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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Nun, und dieses Muster aller weiblichen Tugenden hat Ihnen doch nicht etwa einen Korb gegeben?“

„Ich ließ es nicht dazu kommen, weil ich vernünftig genug war, einzusehen, daß die Tochter des unermeßlich reichen Bonanzakönigs nicht die für mich geeignete Gattin sei. Eine nach Millionen bemessene Mitgift würde ich niemals angenommen haben und aus meinen eigenen Mitteln hätte ich ihr nicht die Fortdauer jener Freuden und Genüsse des Lebens gewähren können, an welche sie so sehr gewöhnt worden war, daß sie nur mit dem Bewußtsein, ein Opfer zu bringen, darauf hätte verzichten können.“

„Und Sie thaten unzweifelhaft sehr recht daran, solchen Erwägungen Gehör zu schenken,“ versicherte Cilly mit drolliger Altklugheit und zugleich mit einem etwas verdächtigen Eifer. „Ein Arzt muß eine Gattin haben, welche Verständniß besitzt für seinen schweren Beruf, – eine Frau, welche voll Theilnahme ist für seine Kranken, wenigstens für die armen und unglücklichen unter ihnen.“

„Aber, theuerste Cousine, ich bin ja gar kein Arzt,“ fiel ihr Wolfgang mit einem Anflug gutmüthigen Spottes, hinter welchem sich seine Bewegung indessen nur noch mühsam verbarg, in die Rede, „und unter den Leuten, welche zu mir kommen, um sich falsche Gebisse anfertigen zu lassen, pflegen nur sehr selten Arme und Unglückliche zu sein. Meine zukünftige Gattin, da wir doch nun einmal von dieser sehr nebelhaften Persönlichkeit reden, wird nach dieser Richtung hin leider wenig Gelegenheit zur Bethätigung ihrer Theilnahme finden.“

„Warum bemühen Sie sich so angelegentlich, Ihre guten Seiten vor mir zu verbergen? Ich weiß, daß Sie nicht bloß Geheimräte und Banquiersfrauen behandeln, denen man ellenlange Rechnungen machen kann, sondern daß Sie auch edlere Dinge thun. Haben Sie denn den kleinen August vergessen, den Sie durch Ihre ärztliche Kunst am Leben erhalten haben?“

„Ums Himmelswillen, wie kommen Sie zu dieser unheimlichen Wissenschaft? Der gute Meister Krause hat doch nicht etwa draußen im Vorzimmer geplaudert?“

„Er hat mir nichts Schlechtes von Ihnen erzählt, Vetter Wolfgang!“

„Dafür bin ich ihm allerdings sehr verbunden; aber ich werde mir’s doch entschieden ausbitten, daß er künftig den Mund halte. Der Himmel bewahre mich vor der Kundschaft, die mir dadurch ins Haus gelockt werden könnte! – Nein, mein verehrtes Fräulein Base, nicht das ist es, was ich von meiner künftigen Gattin hoffe und erwarte! Aber soll ich Ihnen einmal ein Bild von meinem Ideal entwerfen?“

„O bitte! Da bin ich außerordentlich gespannt!“

„Nun wohl! – Erstens: sie muß hübsch sein! Das ist zwar nicht die Hauptsache, aber doch unerläßlich!“

„Naturlich! Wer würde Ihnen auch zumuthen, eine Häßliche zu heirathen! Wahrscheinlich schwärmen Sie für zarte Blondinen vom Schlage der Miß Viktoria Stanhope,“

„Nicht unbedingt! Um die Haarfarbe werde ich mich sicherlich wenig kümmern, wenn sie nur zu allem Uebrigen stimmt. Aber die inneren Eigenschaften – da fangen die Schwierigkeiten an.“

„Nun? Ich bin wirklich sehr neugierig. Was verlangen Sie also von Ihrer idealen Frau?“

„Sie muß liebenswürdig sein im eigentlichen Sinne des Wortes, das heißt, nicht bloß unter dem Einfluß irgend einer angenehmen Stimmung oder in der Gesellschaft fremder Leute, sondern auch in der Abgeschlossenheit ihrer vier Wände und inmitten jener kleinen Unannehmlichkeiten des Lebens, die so leicht dazu verführen, unliebenswürdig zu werden. Und sie muß heiter sein, von jener echten Herzensheiterkeit, die wie heller Sonnenschein über ihre ganze Umgebung hinstrahlt, auch die unvermeidlichen trüben Stunden freundlich durchleuchtend und keinen häßlichen Schatten duldend in ihrer eigenen Seele wie auf den Stirnen derer, welche sie liebt. Weiter verlange ich nichts, denn wer liebenswürdig und heiter ist, der ist auch gut und wahrhaftig. Ueber kleine Fehler und Unarten wollte ich daneben herzlich gern hinwegsehen; denn ich halte mich eben auch nicht für ein Muster aller menschlichen Vollkommenheit. Sie dürfte gelegentlich ein wenig kratzen, wenn ihr zu wenig oder zu viel geschehen ist, dürfte mich mit den dunkeln – oder meinetwegen auch himmelblauen – Augen anfunkeln wie ein sprungbereites Kätzchen, wenn diese Augen nur wieder nachher in verdoppelter Liebe und Zärtlichkeit aufleuchten können. Sie dürfte –“

Abwehrend erhob Cilly die Hand.

„Halten Sie ein!“ sagte sie, und es klang um so trauriger, weil es scherzhaft klingen sollte. „Ich will nicht in Ihre Herzensgeheimnisse eindringen, und Sie sind im Begriff, mir eines zu verrathen. So schildert man kein Ideal, sondern ein leibhaftiges Wesen, das man bereits kennt und liebt! – Es ist spät geworden – adieu, Herr Vetter!“

Diesmal gab sie ihm nun wirklich die Hand; aber er hielt diese schmale, feingeformte Hand in der seinigen gefangen wie ein scheues Vögelchen.

„Wollen Sie das Bild jenes leibhaftigen Wesens sehen, nach welchem ich mir mein Ideal gestaltet habe, jenes Ideal, das mich zweimal über den Ocean begleitete, und das doch wohl schließlich allein die Schuld trug an meinem Verzicht auf eine Werbung um Miß Viktorias Liebe?“

Cilly wollte verneinen, aber schon hatte Wolfgang, ohne ihre Hand freizugeben, das Blatt mit dem Bilde der Amerikanerin umgeschlagen. Sie schaute nur ein ganz klein wenig von der Seite nach dem Album hin; dann aber stieß sie einen allerliebsten Schrei aus, riß sich los und flüchtete ein paar Schritte in das Zimmer hinein. Was sie da gesehen hatte, war ihr eigenes Bild, ein Kinderbild aus der Zeit, da sie einen Sommer hindurch mit ihren Brüdern bei dem Oheim von Brenckendorf auf Besuch gewesen war.

„Nein, das ist häßlich, Wolfgang,“ rief sie, „einen so garstigen Scherz verzeihe ich Dir nie!“

Es geschah wohl nur in der so überraschend geweckten Erinnerung an die Kinderzeit, daß sie ihn plötzlich duzte; jedenfalls funkelten ihre Augen jetzt ganz so, wie es Wolfgang vorhin seinem Ideal in Ausnahmefällen gestattet hatte.

„Aber es ist durchaus kein Scherz, verehrte Cousine! Dies liebe, reizende, kratzige Kind aus meiner Jugenderinnerung und Sie, die Tochter des kommandierenden Generals – die holdselige Knospe und die voll erblühte, von gräflichen und prinzlichen Schmetterlingen umflatterte Rose – ich denke ja gar nicht daran, sie mit einander zu verwechseln. Wir sprachen eben nur von meinem Ideal, und ich wollte Ihnen das irdische Vorbild zu demselben zeigen.“

„So? Also heute habe ich keine Aehnlichkeit mehr mit dem lieben, reizenden Kinde?“

„Zuweilen nur zu große! Ich möchte mitunter die Augen schließen, Cilly, um diese Aehnlichkeit nicht zu sehen.“

Das klang nicht mehr wie Spott, und so war es denn wohl auch etwas anderes als Zorn, was Cillys Wangen plötzlich mit so tiefem Roth überhauchte, Als ein Bild der lieblichsten Verwirrung stand sie mitten im Zimmer, und nachdem es wohl eine Minute lang so still gewesen war, daß sie den Schlag ihrer Herzen vernehmen konnten, sagte Cilly leise:

„Es wäre mir viel lieber, wenn Du sie gerade dann offen halten wolltest.“

„Cäcilie!“

Die lange zurückgedrängte Bewegung brach so mächtig aus seiner Brust, daß er es unwillkürlich vermied, sich des gewohnten Kosenamens zu bedienen, welcher in der That schlecht zu dem tief ernsten, leidenschaftlichen Ton seines Ausrufs gepaßt haben würde.

„Cäcilie!“ wiederholte er und nahm ihre beiden Hände, die sie ihm willig überließ. „Habe ich Dich wirklich recht verstanden?“

Da schmiegte sie sich zärtlich und hingebend an seine Brust, sah unter Thränen lächelnd zu ihm auf und flüsterte:

„Ich glaube – ja!“

„Und Du willst mein sein – meine Braut – mein Weib? Die Gattin eines einfachen Mannes, dessen Beruf Dir noch vor kurzem als ein Gegenstand des Spottes erschien?“

„O, wenn Du mir gut bist, Wolfgang, so sprich nie mehr von meinen alten Thorheiten! Ich war ein verwöhntes, unwissendes Mädchen; aber ich bin es nicht mehr, die Liebe hat mir die Augen geöffnet – die Liebe zu Dir! Denn daß Du es nur weißt: ich liebte Dich schon an dem Tage, da Du mich im Deinen Armen hier herauf getragen hast, und nur mein Trotz, mein hochmüthiger Stolz waren es, die sich dagegen auflehnten, so daß ich es mir selber so wenig gestehen wollte als einem anderen!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_536.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2024)