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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

des Hohen Rathes gegen Christus; der Abschied zu Bethania; der letzte Gang nach Jerusalem; das Abendmahl und die Stiftung des Mahles des Neuen Bundes. Der Verräther Judas verläßt das Abschiedsmahl; gleich daraus sehen wir ihn in das Synedrium eintreten und seinen Meister für dreißig Silberlinge an die Pharisäer verkaufen.

Während der Keuzigung vor dem Theater.

Ergreifend ist die folgende Vorstellung: Christus auf dem Oelberge in seiner bitteren Todesangst, der Judaskuß und die Gefangennahme.

Hiermit schließt die erste Abteilung. Vier Stunden, von acht Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags hat sie gewährt; eine Ruhepause von anderthalb Stunden bietet Gelegenheit, die Lebenskraft durch Speise und Trank zu erfrischen.

So weltlich auch das Treiben während dieser Pause sein mag: man kommt sofort wieder in die rechte Stimmung, wenn man nach derselben das Theater wieder betritt und nun in fast athemloser Spannung den Ereignissen der Leidensgeschichte weiter folgt.

Wir sehen den Messias nun vor Annas und Kaiphas geführt, von letzterem des Todes schuldig erklärt, von Petrus verleugnet, von den Dienern verspottet und mißhandelt; dann Judas, dem hohen Rate seinen Verrätherlohn hinwerfend und in wilder Verzweiflung in den Tod gehend.

Dann wird Christus vor Pilatus, vor Herodes geführt, zu Pilatus zurückgesendet, gegeißelt und mit Dornen gekrönt.

Der Gang zum Kreuze und die Begegnung mit Maria erschüttern die Herzen der Tausende; stärker noch die Kreuzigung selbst, die letzten Worte des Gekreuzigten und sein erhabenes Ende.

Noch folgt die wunderschön in lautloser Stille gegebene Kreuzabnahme, endlich die Ruhe Christi im Grabe und die Auferstehung. Mit einem Hallelujagesange schließt das Passionsspiel.

Es ist eine der merkwürdigsten und ergreifendsten Leistungen, welche durch das Zusammenwirken aller edlen Künste, durch die schlichte Frömmigkeit eines einfachen Bergdorfes, durch die treue und ausdauernde Hingebung begeisterter Menschen hier der Welt dargeboten wird.

Daß den Ammergauern ihr Passionsspiel einen Weltruf verschafft hat, daß jedes Passionsjahr ihnen mit den Tausenden von Besuchern einen mächtig anschwellenden Strom irdischen Reichthums zuführt: es ist ihnen gewiß nicht gleichgültig; aber dieser irdische Erfolg steht ihnen doch erst in zweiter Reihe. Als erstes gilt ihnen – und das kann man jeder Einzelheit des Ganzen entnehmen – die Erfüllung des Gelübdes ihrer Väter, das Bewußtsein, einer Idee zu dienen, welche ihnen heilig ist und welche von Geschlecht zu Geschlecht fortlebt, allen theuer und selbst für die ruhelosen Weltkinder des Jahrhunderts rührend und groß.

In den Straßen von Oberammergau.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_401.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2023)