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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Alle diese Vorbereitungen hat der Chabir oder Führer der Karawane zu leiten. Je nach deren Bedeutung nimmt er eine mehr oder minder hohe Stellung ein; unter allen Umständen aber muß er sein, was sein Titel besagt: ein Kundiger des Weges und der obwaltenden Verhältnisse. Erprobte Erfahrung, Redlichkeit, Klugheit, Muth und Tapferkeit sind Bedingnisse zu seinem schwierigen, nicht selten gefährlichen Amte. Er kennt die Wüste wie der Schiffer das Meer, ist kundig der Gestirne, in jeder Oase, an jedem Brunnen der Reisestrecke daheim, in dem Zelte jedes Beduinen- oder Wanderhirtenhäuptlings willkommen, versteht allerlei Mittel gegen Beschwerden und Gefahren des Rittes anzugeben, vermag Schlangenbisse und Skorpionenstiche unschädlich zu machen, führt die Waffen des Kriegers wie die des Jägers mit gleicher Geschicklichkeit, ist mit einem Worte das unentbehrliche Haupt des vielgliedrigen Körpers, welcher die Wüste durchwandert.

Zur gesegneten Stunde, um die Zeit des Nachmittagsgebetes, tritt der Führer vor Reisende und Treiber, um zu verkünden, daß alles zum Aufbruche bereit sei. Nach verschiedenen Seiten hin stürmen die braunen Männer, um ihre Kamele einzufanqen, herbeizuholen, zu belasten. Mit äußerstem Widerstreben gehorchen die ahnungsvollen Thiere, denen eine Reihe schwerer Tage in grellen Farben vor der Seele zu stehen scheint. Brüllend, kreischend, knurrend, stöhnend lassen sie sich, durch unnachahmliche Gurgellaute ihrer Herren und einige gelinde Peitschenhiebe aufgefordert, auf die zusammengebogenen Beine nieder; brüllend fügen sie sich darein, die ihnen zugedachte Last auf den höckerigen Rücken zu nehmen; brüllend erheben sie sich wieder, nachdem sie befrachtet sind. Nicht wenige versuchen durch Schlagen und Beißen der Bebürdung sich zu erwehren, und es gehört in der That die unerschöpfliche Geduld ihrer Treiber dazu, um so widerhaarige Geschöpfe zu bändigen. Sobald alle Tragthiere ihre Last erhalten haben, treten sie ihre Wanderung an.

Nunmehr bringt man auch die wohlgesattelten Traber herbei. Jeder Reiter befestigt auf und an dem hohen, muldigen, über dem Höcker sitzenden Sattel die ihm unentbehrlichsten Reisegeräthschaften und Waffen und schickt sich an, sein Reitthier zu besteigen, eine für den Neuling nicht ganz leichte Arbeit.

Viktor Neßler.
Nach einer Photographie von Karl Bellach in Leipzig.


Wir unsererseits schwingen uns mit der Behendigkeit eines Eingeborenen in den Sattel, spornen durch Fuchteln mit der Peitsche unser Reitthier an, halten es mittels eines feinen Nasenzaumes gebührend im Zügel und eilen hinter dem Führer her. Bald ist die vorausgezogene Lastkarawane überholt, bald jede Spur der letzten menschlichen Ansiedelung verschwunden: nach allen Seiten erstreckt sich, endlos scheinend, die Wüste.

Ringsum scharf begrenzt, bedeckt sie, ein ungeheures, eigenartiges Reich, den größten Theil Nordafrikas, vom Rothen Meere bis zum Atlantischen, vom Mittelmeere bis zur Steppe, Länder in sich fassend, fruchtbare Landstriche aufschließend, tausendfältig abwechselnd, und im wesentlichen doch immer und überall sich gleichend, mindestens ähnelnd. Neun- bis zehnmal überbietet dieses Wunderreich an Flächeninhalt unser gesammtes Vaterland, drei- bis viermal das Mittelländische Meer. Kein Sterblicher hat es durchforscht, allörtlich durchwandert; aber jeder Erdgeborene, welcher es betrat und auf Strecken hin durchzog, ist im tiefinnersten Herzen ergriffen worden von seiner Größe und Erhabenheit, seinem Zauber oder seinen Schrecken.

Die Wüste ist wirklich und wahrhaftig „El Bahhr bela maa“ – das Meer ohne Wasser – ein Gegenstück des Meeres. Sie ist diesem nicht unterthan wie die übrige Erde: in ihr erstirbt die Macht des belebenden und erhaltenden Elementes. „Wasser umfängt ruhig das All“: – die Wüste allein umfängt es nicht. Ueber die ganze Erde tragen die Winde des Meeres Gesandten, die Wolken, aber diese ersterben vor der Gluth der Wüste. Selten, daß man in ihr ein leichtes, kaum ersichtlich werdendes Dunstgebilde, selten, daß man auf einem Pflanzenblatte in der Morgenfrühe den feuchten Hauch der Nacht wahrnimmt. Sind in ihr doch Morgen- und Abendroth nur ein Dufthauch, welcher, kaum geboren, wieder verschwindet. Allüberall aber, wo das Wasser zur Herrschaft gelangt, verwandelt es auch die Wüste in Fruchtland, möge dasselbe so dürftig sein, als es wolle. Der Sand für sich allein ist es eben nicht, welcher Wachsthum der Pflanzen verwehrt, sondern einzig und allein die starre, sengende Gluth, welche ihn durchstrahlt.

Arm, unendlich arm ist die Wüste, todt aber ist sie nicht, mindestens nicht für diejenigen Menschen, welche das Leben in ihr aufzusuchen und aufzufinden wissen. Wer die Wüste als todte Einöde auffaßt, irrt ebenso wie der, welcher sie als Heimath des Löwen ansieht. Sie ist zu arm, als daß sie Löwen ernähren könnte, aber reich genug, um Tausenden von anderen Thieren Unterhalt zu gewähren.

Als ein urbildlich gestaltetes Wüstenthier darf man die Gazelle nennen. Obwohl durchaus ebenmäßig gebaut, erscheinen doch Kopf- und Sinneswerkzeuge fast zu groß und die Glieder allzu zart, beinahe gebrechlich. Aber dieser Kopf umfaßt in seiner Schädelhöhle ein Gehirn, welches zu einer unter Wiederkäuern ungewöhnlichen Klugheit und demgemäß auch zu geistiger Beweglichkeit befähigt, und diese Glieder sind wie aus Stahl gebaut, ungemein kräftig und federnd, so daß sie höchste Beweglichkeit und unermüdliche Ausdauer ermöglichen. Wer die Gazelle nur in der Gefangenschaft, im engen Raume gesehen hat, ist nicht imstande, zu beurtheilen, wie sie in der Wüste auftritt. Welche Beweglichkeit, Gewandtheit und Anmuth entfaltet gerade sie in ihrer Heimath! Wie sehr verdient sie von dem Morgenländer und zumal dem Wüstenbewohner als Sinnbild weiblicher Schönheit gewählt zu werden! Auf ihr sandfarbenes Gewand wie auf ihre unvergleichliche Beweglichkeit und Schnelligkeit vertrauend, äugt sie mit den klaren Lichtern fest, anscheinend sorglos auf Kamele und Reiter. Ohne durch die heranziehende Karawane sich beunruhigt zu zeigen, äst sie weiter. Von dem blüthenbedeckten Mimosenstrauche nimmt sie eine Knospe, einen saftigen Schößling, zwischen der schneidigen Halfa findet sie ein zartes Hälmchen. Mehr und mehr nähert sich ihr der Reisezug. Sie erhebt den Kopf, lauscht, wittert, äugt wiederum, schreitet einige Schritte vor und verfährt wie früher. Urplötzlich schnellen die federnden Läufe den Boden, und dahin eilt sie, so rasch, so behend, so gewandt, so anmuthig, als sei ihr die fast unerreichbare Bewegung nur Spiel und Scherz. Ueber die sandige Ebene jagt sie mit flugähnlichen Sätzen. Erdfrei scheint sie geworden zu sein, so überraschend schön ist ihr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_417.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2021)