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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Hof. Larsen hier, Hält mich gefangen, will mich mit aufs Schiff schleppen. Ingeborg.“ 

Richard sprang auf. „Auch das noch!“ rief er, und den andern die Depesche übergebend, eilte er hinaus, um mit seinem Diener Ole das Nähere wegen seiner schleunigen Abreise zu besprechen.

Am nächsten Morgen fuhr Richard Tromholt trotz gerade dringlicher Geschäfte ab und empfahl seine Schwester der Fürsorge Altens. –

Zwischen diesen beiden hatte sich ein sehr warmes Verhältniß entwickelt. Ihre Vertraulichkeit wuchs durch das öftere Zusammensein, sie ergänzten sich gegenseitig, und der Wunsch, einander ganz anzugehören, lag für beide nahe, und doch wagte sich keines mit seinen Gedanken heraus.

Bianca erwartete das befreiende Wort von Alten, und da dieser, der sich in seiner Stellung nicht mehr sicher fühlte und vermögenslos war, sich über allgemeine Andeutungen, die er zur Vorsicht noch meist in ein scherzhaftes Gewand kleidete, nicht hinaustraute, so blieb sie, wenn sie auch an seiner Neigung nicht zweifeln konnte, doch unsicher über deren innere Wahrheit.

Als sie am folgenden Tage, nachdem Alten seine Geschäfte erledigt hatte, beim Mittagessen beisammen saßen, sagte Bianea: „Fast hätte ich’s vergessen! Es war schon lange mein Wunsch, einmal das Innere des Herrenhauses drüben in Augenschein zu nehmen. Ist das möglich?“

Alten bejahte bereitwillig. „Wenn’s Ihnen genehm ist, gehen wir nach dem Kaffee hinüber. Ich schicke gleich zum Kastellan, daß er die Fenster öffnet, damit Sie nicht von der dumpfen Luft beschwert werden.“

„Ich danke! Ist etwas Sehenswertes darin?“

„Na, nicht allzuviel! Der Besitz gehörte ursprünglich der Familie Tolk, die ihn an Herrn Ericius mit allem, was drum und dran war, verkaufte.“

„Ah! Dann gelüstet’s mich doppelt, hineinzugucken,“ erklärte Bianca lebhaft. „Für solche alte Familiensitze habe ich eine ungemessene Schwärmerei. Wenn ich Geld hätte, würde ich mir einen solchen Besitz kaufen. – Sagen Sie übrigens, Herr von Alten, giebt’s hier gar keine Nachbarn? Mit wem wollen die Utzlars denn überhaupt verkehren?“

„Gewiß! Allerdings! Im nächsten Umkreise nach Osten und Norden befinden sich sehr schöne Güter. Da wohnen die Grafen Estrupp und Kollund, die Familien von Eyben und von Schelbe und ganz in unserer Nähe auf seinem prachtvollen Schloß der jetzt eben von seinen Reisen zurückgekehrte Graf Esbern-Snarre. Ihn kennenzulernen, würde Sie jedenfalls interessieren. Ein nicht gewöhnlicher Mensch und liebenswürdiger Egoist! Lassen Sie sich von Ihrem Herrn Bruder vom Grafen Esbern-Snarre erzählen! Er kennt ihn sehr genau. Ich sah ihn bis jetzt nur zweimal flüchtig.“

Bianca bewegte halb zustimmend, halb abwehrend den Kopf. „Die Tage meines Hierbleibens sind gezählt,“ erwiderte sie. „Wenn Richard wieder eintrifft, muß ich mich doch endlich zur Heimreise rüsten.“

„Wie, Sie denken wirklich daran?“ rief Alten ehrlich erschrocken. „Nein, nein, das darf nicht geschehen, ich – –“ er stockte, blieb eine Weile stumm und nachdenklich und schloß dann im früheren Ton: „Zunächst also werden Sie das alte Schloß besichtigen. Es fehlt natürlich, wie man das von einem so alten Erbsitz erwarten kann, auch nicht an einem Hausgeist. Passen Sie auf, daß er Sie nicht festhält!“

„Das wird ja immer interessanter,“ lachte Bianca.

Das Limforder Herrenhaus war ein nicht nach einem einheitlichen Plan aufgeführter Bau, sondern stellte sich als eine im Laufe der Jahrhunderte vielfach veränderte und erweiterte und jedes rechten äußeren und inneren Zusammenhanges entbehrende Gruppe von Gebäuden dar. Es war mehr alterthümlich als schön, und in ersterer Beziehung fesselte der ringsum eingeschlossene große Schloßhof, der einen kunstvoll in Sandstein ausgemeißelten Brunnen und eine ganz eigenartig ausgestattete Kapelle besaß, über deren Eingang sich das alte Tolksche Wappen befand.

Als Alten und Bianca im Mittelbau, dem sogenannten corps de logis, die steinerne Doppeltreppe emporstiegen, staunte die letztere über die schönen Verhältnisse des Treppenhauses, die hohen, mit Stuck bedeckten Wände und Deckengewölbe.

„Ah! Das ist ja königlich“ rief sie.

„Ja wohl,“ spottete Alten, „aber wer hat etwas davon? Die schönen Räume stehen öde und verlassen, und ob Graf Utzlar gerade der Mann ist, sie mit neuem Leben zu erfüllen, scheint mir doch sehr zweifelhaft. Die alten Ritter sind todt, es riecht nach Moder überall. Sehen Sie zum Beispiel hier!“ – und er führte sie durch mehrere, mit alterthümlichem Hausrath spärlich ausgestattete Zimmer, in denen vergilbte Familienbilder hingen – „da hängen sie, die edlen Grafen und ihre hochgeborenen Damen!“

Zuletzt traten sie in einen oval gebauten Saal mit hoher gewölbter, und bemalter Decke, von der ein verstäubter, messingner Kronleuchter herniederhing. Das übrige Mobiliar bestand aus zwei Stühlen mit altem geflickten Seidenüberzug, die sich an den beiden entferntesten Punkten der Ellipse gegenüberstanden.

„Hier wohnt der Schloßgeist,“ scherzte Alten. „Bitte, nehmen Sie gefälligst auf jenem Stuhl Platz, ich werde mich auf diesen verfügen, und nun beugen Sie sich tief herab, legen Sie Ihr Ohr an die Wand und horchen Sie, was er Ihnen sagt! Es soll, wie die Sage geht, von tiefer Bedeutung sein, und die Hauptsache ist, daß Sie ihm richtig antworten, wär’s selbst mit seinen eigenen Worten. Sie brauchen Ihre Antwort nur gegen die Wand zu flüstern, das Echo trägt sie weiter, denn es ist der Echosaal, in dem wir uns befinden. Das Echo trügt nie! Glauben Sie ihm unbedingt, es ist die Stimme des Geistes!“

Und nun stellte sich Alten wie ein Beschwörer hin, streckte die Arme zur Decke empor und sprach mit feierlichem Tone: „Erhabener Geist, der Du in diesen Räumen thronst, in die Herzen der Menschen siehst und ihnen durch die Wand Dein Orakel verkündest, erhöre uns, sei uns gnädig!“

Bianca, sehr belustigt durch diese Einleitung, hatte schon ihren Platz eingenommen, und Alten eilte zu dem seinigen.

„Sind Sie bereit, gnädige Frau?“ fragte er.

„Ja,“ erwiderte sie.

„Und auch in der nothwendigen feierlichen Stimmung?“

„Gewiß!“

Es entstand eine Pause.

Eine eigenthümliche Stimmung kam über Bianca von Gunar. Dieser hallenartige, abgeschlossene, mit einer eigenthümlich dumpfwarmen Luft erfüllte Raum, in den eben die Spätsonne ihre letzten Strahlen warf, gab ihr ein Gefühl des Alleinseins und erfüllte sie zugleich mit einer seltsam unbestimmten Sehnsucht.

Gedanken an die Trennung von Limforden, die ihr bevorstand, der für sie stets einsame Aufenthalt in Hamburg, die Zukunft, die Erinnerung an die angenehmen Stunden, die sie mit Alten in diesen Wochen verlebt hatte, beschäftigten ihr Inneres und machten sie weich und liebebedürftig.

„Mit Verlaub, Frau Baronin!“ rief Alten. „Hat er noch nicht gesprochen?“

„Kein Wort.“

„Und hören Sie auch deutlich?“

„Sehr gut!“

„Also jetzt, am besten wär’s, Sie wiederholten gleich die Worte!“

Bianca lauschte, es klang erst wie ein Brausen durch die Wand, und dann vernahm sie deutlich die Worte:

„Bianca von Gunar, ich liebe Sie.“

Ihr Herz pochte, doch zwang sie sich zu einem Scherz. „Der Geist?“ rief sie hinüber. „Wie seltsam! Lieben denn Geister?“

„Nicht der Geist,“ klang es zurück. „Ich liebe Dich! Ich liebe Dich!“

Hierauf blieb alles still.

„Gegen die Wand müssen Sie die Antwort flüstern.“ ermunterte Alten drängend.

Er horchte schier athemlos, aber alles blieb still.

„Haben Sie noch nichts gehört?“ fragte er wieder, und „Sie wollen nicht hören!“ setzte er mit weicher Stimme hinzu.

Eine Fliege summte durch den Saal, Alten hörte das leise Schwirren ihrer Flügel, bis es verklang, und jetzt ging ein Sausen durch die Wand, und endlich ihre Stimme, die das Echo ihm zutrug:

„Kann die Wand von Liebe sprechen?
Hart und fühllos ist ihr Stein;
Aus dem Herzen muß es brechen,
Soll es wahre Liebe sein.“

Altens Züge hellten sich auf, und während ein seliges Erwarten in seine Augen trat, gab er nach kurzem Besinnen zurück:

„Nein, mein Mund sprach diese Worte,
Und die Wand sprach sie nur nach,
Und da er des Herzens Pforte,
War es Wahrheit, was er sprach!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_490.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)