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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Sie haben in der That ein bewunderungswürdiges Talent, Fräulein von Brenckendorf,“ sagte die Gräfin Hainried, welche neben Cilly gestanden hatte. „Als mir Engelbert gestern abend von Ihrem Vorhaben sprach, bezweifelte ich aufrichtig, daß es möglich sei, es zur Ausführung zu bringen.“

Sie hatte mit vollkommenster Höflichkeit gesprochen, aber in dem Blick, der ihre Worte begleitete, war ein unverkennbarer Ausdruck boshaften Spottes. Stolz und kalt sah ihr Marie in das Gesicht.

„Viel zu viel Anerkennung für eine so unbedeutende Leistung!“ sagte sie frostig, und zu Cilly gewendet, fügte sie hinzu: „Es ist wohl Zeit, daß ich mich für den Bazar umkleide. Wolltest Du mir nicht ein wenig behilflich sein?“

„Gewiß, mein Herz! Drüben in dem Zimmerchen liegt alles bereit, und Chériette ist auch da, um uns zur Hand zu gehen.“

Marien hätte unter solchen Umständen des Beistandes ihrer Base für den Kleiderwechsel wohl kaum bedurft; aber sie gab sie noch nicht frei, und noch ehe sie mit ihrem Anzug ganz zu Ende gekommen war, schickte sie die Zofe mit einigen Dankesworten nach Hause.

Während sie vor dem Spiegel mit dem Ordnen ihres Kopfputzes beschäftigt war, fragte sie scheinbar gleichmüthig:

„Die Gräfin Hainried bediente sich einer recht vertraulichen Ausdrucksweise, als sie von Deinem Bruder sprach. Ist sie wirklich so eng mit ihm befreundet?“

„Das will ich meinen!“ lachte Cilly ahnungslos. „Und Du willst mich doch wohl nicht im Ernst glauben machen, daß Du noch nichts gemerkt hättest? Sie sind ja seit gestern mit einander verlobt!“

Todtenbleich und mit gleichsam versteinten Zügen starrte Marie ihr eigenes Bild aus dem Spiegel entgegen. Es war gut, daß sie Cilly den Rücken zuwandte, denn diese Veränderung in ihrem Aussehen hätte auf der Stelle zur Verrätherin ihres Geheimnisses werden müssen.

„Verlobt?“ wiederholte sie, all ihren Stolz zu trotziger Gegenwehr zusammenraffend und doch vor dem fremden Klang ihrer eigenen Stimme erschreckend. „Und das ist wirklich wahr?“

„Gewiß ist es wahr! Wie sollte ich dazu kommen, Dir ein Märchen zu erzählen! Schon auf unserer Abendgesellschaft war es so gut wie ausgemacht, und gestern wäre das Verlöbniß bereits öffentlich verkündet worden, wenn nicht Engelbert gewünscht hätte, daß man den Geburtstag der Gräfin, der am fünften des nächsten Monats ist, dafür wähle. Ich war offen gestanden anfänglich nicht sehr entzückt, denn die Gräfin und ich, wir waren niemals sehr enge Freundinnen. Aber sie ist jetzt sehr nett gegen mich, und am Ende macht Engelbert doch eine vortreffliche Partie.“

„Eine vortreffliche Partie!“ klang es wie mit schneidendem Hohn in Mariens Herzen nach. In diesem Augenblick fühlte sie etwas wie wirklichen Haß gegen ihre anmuthige junge Verwandte, die mit dem reizendsten Kinderlächeln im Tone eines Banquiers von der Verlobung ihres Bruders sprechen konnte. Ein unsäglicher Ekel erfaßte sie vor dem bunten Flitterputz, in welchen sie sich da gehüllt sah, und sie erhob die Hände, als ob sie ihn wild von ihrem Leibe reißen wollte. Er war ja Trug und Lüge wie alles um sie her, und sie war dieses Lügenleben satt, o, satt bis zur Verzweiflung!

Aber sie wollte nicht zeigen, wie tödlich sie verwundet, wie schimpflich sie gedemüthigt worden sei. Ihre Hände sanken wieder herab, und ihr Antlitz war kalt und gefaßt, als sie sich gegen Cilly wandte.

„Ich habe Engelbert vorhin nicht gesehen. Wird er den Bazar heute nicht besuchen?“

„Ohne Zweifel! Nur der Dienst kann es sein, der ihn noch fernhält. Aber wie blaß Du bist, mein Lieb! Die Aufregung von vorhin fängt an, nachzuwirken. Willst Du nicht ein wenig Roth auflegen?“

„Nein! Ich denke, es wäre der Maskerade genug. Und ich bin fertig. Wenn es Dir beliebt, wollen wir zu den anderen gehen.“ – –

Das kurze Eröffnungskonzert war vorüber. Die verführerisch geschmückten Verkäuferinnen hatten ihre Plätze eingenommen, und unter den Klängen der Musik strömte die Schar der geladenen Gäste in den prächtig herausgeputzten Saal. Ein königlicher Prinz, der im besonderen Auftrage und in Vertretung des Hofes erschienen war, ließ sich an der spitze des glänzenden Zuges von zwei Vorstandsmitgliedern an den einzelnen Verkaufstischen vorüberführen, fast überall mit einigen freundlichen Worten verweilend und hier und da gegen blinkende Goldstücke irgend eine nette Kleinigkeit eintauschend.

Auch vor Mariens Platze blieb er artig grüßend stehen.

„Wenn meine Augen mich nicht betrügen, ist die schöne Friesin mir eine Verwandlung jenes holden Genius der Barmherzigkeit, der uns vorhin so tief zu rühren wußte,“ fragte er, „Baronesse von Brenckendorf – so man mich recht berichtet hat? Eine Tochter unseres vortrefflichen Generals?“

„Nicht eine Tochter, Hoheit, – nur eine entfernte Verwandte!“ erwiderte Marie ohne jede Befangenheit und mit einem Ausdruck, als gelte es, eine entwürdigende Vermuthung zu berichtigen. Ein leichtes Erstaunen malte sich auf dem Antlitz des hohen Herrn und fast unwillkürlich wandte er den Kopf nach dem General, der kaum zwei Schritte weit hinter ihm stand. Dieser aber lächelte verbindlich und heiter wie immer, und der Prinz fuhr, indem er aufs Geratewohl einen der kleinen Schmuckgegenstände aus Silberfiligran vom Tische nahm, mit unverminderter Liebenswürdigkeit fort:

„Das holde Töchterchen des treuen Friesenlandes wird mir gestatten, dies als ein Zeichen der Erinnerung zu behalten. Es wird mich jederzeit an eine der reizendsten Erscheinungen und an einen der erlesensten künstlerischen Genüsse gemahnen.“

Der Adjutant legte einige Goldstücke in die kleine Schale und der Prinz setzte seinen Rundgang fort. Zu dem Verkaufstisch Mariens aber flogen viel neidische Blicke hinüber, denn zu so schmeichelhaften Aeußerungen hatte sich der erlauchte Herr noch keiner anderen Dame gegenüber herbeigelassen.

Und es war nur eine natürliche Folge dieser Auszeichnung, daß sich auch die Käufer zu ihr mit besonderer Lebhaftigkeit drängten. Der Inhalt des kleinen Geldschälchens vermehrte sich rasch, obwohl der Ernst und die gemessene Zurückhaltung der jungen Verkäuferin nicht ganz den heiteren Gepflogenheiten solcher Veranstaltungen entsprachen.

Ein Herr in gewählter Civilkleidung, der seinen schönen, dunkellockigen Künstlerkopf sichtlich mit demselben Stolze trug wie seinen auffallend reichen Schmuck an Orden und Ehrenzeichen, trat mit dem Anstand eines Fürsten an ihren Tisch.

„Ich hatte die Ehre, dem gnädigen Fräulein vor Beginn des Konzerts vorgestellt zu werden: – Konstantin Rainer, Direktor des Schillertheaters, wenn Baronesse sich nicht mehr erinnern sollten.“

Marie neigte das Köpfchen. Sie hatte den Schauspieler wohl erkannt.

„Selbst auf die Gefahr hin, für unbescheiden zu gelten, kann ich es mir nicht versagen, Ihnen den Zoll meiner Bewunderung zu Füßen zu legen,“ fuhr Rainer fort. „Die deutsche Bühne hat wahrlich Grund, sich bitter zu beklagen, daß ein so ungewöhnliches Talent ihr für immer entzogen bleiben wird.“

Er schrieb das lebhafte Aufsprühen in Mariens eben noch so müde blickenden Augen lediglich dem Eindruck zu, welchen die Anerkennung eines so gefeierten und vielumschwärmten Mannes nothwendig auf sie hervorbringen mußte, und der Sternenhimmel auf seiner Brust schien das Licht der elektrischen Glühlampen noch stolzer und triumphierender zurückzuwerfen.

„So glauben Sie in der That, daß ich nicht ganz ohne schauspielerische Begabung sein würde?“ fragte Marie mit einer gewissen Spannung, den Theaterdirektor als den ersten von allen Käufern einer Unterhaltung würdigend. „Oder wünschen Sie nur, mir etwas Artiges zu sagen?“

Koststantin Rainer legte die Rechte auf das Herz – eine Bewegung, die seine schön geformte Hand nicht minder zur Geltung brachte als den haselnußgroßen Solitär an seinem kleinen Finger.

„Wer eine so unbegrenzte Ehrfurcht vor der Würde seiner Kunst empfindet wie ich, mein gnädiges Fräulein, der ist sicherlich wenig geneigt, ihren Namen zu erlogenen Schmeicheleien zu mißbrauchen. Auf meine Ehre: wären Sie nicht die Baronesse von Brenckendorf, sondern die Tochter eines kleinen Beamten oder einer armen Wäscherin und würden Sie sich nur für die Dauer eines einzigen Jahres meiner Leitung anvertrauen, so wollte ich Sie einer Charlotte Wolter ebenbürtig machen.“

„Ein kühnes Versprechen, mein Herr! Und wenn ich nun Lust hätte, Sie beim Wort zu nehmen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_426.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)