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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

der die ganze Masse des Gebirges auseinanderreißt, oben theilweise ausgefüllt mit gewaltigen Blöcken, die zwischen den Wänden eingespannt den kühnen Eindringling drunten zu zerschmettern drohen. Unwillkürlich athmet der Wanderer auf, wenn er durchs Thor der „Klamm“ hindurch die Steintreppe wieder herauf gekommen ist.

Die „Maurische Halle“.

Auf unserer Abbildung des Dorfes Gutenberg zeigt sich rechts vom Thurm geradeaus im Hintergrunde des Thales der Eingang zur Höhle. Der oben schon genannte Weg zieht sich im Zickzack hinan, während von der Höhlenmündung eine Schutthalde, gebildet aus dem bei der Ausgrabung zu Tage geschafften Lehm, zu Thal zieht.

Daß die Höhle dem Menschen zur Wohnung gedient hat, ist außer Zweifel; in welcher Weise wir uns aber die Benutzung derselben deuten wollen, das muß im großen und ganzen der Phantasie überlassen bleiben. Feuersteinwerkzeuge, Beile, Speer- und Pfeilspitzen, Schabsteine, Keile fanden sich in der ersten und zweiten Halle, und es ist bemerkenswert, daß sie im allgemeinen ein roheres und unbeholfeneres Gepräge tragen als die bisher in den benachbarten Höhlen und anderwärts gefundenen. Man mag sich ausmalen, daß in der zweiten Halle, der Fundstätte jener erheblichen und vielfach die Spuren des menschlichen Jägers und Verzehrers tragenden Knochenerste, sich die Koch- und Eßstätte, vielleicht auch die Sommerwohnung des vorgeschichtlichen Höhlenbewohners befand, während er sich zur kälteren Winterszeit in den dahinterliegenden Raum, die „Gothische Halle“, zurückzog, wo er nach Maßgabe der heutigen Wärmeverhältnisse einen ganz annehmbaren Aufenthalt gefunden haben mag.

Die „Gothische Halle“.

Welch einen wunderbaren Ausblick aber eröffnen uns die thierischen Ueberreste auf das jagdbare Wild jenes urzeitlichen Menschengeschlechts! Da taucht das Rhinoceros auf und der Höhlenbär, die Hyäne und der Wolf, der Ur und der Wisent, ganz besonders zahlreich der Edelhirsch und das Reh; ferner ist die Antilope vertreten und das Wildschwein und eine Reihe von längst verschwundenen Thierarten. Auch der Hund fand sich, doch fragt es sich, ob er damals schon als Hausthier wie heute betrachtet werden darf, da er verzehrt wurde.

Kaum hatte sich der Ruf von den Herrlichkeiten der Gutenberger Höhle zu verbreiten begonnen, als auch schon eine zweite Entdeckung der ersten folgte. Etwa zwei Minuten von der Haupthöhle entfernt und von ihr aus auf ebenem Waldpfade zu erreichen, wurde im Januar dieses Jahres eine neue Höhle aufgefunden und zugänglich gemacht; theils wegen eines in der Höhle selbst gefundenen Schädels, theils wegen der wild malerischen Felspartien in ihrer Umgebung wurde sie die „Wolfsschlucht“ benannt. Wohl zeigt sie weit geringere Maßverhältnisse als die Gutenberger Höhle, aber sie zeichnet sich durch eine ganz andere und in ihrer Art nicht minder prachtvolle Tropfsteinbildung aus. Als der Verfasser dieser Zeilen nach nothdürftiger Erweiterung der ursprünglichen Oeffnung - eines Fuchsbaus - hineinschlüpfte und jedenfalls als der erste Mensch seit Jahrtausenden die Grotte betrat, in der ihm die vom Boden aufgewachsenen, über mannsgroßen Stalagmiten menschengleich, gespenstisch starr entgegenragten, da war die anfängliche Empfindung unwillkürlich doch so eine Art „Gruseln“, das sich aber sogleich in eitel Freude und Wohlgefallen verwandelte, als der unsichere Kerzenschein allmählich die einzelnen Schönheiten aus der ewigen Finsterniß hervorzog. Sind's in der Gutenberger Höhle glänzendweiße Tropfsteinwände und röhren, eisig, schneeartig, so ist hier alles trockenweiß, den Wänden eines neugegipsten Zimmers zu vergleichen, alle Ritzen mit „Mondmilch“ gefüllt, jener breiartigen Kalkausschwitzung, die heute noch vom Volk vielfach als uraltes Heilmittel eifrigst gesucht und angewandt wird, überall am Boden und an der Decke die bizarrsten Formen, partienweise an Bilder von türkischen Kirchhöfen erinnernd, einzelne Säulen klingend und tönend wie Glocken - kurz eine Zauberwelt im kleinen, die in ihrer Art ebenso überwältigend ist wie die großen Räume der erst beschriebenen Höhle! Auch hier mag's sein, daß sich noch eine Fortsetzung ins Gebirge hinein findet: bis jetzt ist's nicht der Fels, sondern weicher Höhlenlehm, der dem weiteren Vordringen Halt gebietet.

In dieser Annahme wird man durch die Thatsache bestärkt, daß sich auf der nahen Albhochfläche eine schluchtartige Vertiefung hinzieht, die ursprünglich nicht durch einen Wasserlauf, sondern wohl durch Einsenkungen entstanden ist, wie sie sich durch den Einsturz unterirdischer Hohlräume zu bilden pflegen. Die hier vorhandene Einsenkung zieht sich bis zu einem eine halbe Stunde entfernten Hochmoor hin und endigt vollständig erst in der Nähe des Randecker Moors, eines längst erloschenen vulkanischen Kraters von gewaltiger Ausdehnung (1 km Durchmesser).

Der Fels, in welchem die „Wolfschlucht“ sich öffnet, ist zur Zeit des Schneegangs mit einem besonderen Reiz ausgestattet; da stürzt sich ein Wasserfall gerade über den grottenförmigen Eingang herab, so daß der Besucher hinter dem Wassersturz steht und durch ihn in die Tiefe blickt.

Treten wir aus all der unterirdischen Pracht, die wir nun gesehen haben, wieder heraus an das Licht des Tages und stehen wir wieder draußen im hellen Sonnenschein und schauen hinab zum schmuck ins Waldthal hineingebetteten Dörflein, dessen Glocke melodisch heraustönt, so überkommt's uns beim Gedanken an die soeben zurückgelegte Wanderung unter der Erde wie in längst vergangenen Tagen, wenn uns die Großmutter das Märchen erzählte vom versunkenen Schloß und vom verwunschenen Königssohn.

Es ist, als ob Uhland das neue Wunder seines geliebten Schwabenlandes im Geist geschaut hätte, als sein Dichtermund sang:

„Ich weiß mir eine Grotte,
Gewölbt mit Bergkrystalle,
Die ist von einem Gotte
Begabt mit seltnem Halle;
Was jemand sprach, was jemand sang,
Das wird in ihr zu Glockenklang.“



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_415.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)