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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Aerzte und Richter des Volkes thätigen Antheil an seinen Geschicken zu nehmen. Vergegenwärtigen wir uns, wie diese Gründung sich vollzog, wie die Burschenschaft der Aufgabe, die sie sich bei ihrer Begründung stellte, gerecht wurde.

Die studierende Jugend Deutschlands hatte, so sehr auch sie gleich dem deutschen Volke vorher in kleinstaatlicher Sonderthümelei begriffen war, doch sogleich beim Beginn des großen Befreiungskampfes mit heiligem Eifer zu der nationalen Sache gestanden. Alle Spaltungen und Parteiungen waren vergessen; nicht bloß an den Hochschulen des preußischen Staates, in welchem die Wogen der Begeisterung am höchsten schlugen, sondern auch an denen der Kleinstaaten, deren Fürsten zum Theil noch mit dem korsischen Eroberer verbündet waren, strömten die Studenten in hellen Scharen den Fahnen zu, welche zur Vertreibung und Besiegung der Fremdherrschaft entrollt wurden. In Jena trat mehr als die Hälfte aller Studierenden dem Lützowschen Freicorps und anderen mit größter Schnelligkeit sich bildenden Freiwilligenscharen bei. Mitten im Feldlager hielten sie an ihren akademischen Gebräuchen fest und sangen wohl am Vorabend der Schlacht mit andächtiger Begeisterung die weihevollen Klänge des Landesvaters. Hier lernten sie in ernster Stunde die Unterordnung der Persönlichkeit mit allen ihren Interessen und Bestrebungen unter eine große, gemeinsame Sache. Alle waren sie erfüllt von dem frohen und stolzen Bewußtsein, eine große Zeit mit durchlebt, an ihrem Theile mitgewirkt zu haben an einer großen und heiligen Aufgabe.

Von solchen Gesinnungen durchdrungen, kehrten sie in die Universitäten, in die Hörsäle zurück. Hier aber fanden sie sich plötzlich von dem alten Treiben, das sie in den großen vergangenen Stunden für überwunden gehalten hatten, umgeben, hier fanden sie wieder jene alten Landsmannschaften, welche, auf dem Grundsatz der engeren Landesangehörigkeit der Mitglieder beruhend, so recht ein Abbild der Zerklüftung und Zerspaltung des Volkes waren. Noch herrschten die alten, rohen Sitten, der Pennalismus und die Renommistrei, das traurige Erbtheil vergangener Jahrhunderte, in denen unter dem politischen Elend der Nation auch in der studierenden Jugend ein freier Gemeinsinn sich nicht hatte entwickeln können. Jetzt aber war in dem großen einheitlichen Gefüge des Heeres, welches den Fremdherrscher zu Boden geworfen hatte, jener Geist der Spaltung überwunden, das Gefühl der Zusammengehörigkeit im Volke mächtig geweckt worden. Mußte das nicht auch auf das akademische Leben zurückwirken? Durfte in jener großen Zeit der alte Geist der Zerfahrenheit bestehen bleiben, wie er in den bisherigen geselligen Vereinigungen der Hochschulen seinen Ausdruck gefunden hatte?

Diese Eindrücke waren es, welche auf die aus dem Felde Zurückkehrenden mit zwingender Gewalt einstürmten. Sie wurden durch die politischen Enttäuschungen, die man erntete, verstärkt. Der Gegensatz zwischen den Idealen, für welche man gekämpft hatte, und der Wirklichkeit, welche man im staatlichen wie im akademischen Leben vorfand, war zu schroff, als daß er nicht zu einem Versuch der Ausgleichung, zu dem Bestreben, die Wirklichkeit dem Ideale entsprechend umzuwandeln, hätte führen müssen. Diesem Bestreben verdankte die Burschenschaft ihre Entstehung.

Die Mehrzahl der aus dem Felde zurückkehrenden Studierenden verschmähte es, in die alten landsmannschaftlichen Verbindungen, denen sie zum Theil vor ihrem Auszuge in den Krieg angehört hatten, wieder einzutreten: sie wollten den Sinn für ein gemeinsames Vaterland, das Streben, diesem mit allen Kräften zu dienen, wie sie es im Felde bewährt hatten, in ihr akademisches Leben mit hinübernehmen. Zu diesem Zwecke wurden zunächst die von Jahn mit Recht so warm empfohlenen körperlichen Uebungen auch auf der Hochschule beibehalten: es bildete sich noch im Winter 1814/15 eine Wehrschaft, eine Art akademischen Landsturmes, der die im Felde erlangten körperlichen Fertigkeiten zu bewahren und nicht allein durch Turnen, sondern auch durch Exercieren, Schießen, Anlegen von Schanzen und förmliche kleine Gefechtsübungen zu pflegen bestimmt war. Der Wunsch der eifrigsten dieser Jünglinge ging aber dahin, für diese Bestrebungen eine feste Ordnung zu finden, die, wenn möglich, die ganze Studentenschaft umfassen sollte. Eine kleine Zahl von ihnen, sämmtlich aus dem Felde zurückgekehrte Freiwillige, meist Lützower Jäger, trat zu diesem Zwecke mit den Leitern der vier in Jena bestehenden Landsmannschaften, von denen drei mehr oder weniger zu den neuen Bestrebungen hinneigten, in Verbindung, sie entwarfen einen Satzungsentwurf für die neue Vereinigung, die den Namen „Burschenschaft“ führen sollte, und erließen endlich am 10. Juni 1815 einen öffentlichen Aufruf an alle ehrenwerthen Jenenser Studenten, sich am 12. Juni vormittags 9 Uhr auf dem Markte zu Jena zu versammeln. Von den 11 Unterzeichnern dieses Aufrufs, die man als die eigentlichen Begründer der Burschenschaft ansehen kann, nennen wir den stud. Karl Horn aus Neustrelitz, der noch im Jahre 1858 dem 300jährigen Jubiläum der Universität Jena als ehrsamer Pastor beiwohnte und dort eine begeisterte und begeisternde Rede über das, was die Burschenschaft von 1815 Hohes und Heiliges erstrebte, gehalten hat, ferner Heinrich Niemann und den späteren Professor Scheidler aus Gotha, von denen freilich heute keiner mehr unter den Lebenden weilt. Am 12. Juni fand dann, wie angekündigt, die große Studentenversammlung statt, welche, von 113 Theilnehmern besucht, den Grund zu der Jenenser Burchenschaft legte. Die Landsmannschaften Vandalia, Thuringia und Franconia, die den Beschluß gefaßt hatten, sich aufzulösen, erschienen zum letzten Male mit hochgehaltenen Fahnen, die sich dann später zum Zeichen der Auflösung senkten. In feierlichem Zuge bewegten sich die Versammelten vom Marktplatze durch die Saalgasse, das Saalthor und über die Brücke zum Gasthause „Zur Tanne“. Hier wurde zum ersten Male das Arndtsche Bundeslied „Sind wir vereint zur guten Stunde“, zu dem stud. theol. Hanitsch die schöne, seitdem immer und immer wieder gesungene Melodie komponirt hatte, angestimmt und dann nach einer begeisterten Ansprache Horns die Gründung der Jenenser Burschenschaft vollzogen, die entworfene Verfassung vorgelesen und angenommen. Als Sinnbild der Vereinigung wurden die Farben Schwarz=Roth=Gold gewählt. Sie sollten hinfort das Banner werden, um das sich alle Anhänger des nationalen Gedankens Jahrzehnte hindurch geschart haben. Zum ersten Male erklang dann das ergreifende deutsche Einheitslied „Was ist des Deutschen Vaterland“, zu dessen Arndtschem Texte der stud. theol. Cotta aus Ruhla die Melodie komponirt hatte. Den Schluß bildete ein erster allgemeiner burschenschaftlicher Kommers mit feierlichem Landesvater.

Seit den Augusttagen von 1883 steht, von Professor Donndorf in Stuttgart gefertigt, aus dem Eichplatze zu Jena das Denkmal, welches diesem erhebenden Abschnitt deutscher Geschichte gewidmet ist. Auf hohem Sockel, an welchem die Widmung und die Bilder von Horn, Riemann und Scheidler angebracht sind, erhebt sich überlebensgroß, aus carrarischem Marmor, die Gestalt eines Burschen in der Tracht der Gründungstage.

Was politisch aus dem Wiener Kongresse durch das Uebelwollen der von Metternich geleiteten Diplomatie vereitelt wurde, eine Einigung für die große gemeinsame Sache des Vaterlandes, hier in Jena gelang es, in engerem Rahmen zwar, aber getragen von der jubelnden Zustimmung der Theilnehmer. Die Absichten und Bestrebungen der Begründer der Burschenschaft gingen ohne alle Frage auf hohe und ideale Ziele: auf gründliche wissenschaftliche und sittliche Ausbildung, Reform des akademischen Lebens im Sinne einer freien Gemeinsamkeit; über allem aber schwebte die große Idee des gemeinsamen Vaterlandes, in dessen Dienste alle durch die akademische Reform erreichten Erfolge verwerthet werden sollten, ohne daß man dabei zunächst an ein unmittelbares Eingreifen in das staatliche Leben gedacht hätte. Vielmehr galt es vor allem, die Mitglieder der neuen Vereinigung während ihres akademischen Lebens mit dem Geiste der Stifter zu erfüllen, Verständniß für den nationalen Gedanken in ihnen zu erwecken, damit sie dereinst, wenn sie ins praktische Leben eingetreten wären, alle ihre Kräfte und Fähigkeiten in zielbewußtem Dienste für das Vaterland aufwenden könnten.

Daß dieses Vaterland, um für alle Zeiten vor der Wiederkehr schmachvoller Fremdherrschaft gesichert zu sein, eine einheitliche, alle Kräfte zu seinem Dienste vereinigende Gestaltung erhalten müsse, galt dabei trotz der bitteren Erfahrungen, die man soeben auf dem Wiener Kongresse machte, als selbstverständliche Voraussetzung. In welcher Weise diese Voraussetzung verwirklicht werden sollte, darüber waren die Mehrzahl oder wohl sämmtliche Begründer der Burschenschaft, die diese Verwirklichung als Ziel aufstellten, ebenso im Unklaren wie die anderen Patrioten, die in dem Streben nach dem Ziel mit ihnen einig waren. Nur daß es anders werden müsse als bisher, darüber war man einig. Den meisten schwebte wohl als Ziel der nationale Einheitsstaat vor, aber die nothwendige Folge desselben, die Thatsache, daß derselbe nur durch eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_530.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2023)