes und verschloß sich hartnäckig, auch vor mir. Es ist, als stehe er unter einem Verhängniß, das ihm nirgends Ruhe und Frieden gönnt und plötzlich, wenn man es längst gebannt glaubt, wieder hereinbricht. Den Eindruck habe ich aufs neue empfangen, als er in dieser wilden Verstörtheit von mir Abschied nahm – es war unmöglich, ihn zu halten! Aber Sie ahnen es nicht, wie er mir fehlt! Mehr als zwei Jahre lang hat er mich verwöhnt, mit seiner Nähe, mit all den Gaben seiner reichen, feurigen Natur, die er verschwenderisch ausstreute. Jetzt ist mir alles öde und farblos geworden, und ich weiß oft nicht, wie ich das Leben aushalten soll ohne ihn.“

Sie waren stehen geblieben, denn sie hatten die Grenze des Parkes erreicht. Vor ihnen lagen grüne Wiesen im Sonnenglanz und drüben stiegen die Höhen des Waldgebirges empor. Adelheid hatte schweigend zugehört, während ihr Blick sich träumerisch in die Ferne verlor; jetzt aber wandte sie sich plötzlich um und streckte ihrem Begleiter die Hand hin.

„Ich glaube, Sie können ein sehr aufopfernder Freund sein, Durchlaucht. Herr Rojanow hätte Sie nicht verlassen sollen, vielleicht hätten Sie ihn gerettet vor diesem – Verhängniß!“

Egon glaubte seinen Sinnen nicht trauen zu dürfen. Der warme, aus dem Herzen kommende Ton, der Blick, in dem eine Thräne funkelte, diese ganze beinahe leidenschaftliche Theilnahme an seinem Schmerze überraschte ihn ebenso sehr, als sie ihn entzückte. Er ergriff stürmisch die dargebotene Hand und drückte heiß und fest seine Lippen darauf.

„Wenn mich irgend etwas trösten kann über Hartmuts Entfernung, so ist es Ihre Theilnahme,“ rief er. „Sie erlauben mir doch, das Recht des Nachbars geltend zu machen und bisweilen nach Ostwalden zu kommen? Versagen Sie mir das nicht, ich bin ja ganz einsam in Rodeck und ich kam ja einzig und allein –“

Er hielt plötzlich inne, denn er fühlte doch, daß ein solches Geständniß jetzt noch nicht am Platze sei, und es verletzte auch, er sah es deutlich. Die junge Frau entzog ihm rasch ihre Hand und trat zurück; nur eines Augenblickes hatte es bedurft, um sie wieder in das kalte „Nordlicht“ zu verwandeln.

„Um der Hitze und dem geräuschvollen Badeleben in Ostende zu entrinnen,“ ergänzte sie kühl. „Das sagten Sie wenigstens vorhin, Durchlaucht.“

„Es war ein Vorwand,“ erklärte der junge Fürst ernst. „Ich verließ Ostende nur, um gewissen Gerüchten, die sich an meinen dortigen Aufenthalt knüpften und sogar in die Zeitungen ihren Weg fanden, ein für allemal ein Ende zu machen. Sie waren vollkommen grundlos, soweit ich dabei in das Spiel kam – ich gebe Ihnen mein Wort darauf, Excellenz.“

Er hatte schleunigst die Gelegenheit ergriffen, um den Irrthum aufzuklären, den er gerade an dieser Stelle um keinen Preis dulden wollte, aber der Eindruck entsprach nicht seinen Erwartungen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_375.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)