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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


Heidestrecken, die, gleichsam in stummer Schwermuth versunken, dalagen.

Nun zog eine Schar Krähen durch die Luft gen Westen, um bald hinter einem mit langen, kahlen Stämmen emporstrebenden Walde zu verschwinden. Eine traumhafte Stille ringsum, bis plötzlich auf einer neben dem Heidewege liegenden, von Knicken einsam und dunkel eingeschlossenen Wiese ein kohlschwarzer Hund ein lautes Gebell erhob und wie toll einem unsichtbaren Gegenstande nachjagte. Und dann ein lauter, die Abendruhe unheimlich unterbrechender schriller Pfiff. Das Thier hielt in seinem Lauf inne, spitzte die Ohren und verharrte unschlüssig.

„Pfeife noch einmal, Richard!“ ließ sich die Stimme einer Frau vernehmen.

Der Mann an ihrer Seite that, wie sie wünschte. Der Hund aber setzte sich, statt dem Rufe zu folgen, von neuem in Bewegung und verschwand wie ein immer kleiner werdender dunkler Schatten in der Gegend des Gehöftes, zu dem auch die beiden Spaziergänger, Richard Tromholt und seine Schwester, ihre Schritte lenkten.

Ueber dem Abhang einer hell beleuchteten Wiese erhoben sich auf weißsandigem Grunde schlankgewachsene, düstere Tannen, die wie drohende Wächter vor der hinter dem Gehöft nach Westen sich ausdehnenden, endlosen Torfheide emporragten, und etwas weiter zur Linken – ein Vorwurf für einen Maler – spielte eben das Mondlicht auf einer Moorlache mit stahlweißen, unbewegten Lichtern.

Nach einer viertelstündigen Wanderung gelangten die Fußgänger an einen allmählich aufsteigenden Weg. Als sie die Höhe erreicht hatten, hemmte nichts mehr die weite Fernsicht. Sie blieben, unwillkürlich gebannt von dem Eindruck, der sich ihnen bot, stehen und ließen die Augen umherschweifen.

Vor ihnen ein Thalgrund, zur Linken endlose Flächen, die mit Hunderttausenden dem Boden abgewonnener Torfabschnitte bedeckt waren. Durch diese Moorflächen zogen sich zahllose, mit Wasser angefüllte Gräben und von dem Monde beschienene, kleine, glitzernde Seen, die sich von der schwarzen Erdfarbe schroff abzeichneten. Einzelnes verkümmertes Gesträuch tauchte hier und dort auf; daneben aber, und so weit das Auge reichte, sah man nur mit Heidekraut besetzten, noch der Bearbeitung wartenden Moorgrund.

Im Thal zur Rechten lag, umgeben von beackerten, grauen, braunen und violett schimmernden Aeckern und vom Herbst noch wenig berührten Wiesen, der Gutshof Trollheide, dessen weiß angestrichenes Hauptgebäude unter schwarzen Tannen, dunklen Buchen und Eichen geisterhaft hervorschaute.

In meilenweitem Umkreise nach Nord, Süd, Ost und West war’s neben einigen Bauernkaten die einzige menschliche Ansiedelung.

Weit ab von der großen, belebten Welt befand sich dieses zu Limforden gehörige Gütchen mit seinen Moorstrichen, und Monate konnten vergehen, bevor einmal ein fremder Mensch in die Gegend kam. Das Hauptgut Limforden lag fast eine halbe Tagereise entfernt von Trollheide und war dagegen von einer strotzenden Fruchtbarkeit. Herrliche Wiesen, Aecker, Waldungen und Seen wechselten miteinander ab, und die Austrocknung dieser letzteren hatte Richard Tromholt vor nun fast drei Jahren auf Grund seines Vertrages mit Ericius in Angriff genommen.

Seit sechs Wochen befand sich der Direktor auf Trollheide, um nach dem Rechten zu sehen und für die unter Aufsicht eines bewährten Beamten stehenden Torfstecharbeiten neue zweckmäßige Anordnungen zu treffen.

Der Direktor nahm seinen Aufenthalt das Jahr über theils hier, theils auf Limforden. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend war er unausgesetzt thätig und hatte während der drei Jahre nicht ein einziges Mal den Ort seines Schaffens länger als auf wenige Tage verlassen. Nie wichen Ernst, Ruhe und Besonnenheit von ihm, obgleich fast kein Tag verging, an dem nicht unter den nach vielen Hunderten zählenden Arbeitern eine Widerwärtigkeit zu schlichten war.

Arbeit, nur Arbeit! Und nach der Arbeit ein einsames Ausruhen bis zum wiederbeginnenden Tageslicht.

Wohl mancher wäre in dieser freudelosen, fast jeder geistigen Anregung entbehrenden Abgeschiedenheit zum schwermüthigen Grübler geworden, aber Tromholt besaß einen Willen, der alles überwand.

Nicht einmal seine Schwester Bianca von Gunar hatte er gerufen. Sie aber war gekommen, weil sie fühlte, daß er nur aus Rücksicht eine Einladung an sie unterlassen habe. 00

Endlich gelangten die Geschwister durch ein weitgeöffnetes, eisernes Gitterthor auf den Gutshof. Der Weg dahin führte durch Wiesen, der Hof war umgeben von einem reichen, kunstvoll gearbeiteten Gitter, und bevor man an das unter den hohen Parkbäumen hervorlugende Herrenhaus gelangte, schritt man durch zierlich gehaltene Gartenanlagen und ging vorüber an den weitläufigen Wirthschaftsgebäuden und Arbeitshäusern.

Das Gutsgebäude glich einem englischen Landhaus; gefällige, helle Farben und nette Ausschmückung verliehen ihm einen vornehmen Anstrich.

Die Geschwister begaben sich in das Haus. Bevor sie sich aber im Speisegemach zum Abendessen niederließen, traten sie noch einmal aus dem Gartenzimmer und warfen einen Blick in den Park.

Vor ihnen lag thalabwärts ein breiter, weit sich hinziehender Rasen, der von alten, mächtigen Tannen wie von hohen, dunklen Wänden umschlossen war.

Am Ausgang des Parks aber breitete sich eine große, vom Abendthau benetzte Wiese aus, die, vom Monde beschienen, wie eine silberglitzernde Eisfläche neben dem Schwarz der Fichten erschien.

Das einfache Mahl, zu welchem Tromholt und seine Schwester sich hierauf niedersetzten, verlief wortlos. Nachdem es beendet war, und der Diener die Speisen abgetragen hatte, lehnte sich Bianca, eine große, schlankgewachsene Frau von kaum achtundzwanzig Jahren mit einer eigenthümlich bleichen, aber keineswegs ungesunden Gesichtsfarbe und großen, schwarzen Augen, in ihren Sessel zurück und schaute stumm auf ihren Bruder. Er hatte es sich in seinem zur Seite gerückten Stuhl bequem gemacht und saß, nachdenklich und langsam den Rauch einer Cigarre von sich stoßend, da.

Richard Tromholt besaß eine gewaltige Erscheinung, seine Haltung war vornehm, die breite Brust verrieth ungewöhnliche Kraft, und das Auge blickte ernst und milde zugleich aus dem dunklen Gesicht. Freilich nur das eine; das andere hatte er damals durch die Unvorsichtigkeit von Susanne Ericius verloren.

Er war der einzige Sohn eines Hamburger Staatsbeamten. Sein Vater hatte in der Hansastadt den Posten eines Syndikus innegehabt, war aber schon im fünfzigsten Jahre gestorben. Auch seine Mutter, eine geborene Venezuelanerin, hatte Tromholt, der ursprünglich Kaufmann gewesen und dann sich für die Ingenieurwissenschaft entschieden hatte, früh verloren.

Seine Schwester Bianca war späterhin zu Verwandten nach Thüringen gegangen, hatte dort ihren Gatten, den Major von Gunar, kennengelernt, war aber schon nach fünfjähriger Ehe Witwe geworden. –

Es blieb lange still in dem Gemach. Endlich brach Bianca das Schweigen und sagte:

„Wie alt bist Du eigentlich, Richard?“

„Neunundzwanzig Jahre.“

„Schon neunundzwanzig? Da müßtest Du eigentlich ans Heirathen denken.“

Tromholt schüttelte den Kopf. „Bei den Zielen, die ich mir gesteckt habe, kann ich daran nicht denken.“

„Wie Du redest! Willst Du hier denn Dein Lebenlang vereinsamen? Wie denkst Du eigentlich über Deine Zukunft? Schon gestern fragte ich Dich, und Du gabst mir keine Antwort.“

„Ich will zehn Jahre hier bleiben,“ erwiderte Tromholt, die Worte langsam betonend. „Drei davon sind verflossen. Dann muß ich so viel verdient haben, daß ich mein eigener Herr, daß ich unabhängig bin. und dann – dann –“

„Dann?“

„Ach, was weiß ich!“ stieß Richard ein wenig rauh heraus.

„Mein Richard!“ mahnte Bianca mit milder Güte und einem unbeschreiblich herzlichen Ausdruck in den Zügen.

Nun hob er den düster gesenkten Blick, und ihre Augen trafen sich mit einem Strahl inniger Zuneigung.

„Du sagtest, Bianca? Verzeih, ich war mit meinen Gedanken abwesend.“ –

„Ja, Richard! Es ist etwas, das Dich drückt! Willst Du Dich mir nicht anvertrauen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_455.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)