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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

hübsches Mädchen. Sie hat eine gute Erziehung genossen und war längere Zeit als Wirthschafterin hier auf dem Gute thätig. Wenn jemals ein weibliches Wesen mir neben Susanne Ericius hätte eine Neigung einflößen können, so wäre sie es gewesen.“ -

Am nächsten Morgen ritten die Geschwister an den kleinen Hafenplatz, wo Peter Elbe wartend dastand. Er hatte über seinen schwarzen, langen Festrock eine Seemannsjacke gezogen und half ihnen beim Einsteigen in das große Stromboot. Sie fuhren wohl eine Stunde durch die Heide. ohne daß sich außer einigen Wandervögeln etwas Lebendiges sehen ließ. Es lag ein blauverschwommener Nebel über der Landschaft, der, wie Richard erklärte, von dem Rauch eines meilenweit sich erstreckenden Heidebrandes herrühren mußte. Dem mit Schlinggewächsen und Moosen überwucherten Grund des Strombetts entstieg ein scharfer erdiger, aber nicht unangenehmer Duft, sobald sich die Ruder einmal tiefer einsenkten. Dann und wann begegneten sie leeren Fahrzeugen, die den Weg zu den Ericiusschen Werken zurücknahmen Die Ruderknechte, die blau und weiß gestreifte Hemden und, wie Peter Elbe, haubenartige Mützen auf dem Kopf trugen, grüßten ehrerbietig. Bisweilen rief Richard ein fragendes Wort hinüber, und die Antwort erfolgte in dem Plattdänisch, das jene sprachen.

Später ward das Bild der Landschaft freundlicher. Herbstschmetterlinge und Libellen schwebten über der Ebene, und die Sonne, die an Kraft gewonnen hatte, warf wundervolle Lichter über das weite Gefilde.

Endlich langten die Reisenden in Mückern an. An dem Hafen standen schwatzende Schiffsknechte, Arbeiter, alte Leute, Seevolk, meist in Hemdärmeln. Hier und dort ward ein Schiff ausgeladen, Ketten rasselten, der Pfiff einer Dampfpfeife ertönte, dunkler Rauch wälzte sich aus den Schornsteinen. Theer- und Seegeruch erfüllte die Luft; überall eilfertiges Leben. Mückern hatte lange Straßen mit schmucken, kleinen Häusern. In allen Fenstern standen Blumen, und fast vor jedem Haus befand sich eine Bank. Wohlhabenheit machte sich bemerkbar, wohin man sah, und große Sauberkeit erfreute das Auge.

Als Richard mit seiner Begleiterin das Haus des Kapitäns Larsen, des Bräutigams, erreicht hatte, wurden sie von diesem, seiner Braut und seiner Mutter, einer alten Frau, die eine Männermütze auf dem Kopf trug, aufs herzlichste empfangen. Der Bräutigam war ein starker, untersetzter Bursch, dem die Uniform eines Kapitäns nicht übel zu Gesicht stand. Seine wetterharten Züge hatten eine unverkennbare Aehnlichkeit mit denen seiner Mutter, doch fehlte ihnen der Ausdruck treuherziger Güte, der aus den dunklen Augen der Alten sprach und vereint mit dem silbergrauen Haar die Härten ihrer eigenartigen, fast männlichen Erscheinung angenehm ausglich.

Ein geradezu überraschendes Bild aber bot Peter Elbes Tochter, die schon seit geraumer Zeit hier bei der Alten wohnte. Bei ungewöhnlicher Größe und schlankem Wuchs entbehrte ihre Erscheinung doch nicht der Anmuth, und ihre Züge hatten einen überaus edlen Charakter. Sie schien indessen mit ihrem Herzen wenig bei der bevorstehenden Hochzeit zu sein und begegnete ihrem Bräutigam mit so gezwungener Freundlichkeit, daß es Bianca auffiel und sie ihren Bruder nicht ohne Besorgniß darauf aufmerksam machte.

Richard hatte sich eben den Danksagungen für ein reiches Geschenk, das er mitgebracht hatte, entwunden und gab seiner Freude über das zierliche Häuschen Ausdruck. Eine tadellose Sauberkeit herrschte in den kajütenartig niedrigen, aber hellen Zimmern. Bunte Tassen standen auf Schränken und Kommoden, deren glatte Flächen die blankgeputzten Messinggriffe wiederspiegelten, und von dem Braun der getäfelten Wände, des gebohnten Fußbodens und der alten, durch den Gebrauch dunkelblitzenden Möbel hoben sich die schneeweiß bemalten Paneele unter den blumenbesetzten Fensterbänken reizvoll ab.

Nachdem alle Platz genommen, ward ein reichliches Frühstück aufgetragen, zu dem die Männer einen hellen Branntwein tranken. Das Hauptmahl sollte erst später nach der kirchlichen Trauung im sogenannten „Schifferhaus“, einer öffentlichen Herberge, stattfinden.

„Es ist zu klein bei mir -“ erklärte die Alte, indem sie wohlgefällig mit der Hand über ihre braunseidene Schürze strich. „Und ich hab’ ja ein paar Schilling. Da kommt’s nicht drauf an.“

Nach einer kleinen Stunde, die in munterem Gespräch verfloß und namentlich durch Peter Elbes frohe Laune gewürzt ward, erhob sich die Braut, um sich anzukleiden, und auch der Kapitän entfernte sich für einige Zeit, nachdem er noch die Gäste in einen kleinen, schmucken, hinter dem Hause gelegenen Garten geleitet hatte. Während die Zurückbleibenen dort plaudernd auf- und abschritten, - etwa ein halbes Stündchen mochte verflossen sein, - kam das Hausmädchen in höchster Aufregung herbeigelaufen und fragte die Alte, ob sie nicht wisse, wo Fräulein Ingeborg sei.

Diese Frage erweckte zunächst keine Besorgnis; als aber das Mädchen wiederholte, die Braut sei Verschwunden, man suche sie vergebens im Haus und in der Nachbarschaft, da ergriff die Alte und ihre Gäste eine große Unruhe. Bianca wechselte mit ihrem Bruder einen überraschten und erschreckten Blick, und eben, als sie alle sich ins Haus begeben wollten, stürzte ihnen Larsen, bleich vor Erregung, mit einem Zettel in der Hand, entgegen. Ein Unbekannter, knirschte er, habe ihn soeben überbracht. Und mit bebender Stimme wiederholte den entsetzt aufhorchenden Gästen Larsen das Geschriebene, dass lautete:

„Ich habe Mückern verlassen. Ich kann Dir nicht angehören. Verfolge mich nicht, es wäre vergeblich!

J. E.“


3.

Richard und Bianca waren nach Trollheide zurückgekehrt. Der alte Peter hatte auf der Rückfahrt dagesessen wie ein Steinbild, unbeweglich und in sich gekehrt, und nur ab und zu mit trostlos finsterem Blick die Augen auf die öden, weiten Heideflächen gerichtet, an denen sie mit schnellem Ruderschlag vorüberfuhren.

Jedem Zuspruch war er ausgewichen. Es sei diese Verbindung sein Herzenswunsch gewesen, hatte er wimmernd hervorgestoßen. Nun sei alles todt. Was aus seiner Tochter werden solle, die allein in die Welt hinausgegangen sei? Vielleicht würde er sie nie wiedersehen! Und die Schande! Mit welchen Worten würden die Leute in Mückern in Zukunft von ihr reden!

So hatte es denn Richard aufgeben müssen, den Alten zu trösten, zumal er mit seinen eigenen Sorgen genug zu thun hatte.

Peter Jeppe war, wie ihm bei seiner Rückkehr berichtet wurde, von den Gendarmen zwar nicht eingefangen worden, doch hatten sie seine Spur in der Umgegend entdeckt und hofften, ihn demnächst dingfest zu machen. Dass beruhigte Richard zunächst, doch bestand er darauf, daß seine Schwester ihn begleite, als er zwei Tage später, dem Wunsch des Herrn Ericius, entsprechend, nach Limforden übersiedelte. Mancherlei Bedenken, die sich namentlich auf das Zusammenleben mit der Familie Ericius bezogen, hatten in Bianca den Wunsch rege gemacht, in Trollheide zu bleiben und dort die Rückkehr ihres Bruders abzuwarten Als ihr Richard jedoch erklärte, daß er in seinem eigenen Haus wohne und sie als sein Gast dort von den Ericius völlig unabhängig sei, gab sie ihren Widerstand nicht nur auf, sondern richtete sich auch, dem Wunsch ihres Bruders entsprechend, darauf ein, die ganze noch übrige Zeit ihres Besuchs auf dem herrlich gelegenen Hauptgut zuzubringen und nicht wieder nach Trollheide zurückzukehren.

Die Geschwister hatten, da der Herbst noch immer milde, fast sommerlich warm war, in einem offenen Wagen Platz genommen. Ein eigener Zauber war über der scheinbar so unveränderlichen und doch so wechselnde Bilder bietenden Landschaft ausgebreitet. Eine solch traumvergessene Stille lag über der weiten, von dem blauüberschleierten Horizont begrenzten Ebene, so wundervoll waren die Farben, ein so wunschloses Genügen schien die Erde und die auf ihr lebenden Geschöpfe zu durchdringen, und ein solcher Friede erfüllte zufolgedessen ihre Seele, daß in Bianca fast das Verlangen aufstieg, nie wieder in die große Stadt zurückzukehren, sondern in dem Umgange mit der Natur die künftige Daseinsbefriedigung zu suchen.

Am Spätnachmittag langten Richard und Bianca in Limforden an. Schon während der letzten Wegstunde hatte sich der Charakter des Landes allmählich verändert, überraschend jedoch trat ihnen dieser Wechsel erst jetzt, da sie die Grenze des Gutes erreicht hatten, entgegen. Eine von Ueppigkeit strotzende Natur löste die unfruchtbaren Flächen ab. Was Limforden so eigenartig schön machte, waren die überall von Buchen- und Eichenwald umgebenen ungewöhnlich großen Wiesenabschnitte. Die Gebüsche auf den sie einfriedigenden Wällen waren im Lauf der Jahrhunderte allmählich zu Bäumen herangewachsen, deren stolz und kraftvoll emporstrebende Stämme diese weitläufigen Flächen wie im Dienst der Ruhe und der Schönheit bestellte Wächter umstanden. Je näher sie dem Gutshof kamen, desto mehr wuchs Biancas Entzücken.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_460.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2022)